Neue Investitionskultur gefordert

„Mehr Kapital in Europa – das ist eine Win-Win-Situation“

Ersparnisse in Billionenhöhe liegen ungenutzt auf Konten – dabei braucht Europa dringend Kapital. Finanzexperten fordern: Bürokratie abbauen, Kapitalmärkte stärken, Teilhabe ermöglichen. Der Umbau gelingt nur mit einer neuen Investitionskultur.

„Mehr Kapital in Europa – das ist eine Win-Win-Situation“

„Mehr Kapital in Europa – das ist eine Win-Win-Situation“

Warum Europas Stärke im Kapitalmarkt liegt – Diskussionen und Strategien beim Euro Finance Summit

wbr Frankfurt

Im Zentrum der aktuellen finanzpolitischen Debatte steht die Frage, wie sich privates Kapital effizienter für wirtschaftliche Transformationen mobilisieren lässt. Mit Blick auf Europa betonen Vertreter aus Finanzwirtschaft die Dringlichkeit struktureller Reformen, um langfristig Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Wohlstand zu sichern. Dabei wird insbesondere die Aktivierung der in Europa ruhenden privaten Ersparnisse als zentrales Handlungsfeld benannt.

Enormes Potenzial

Mehr als 3 Bill. Euro liegen allein in Deutschland auf Spar- und Sichtkonten – ein enormes Potenzial, das bislang kaum produktiv genutzt wird. „Wenn wir es in Europa schaffen, mehr Kapital aufzubauen – vor allem auch in Europa selbst –, ist das eine Win-Win-Situation“, sagt die Kapitalmarktvorständin der DZ Bank, Souâd Benkredda. Die Notwendigkeit, diese Mittel in renditestärkere und wachstumsfördernde Kanäle zu lenken, wird mit Blick auf demografische Herausforderungen, den Investitionsbedarf in Klimaschutz, Digitalisierung und Sicherheit sowie die internationale Wettbewerbsdynamik breit geteilt.

Dabei gehe es nicht nur um Finanzierungsfragen, sondern auch um Teilhabe. Es gehe um eine breite Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt, insbesondere über Kapitalanlagen und Vorsorgemodelle, betont Stephan Leithner (Deutsche Börse Group). Die Diskussion um neue Modelle der Altersvorsorge – beispielsweise aktienbasierte Pensionssysteme – sei deshalb nicht nur finanz-, sondern auch gesellschaftspolitisch relevant.

Mahnung zum Handeln

Zahlreiche Stimmen mahnen jedoch, dass Europa – trotz positiver Initiativen wie der geplanten Savings and Investment Union – beim Aufbau effizienter Kapitalmärkte hinterherhinkt. „Das Kind hat jetzt einen neuen Namen, aber es ist nichts anderes als die Kapitalmarktunion“, meint Lutz Diederichs (BNP Paribas Deutschland) nüchtern. Solange in der EU das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, sei ein echter Durchbruch schwierig – es bestehe ein grundlegendes „Governance-Problem“. Auch Matthias Voelkel (Börse Stuttgart Group) warnt davor, auf Brüssel zu warten: „Deutschland kann nicht auf die Vollendung der Kapitalmarktunion warten – wir müssen auch national handeln.“

In den Blick gerät deshalb verstärkt der nationale Handlungsspielraum. Der Appell: Bürokratie abbauen, steuerliche Anreize setzen, digitale Infrastruktur stärken. Ohne funktionierenden Kapitalmarkt sei die Agenda 2030 nicht zu realisieren. Die Beispiele erfolgreicher Kapitalmarktkulturen – etwa Schweden – zeigen, dass auch europäische Lösungen funktionieren können. Dort ist die private Beteiligung am Kapitalmarkt deutlich höher, IPOs florieren. „Schweden ist auch ohne Kapitalmarktunion vorangekommen – wir müssen erst mal zu Hause anfangen“, mahnt Leithner.

Europa muss nachziehen

Zudem wird auf die strukturelle Schwäche Europas in Zukunftsmärkten verwiesen – etwa bei Kryptowährungen, digitalem Euro oder verteidigungsrelevanter Industrie. Der Ausbau eines eigenständigen europäischen Finanzplatzes, etwa in Frankfurt, sei unerlässlich. Die USA dominieren in Bereichen wie Krypto-Infrastruktur und privater Kapitalbildung. Europa müsse hier nachziehen, um Souveränität und strategische Handlungsfähigkeit zu sichern.

Einigkeit herrscht darüber, dass die Mobilisierung privaten Kapitals nicht isoliert als finanztechnische Maßnahme betrachtet werden darf. Sie ist verknüpft mit einem Denken, das Mut zur Umsetzung, Vertrauen in Marktmechanismen und Offenheit für neue Formen von Industrialisierung und Kapitalbeteiligung erfordert. „Wir brauchen einen starken Finanzplatz – das ist eine von drei Säulen der Transformation neben öffentlichem und privatem Geld“, betont Eddy Henning (ING Deutschland). Und Diederichs fordert: Deutschland müsse sich besser verkaufen – insbesondere durch Rechtssicherheit, Planbarkeit und eine überzeugende wirtschaftliche Erzählung.

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