EU-Taxonomie

Keine Technokratisierung bei der Nachhaltigkeit

Auch wenn die EU-Taxonomie, die darauf abzielt, nachhaltige Investments und Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren, erst ab Anfang 2022 umfassend Anwendung finden soll, gelten bereits ab heute gemäß der Sustainable Finance Disclosure Regulation...

Keine Technokratisierung bei der Nachhaltigkeit

Auch wenn die EU-Taxonomie, die darauf abzielt, nachhaltige Investments und Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren, erst ab Anfang 2022 umfassend Anwendung finden soll, gelten bereits ab heute gemäß der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) entsprechende Offenlegungspflichten für Finanzdienstleister. Demnach müssen zum Beispiel Anbieter von Finanzprodukten ihr Angebot in nachhaltige, besonders nachhaltige oder nicht nachhaltige Kategorien einteilen sowie eventuell nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeit in ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Sollten sie Nachhaltigkeitsrisiken nicht berücksichtigen, müssen sie dies eigens begründen.

Taxonomie und Offenlegungsverordnung zusammen werden Anleger besser in die Lage versetzen, ihre Investments unter ESG-Gesichtspunkten zu steuern. Die Taxonomie gibt einen klaren Referenzpunkt für ökologisch nachhaltige Investments und schafft Anreize für Assetmanager, die Kapitalallokation in Richtung ökologisch nachhaltiger Aktivitäten voranzutreiben.

Fraglich ist jedoch, ob diese regulatorische Entwicklung das Anlegerverhalten an sich grundlegend verändern wird. Pensionskassen, Versicherer und andere große Investoren legen ihre Investitionsziele anhand ihrer Verpflichtungen gegenüber den Berechtigten, ihrer Risikovorgaben, der Renditeziele, der Werte ihrer Kunden und der makroökomischen Gegebenheiten fest. Hinzu kommen Vorgaben über den Zeithorizont. Im konkreten Investmentmanagement haben die Top-down-Vorgaben von supranationalen Organisationen wohl das operative Umfeld und das Marktvertrauen beeinflusst, aber nicht das Anlageziel selbst bestimmt. Auch politische Errungenschaften wie etwa die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (UNSDG) geben nur ein Rahmenwerk, an dem sich Investmententscheidungen orientieren können.

Ähnlich sollte es mit dem Inkrafttreten der Taxonomie und SFDR sein. Die großen Kapitalsammelstellen werden die bessere ESG-Produktklassifizierung und Transparenz in der Berichterstattung begrüßen, weil es ihnen bei der Auswahl von Managern für ihre nach nachhaltigen Kriterien zu verwaltenden Assets hilft. Aber der Abbau von Beteiligungen mit hohen Umweltrisiken ist ohnehin eine Kernaufgabe des Risikomanagements und würde auch ohne Taxonomie geschehen. Insofern sehen wir die Regulierung gar nicht als den entscheidenden Treiber für die Umschichtung von Kapital in „grüne“ Technologie und den Übergang zu einer CO2-ärmeren Wirtschaft.

Es werden dadurch auch keine neuen Investitionsmöglichkeiten geschaffen. Im Gegenteil: Wenn sich viele Investmentprodukte darauf beschränken, alles, was laut Taxonomie nicht ökologisch verträglich ist, aus ihren Portfolios zu verbannen, kann es sein, dass Kapital, das Unternehmen für ihre Umstellung zu nachhaltigerem Wirtschaften brauchen, dank gut gemeinter Regulierung an ihnen vorbeigeleitet wird. Zumal es in der Taxonomie am Anfang nur um Klimaaspekte, nicht jedoch um das „S“ und das „G“ in ESG gehen wird. Und was passiert, wenn ein Wertpapier gemäß der Taxonomie zwar das „E“-Siegel bekommt, aber nicht zum Investmentprozess und zum Renditeziel einer bestimmten Strategie passt? Sind diese Ziele eines Investors automatisch nachrangig gegenüber den Klimazielen?

Schutz vor „Greenwashing“

Dennoch wird die Regulierung einen positiven Effekt entfalten, indem sie das sogenannte Greenwashing erschwert. Durch höhere Transparenz und Klarheit werden die „Eintrittsbarrieren“ höher, und Assetmanager können nicht mehr so einfach wie heute ein ESG-Label auf ihre Investmentprodukte kleben. Eine solche Bereinigung ist zu begrüßen, verschafft sie doch wohl jenen Vermögensverwaltern einen Wettbewerbsvorteil, deren ESG-Anspruch und -Expertise höher sind.

Bevor Anforderungen an ESG-Produkte durchgesetzt werden können, müssen sie auf eindeutig festgelegten Definitionen und Kriterien beruhen. Hier wird die Taxonomie sicherlich dazu beitragen, eine regional einheitliche Sprache zu finden. Doch die dahinter liegende Methodik, welche Aktivitäten als nachhaltig einzustufen sind und welche nicht, ist tatsächlich sehr komplex und schwer handhabbar geworden.

Auch ist die enorme Fülle an Daten, die Unternehmen und Finanzmarktakteure offenlegen sollen, derzeit noch gar nicht in der nötigen Qualität vorhanden. Die Berichte, die große Unternehmen aktuell auf Basis der „Non-Financial Reporting Directive“ (NFRD) erstellen, sind mit den neuen Anforderungen in vielen Fällen noch gar nicht harmonisiert. Die Standardsetzer für die internationalen IFRS-Rechnungslegungsregeln beispielsweise arbeiten hier bereits an entsprechenden Vorgaben.

Der „European Green Deal“ ist ein ehrgeiziges Projekt. Regulierung tut jedoch gut daran, sich auf die Formulierung von Mindeststandards und Berichtspflichten fokussieren. Wenn die Taxonomie dazu beiträgt, diese zu einer möglichst klaren, einfachen und anwendbaren Systematik weiterzuentwickeln, ist bereits viel erreicht. Fraglich ist jedoch, ob es gut ist, dass der Taxonomie ein so starker Lenkungsanspruch mit auf den Weg gegeben wurde. Finden die für das Design einer Investmentstrategie so wichtigen Kriterien wie der Zeithorizont, die Umschlagshäufigkeit, der Risikoappetit und die Auswahl des zur Verfügung stehenden Investmentuniversums noch genügend Berücksichtigung – in einer Regulierung mit Lenkungscharakter? Oder kommt es nicht dazu, dass grundsätzlich vernünftige Strategien an den Rand gedrängt werden?

Und umgekehrt: Wird nicht ein Run auf als „taxonomiekonform“ gelabelte Wertpapiere eintreten – mit dem Risiko, dass dafür der Anleger am Ende einen zu hohen, sprich: fundamental nicht mehr gerechtfertigten Preis zahlt? Dann könnte der Privatanleger und Pensionsempfänger am Ende gegenteiligen Effekten einer gut gemeinten Regulierung ausgesetzt sein.

Es besteht kein Zweifel, dass Investoren verlässlichere und standardisierte Daten sowie mehr Offenlegung zu wesentlichen ESG-Themen benötigen. Deshalb sind EU-Rahmenwerke wie die Taxonomie und die SFDR nützlich, sollten aber den ESG-Integrationsprozess nicht technokratisieren. Vor allem sollten sie Investoren nicht daran hindern, Wertpapiere aus einem ganzheitlichen Blickwinkel zu bewerten. Ökologische, soziale und ökonomische Aspekte sind gegeneinander abzuwägen – das sollten sich die EU-Behörden bei der Auslegung und Weiterentwicklung der Taxonomie vor Augen führen.