InterviewDWS-Chef Stefan Hoops

„Jetzt geht es darum, auch zu überholen“

ETFs boomen, die Digitalisierung verändert den Vertrieb, und die Margen sinken. DWS-CEO Stefan Hoops spricht im Interview über Wachstum ohne weiteres Sparprogramm, den Wandel des Anlegerverhaltens – und darüber, warum KI im Asset Management erst am Anfang steht.

„Jetzt geht es darum, auch zu überholen“

Im Interview: Stefan Hoops

„Jetzt geht es darum, auch zu überholen“

Der Vorstandschef der DWS über die Dominanz von ETFs, Profitabilität durch Skaleneffekte statt Stellenabbau sowie Chancen durch KI und Tokenisierung

ETFs boomen, die Digitalisierung verändert den Vertrieb und die Margen sinken. Stefan Hoops, CEO der DWS, spricht im Interview über Wachstum ohne weiteres Sparprogramm, den Wandel des Anlegerverhaltens – und darüber, warum KI im Asset Management erst am Anfang steht.

Herr Hoops, ETFs sind für viele Anleger längst Standard – das gilt zunehmend nicht nur für institutionelle, sondern auch für Privatanleger. Auch bei der DWS wächst das Volumen kontinuierlich. Was erklärt diesen anhaltenden Boom?

ETFs haben sich vom Nischenprodukt zur zunehmend dominanten Anlageform entwickelt – gerade bei Retail-Investoren. Sie ermöglichen es ohne tiefgreifende Marktkenntnis, global diversifiziert zu investieren. Aber der wahre Treiber liegt tiefer: Die Anleger haben sich verändert. Viele sind heute eigenverantwortlicher, informierter und technologisch versierter. Sie denken, wenn man so will, „aktiver“ – kaufen aber passive Produkte. Sie sagen nicht mehr: „Ich will einen Fonds“, sondern: „Ich will 30% Europa, 20% Emerging Markets, 50% Anleihen“. Diese Allokationen setzen sie über ETFs um – digital, günstig, direkt. Das ist eine enorme Transformation im Anlegerverhalten.

Gibt es dabei regionale Verschiebungen, die Sie beobachten?

Ja, und viele unterschätzen, wie deutlich sie ausfallen: Es findet im Markt gerade eine Rückverlagerung statt – zumindest bei europäischen Privatanlegern. Während 2024 noch rund 30% der ETF-Zuflüsse in US-Aktien gingen, sind es bislang in diesem Jahr nur noch etwa 8%. Gleichzeitig haben sich die Zuflüsse in europäische Aktien auf rund 25% erhöht. Diese Zahlen zeigen eine klare Tendenz: Das europäische Retail-Publikum investiert wieder stärker im eigenen Markt.

Wie erklären Sie sich diesen Wandel?

Zum einen ist es eine Reaktion auf die langjährige Übergewichtung der USA. Diese Gewichtung wurde nie bewusst so gesetzt, ergab sich aber durch Indexdynamiken. Zum anderen werden europäische Unternehmen heute wieder als attraktiver wahrgenommen – sei es aufgrund von Bewertungen, Dividenden oder mit Blick auf geopolitische Stabilität. Bei Privatanlegern geht so ein Wechsel sehr schnell: Wer sein ETF-Portfolio am Handy managt, braucht fünf Minuten, um seine Allokation zu verändern. Institutionelle Anleger brauchen dafür deutlich länger – mit Beratergremien, Asset-Allocation-Boards, Due Diligence-Prozessen. Aber auch dort sehen wir Bewegung.

Differenzieren Sie sich im ETF-Geschäft über solche regionalen Allokationen – oder eher über thematische Produkte?

Der Unterschied zwischen den Anbietern bei klassischen Indizes wie dem MSCI World oder dem Euro Stoxx ist marginal – da konkurriert man über Gebühren und Abwicklung. Was hingegen einen Unterschied macht, ist die Fähigkeit, Trends zu erkennen, schnell und regulatorisch sauber zu arbeiten und gleichzeitig so leicht wie möglich in digitale Vertriebskanäle integrierbar zu sein. Ein Beispiel: Unseren Xtrackers-ETF auf den MSCI World ex USA haben wir  innerhalb weniger Wochen aufgesetzt, den Prospekt erstellt, gelistet und in alle wichtigen Vertriebskanäle eingebracht – das können nicht viele so schnell und sauber. Diese Stärke kommt auch bei thematischen ETFs voll zum Tragen.

Trotz der Bedeutung des ETF-Geschäfts bleibt aktives Management ein Kernbereich der DWS. Warum?

Weil es weiterhin ein starkes Geschäft ist und auch noch eine Weile bleiben wird – ökonomisch wie strategisch. Rund 60% unserer Erträge stammen aus aktiv verwalteten Produkten. Gerade in volatilen Märkten oder in weniger liquiden Segmenten entfalten aktive Strategien ihren Mehrwert. Zudem schätzen viele institutionelle Kunden den direkten Dialog mit einem Portfoliomanager oder das aktive Engagement auf der Hauptversammlung. Das lässt sich nicht vollständig durch ETFs ersetzen. Wir sehen uns nicht als „entweder-oder“-Haus, sondern bieten beide Welten an.

Ihr mittelfristiges Ziel ist eine Cost-Income-Ratio unter 59%. Die Asset-Management-Branche steht nicht nur unter wachsendem Margendruck, sondern muss gleichzeitig in Technologie, Compliance, Reporting und Nachhaltigkeitsanforderungen investieren – das alles bei steigender regulatorischer Komplexität und zunehmender Produktdiversität. Wie wollen Sie dieses CIR-Ziel konkret erreichen? Was ist für Sie wichtiger: Kostenkontrolle oder Umsatzwachstum?

Zunächst einmal: Wir haben die großen Kosteneinsparungen schon zu Beginn unseres Drei-Jahres-Plans im Jahr 2022 umgesetzt, etwa dadurch, dass wir Strukturen vereinfacht und stark im sogenannten Senior Management abgebaut haben. Damit haben wir schnell und konsequent gespart und uns seitdem aufs Geschäft fokussiert. Wir setzen auf organisches Ertragswachstum. Das bedeutet, wir wollen unsere Profitabilität vor allem durch operative Skalierung und strategisches Wachstum verbessern – nicht durch das weitere Streichen von Strukturen oder Personal. Unser Ziel für den Gewinn je Aktie liegt bei 4,50 Euro für dieses Jahr und von da aus bei einer jährlichen Steigerung von rund 10% in den beiden Folgejahren. Wenn wir dieses Gewinnwachstum realisieren, senkt sich die CIR fast mechanisch, auch ohne Sparprogramme.

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie künftig ausschließlich auf Wachstum und Skaleneffekte setzen und zusätzliche Kostensenkungen nicht mehr planen?

Wir investieren gezielt dort, wo Skaleneffekte entstehen und wir unser organisches Wachstum vorantreiben können: in unser Alternatives-Geschäft und in unsere Xtrackers-Plattform. Da geht es vor allem auch um die schon angesprochenen digitalen Schnittstellen, also die Integrierbarkeit unserer Produkte in den digitalen Vertrieb, der mittlerweile rund ein Drittel unserer ETF-Zuflüsse liefert. Gleichzeitig halten wir die Kosten im Blick, indem wir unser Betriebsmodell weiter verbessern und unsere Ressourcen effizienter steuern – nicht, indem wir Leistungen reduzieren.

Die Asset-Management-Branche befindet sich zunehmend unter strukturellem Druck: Margen sinken, regulatorische Komplexität steigt. Großfusionen, wie etwa zwischen Amundi und Allianz Global Investors, scheiterten zuletzt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welche Rolle sehen Sie für die DWS in einer sich abzeichnenden Konsolidierungswelle?

Wir befinden uns heute in einer deutlich stärkeren Position als noch vor zwei Jahren. Wir haben gezeigt, dass wir überdurchschnittlich organisch wachsen können, unsere Plattform steht, unser Aktienkurs hat sich verdoppelt. Konsolidierung darf kein Selbstzweck sein. Größe allein bringt wenig, wenn keine neuen Fähigkeiten dazukommen. Interessant wird es, wenn durch einen Zusammenschluss Zugang zu neuen Märkten, Technologien oder Vertriebskanälen entsteht. In Asien zum Beispiel sind wir organisch noch nicht so stark aufgestellt – auch dort prüfen wir anorganische Optionen.

Über die Attraktivität eines Zusammenschlusses von DWS und AGI ist auch schon spekuliert worden…

Über einzelne Adressen kann ich mich natürlich nicht äußern. Generell gilt, dass die Kombination unterschiedlicher Hintergründe, Geschäftsmodelle und Zugänge zu Kundengeldern strategisch sinnvoll sein könnte. Ein Zusammenschluss mit einem Anbieter, der genau das gleiche kann wie wir, wäre dagegen wenig attraktiv. Das wäre nur ein Cost Take-Out – das kann man zwar dem Kapitalmarkt erklären, aber nicht strategisch begründen.

Die DWS stand in den vergangenen Jahren stark im Fokus, als es um Greenwashing-Vorwürfe ging. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt verhängte ein Bußgeld von 25 Millionen Euro, weil das Unternehmen sich nachhaltiger dargestellt habe, als es de facto war. Was hat sich durch diese Krise bei Ihnen verändert – nicht nur in Bezug auf Produktpolitik, sondern auch intern – in Führung, Kultur und Prozessen?

Wir haben uns alle Ebenen grundlegend angeschaut, an unsere Kommunikation und an der Aufstellung gearbeitet. Wer Nachhaltigkeit verspricht, muss sie auch operationalisieren. Deshalb hatten wir bereits vor zwei Jahren unsere Nachhaltigkeits-Strukturen neu aufgesetzt und klarer unterschieden zwischen einem Strategieteam, das Marktentwicklungen beobachtet und in den Strategieprozess einbringt, und davon unabhängigen Teams, die die Integration der Strategie in Prozesse und zugehörige Kontrollen überwachen. Die Verantwortung für die Umsetzung unsere Nachhaltigkeitsstrategie liegt in den jeweiligen Geschäftsbereichen. Das war wichtig, um die Geschäftsorganisation zu stärken und Verantwortlichkeiten zu klären.

Wie hat sich das Verhältnis zu Ihren Investoren verändert?

Es ist differenzierter geworden – auch vor dem Hintergrund der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Ich glaube, es steht außer Frage, dass der Klimawandel real ist und wir eine Verantwortung haben, darauf zu reagieren. Eine wichtige Erkenntnis ist aber erstens: Investoren wollen klar selbst entscheiden, wie sie Nachhaltigkeit in ihrer Anlage gewichten. Und zweitens: Nur ganz wenige sind bereit, dafür spürbare Renditeeinbußen hinzunehmen. Deshalb bieten wir eine breite Palette von Anlagelösungen an. Das umfasst solche Strategien, die Nachhaltigkeit fördern. Und es umfasst solche, die konventionelle Ziele bedienen. Wichtig ist: Wir machen niemandem Vorgaben dazu, welche Anlagestrategie sie oder er mit ihrem Vermögen verfolgen sollen – wir schaffen Wahlmöglichkeiten.

Ein anderes Thema mit Zukunftspotenzial: KI. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz im Asset Management?

Aktuell nutzen wir KI vor allem als Werkzeug zur Effizienzsteigerung. Sie hilft uns, große Datenmengen zu verarbeiten oder Berichte zu erstellen – schneller und präziser als je zuvor. Das ist der erste Schritt, vergleichbar mit der Einführung von Excel in der Vergangenheit. Wer das nicht nutzt, verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Ein möglicher zweiter Schritt wäre die effektivere Umsetzung von Investmentideen. Nehmen wir einen Fondsmanager mit einer klaren These, etwa zu den Perspektiven der Autoindustrie. KI könnte helfen, diese These bestmöglich umzusetzen: Long in Aktie A, Short in Aktie B, ergänzt durch Optionen, Währungsabsicherung, Bonitätsfilter. Sie würde Varianten simulieren, Risiken bewerten und dann die effizienteste Lösung vorschlagen. Das spart Zeit und erhöht die Treffsicherheit.

Wird KI das Asset Management auf Dauer revolutionieren?

Langfristig, und das wäre die eigentliche Revolution, dürfte KI in der Lage sein, Muster zu erkennen, die Menschen nicht oder nicht so schnell sehen. Gute Fondsmanager stellen kluge Fragen, die andere nicht stellen. Eine wirklich leistungsfähige KI könnte genau das simulieren: Sie könnte Informationsräume durchsuchen, Signale verknüpfen, Interdisziplinarität einbringen und daraus Thesen ableiten, auf die niemand gekommen ist. Noch sind wir davon entfernt. Aber die Richtung ist klar. Und darauf bereiten wir uns vor.

Stichwort Technologie: Sie arbeiten mit Ihren Partnern im Joint-Venture AllUnity an einem ambitionierten Projekt – dem ersten vollständig regulierten Euro-Stablecoin in Deutschland. AllUnity hat im Juli die BaFin-Lizenz als E-Geld-Institut erhalten und Anfang August den EURAU auf den Markt gebracht. Was ist aus Ihrer Sicht der strategische Kern hinter der Beteiligung und welche Rolle soll ein Euro-Stablecoin für die DWS langfristig spielen?

AllUnity ist eine Antwort auf die Finanzinfrastruktur von morgen. Wenn Vermögenswerte tokenisiert werden – also auf die Blockchain gebracht werden, wo sie digital, direkt und rund um die Uhr handelbar sind –, brauchen Sie auch ein digitales Zahlungsmittel: eine verlässliche, regulierte, stabile, digitale Währung. Der EURAU-Stablecoin, reguliert durch die BaFin und MICAR-konform, erfüllt genau diesen Zweck: Er ist kein Krypto-Spekulationsobjekt, sondern ein Zahlungsinstrument für digitale Kapitalmärkte.

Wie groß ist das Potenzial?

Vieles bei der Kapitalanlage ist heute Infrastrukturarbeit, etwa bei der Abwicklung von Kauf oder Verkauf, bei der Wertpapierverwahrung oder ähnliches. Aber in einigen Jahren wird niemand mehr verstehen, warum man für ein solches Geschäft so viel Zeit brauchte. Wenn Assets digitalisiert sind, müssen auch Abwicklung und Zahlung digital erfolgen. Und darin liegt großes Potenzial. Das sieht übrigens auch der Markt so: In den USA sehen wir mit dem Börsengang von Circle, welche Bewertungen Stablecoin-Anbieter erzielen. Auch wenn Europa noch hinterherhinkt: AllUnity ist für uns auch eine Wette auf die europäische digitale Souveränität.

Und wo steht die DWS im Jahr 2030?

Uns geht es nicht um Größe, sondern um Profitabilität, vor allem aber um Relevanz für unsere Kundinnen und Kunden. Etwa, indem wir für sie zur ersten Adresse werden, wenn sie in Europa investieren wollen – wir nennen das „#GatewayToEurope“. Oder wenn sie von der Zukunft der Finanzdienstleistung profitieren wollen, sei es über digitale Vertriebskanäle, Tokenisierung von Assets oder die intelligente Nutzung von KI. Wir haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass wir im internationalen Vergleich aufholen können. Jetzt geht es darum, auch zu überholen.

Das Interview führte Wolf Brandes.