Agiles Manifest

Mit Agilität gut gerüstet für regulatorische Vorhaben

Wer wirklich agil arbeitet, gewinnt an Tempo und an Möglichkeiten, flexibel auf sich verändernde Prioritäten zu reagieren. Er erhöht die Effizienz. Das prädestiniert das agile Vorgehen geradezu für Regulatorik-Projekte.

Mit Agilität gut gerüstet für regulatorische Vorhaben

Agilität in Regulatorik-Projekten – funktioniert das? Skeptiker sagen Nein und argumentieren, Aufsichtsanforderungen seien komplex und die Agenda zeitkritisch. Damit benennen sie genau die Punkte, für die agile Vorgehensweisen Vorteile bringen, wenn sie richtig angewendet werden.

Vor gar nicht so langer Zeit erst feierte es seinen 20. Geburtstag: das agile Manifest. Software-Experten formulierten 2001 vier Leitsätze, mit denen Projektteams schneller und besser neue, funktionierende Anwendungen entwickeln können sollen. Seitdem hat agile Zusammenarbeit zunehmend die Unternehmenswelt erobert. Auch in immer mehr Banken und bei anderen Finanzdienstleistern wird großflächig agil zusammengearbeitet.

Ein in Banken besonders stark geforderter Projekttyp steht dabei bislang allerdings in der Regel außen vor: Für regulatorische Vorhaben scheint vielen ein agiles Setup nach wie vor unpassend. Vielen Verantwortlichen kommt es zu gewagt vor, anspruchsvolle regulatorisch motivierte Vorhaben mit klaren aufsichtsrechtlichen Anforderungen und Erwartungen mit einem agilen Vorgehensmodell zu bearbeiten.

Die Bedenkenträger

„Die genauen Projektbausteine stehen bei solchen Vorhaben am Anfang doch noch gar nicht fest“ oder „Was passiert, wenn wir nicht in der vorgegebenen Zeit fertig werden und die Frist nicht einhalten?“ So oder ähnlich argumentieren die Skeptiker, die ein klassisches Projektmanagement beibehalten wollen. Ein anderer Einwand, den wir oft hören, ist der, dass es den Mitarbeitenden an Erfahrung mit agilen Methoden fehle.

Dabei treffen sie mit diesen Bedenken genau den Kern der Vorteile von Agilität: Wer wirklich agil arbeitet, gewinnt an Tempo und an Möglichkeiten, flexibel auf sich verändernde Prioritäten zu reagieren. Er erhöht die Effizienz. Das prädestiniert das agile Vorgehen geradezu für Regulatorik-Projekte.

Tatsache ist: Verbreitet ist agiles Arbeiten weiter vor allem in der Software-Entwicklung und der IT. Mehr als acht von zehn IT-Projekten (86%) werden heute agil umgesetzt, ergab der erst kürzlich erhobene „15th State of Agile Report 2021“ von Digital.ai, für den Unternehmen aus verschiedenen Branchen vornehmlich in Nordamerika und Europa befragt wurden. Ihre Antworten zeigen aber auch: Agile Arbeitsmethoden finden immer häufiger außerhalb von IT-Projekten­ oder -Unternehmen Anwendung.

Unternehmensbereiche wie Marketing, Human Resources oder Vertrieb übernehmen mittlerweile agile Arbeitsmethoden wie Scrum, und das in verschiedensten Branchen. Heute ist agile Transformation zum Beispiel in der Finanzindustrie viel mehr als ein bloßes Trendthema – sie ist aus der Branche nicht mehr wegzudenken, geht aus der KPMG-Studie „Finanzinstitute in der agilen Transformation – Herausforderungen und Best-Practice-Lösungen“ (2022) hervor. In einigen der befragten Unternehmen sind ganze Unternehmensteile bereits agil aufgestellt.

Die Nachfrage nach flexiblem, selbstbestimmtem Arbeiten unabhängig von Ort oder technischen Restriktionen – „New Work“ – und die Digitalisierung treiben diese Entwicklung weiter voran. Das spiegelt sich in den Gründen wider, die Unternehmen für ihre Wahl agiler Methoden nennen: Sie suchen nach mehr Flexibilität in Projekten mit sich ändernden Prioritäten, schnelle Lieferfähigkeit und eine erhöhte Produktivität.

Prozesse beschleunigen

Auch eine bessere, engere und schnellere Abstimmung zwischen Fachbereich und IT wird genannt – ein wohl erfolgskritischer Aspekt in technisch getriebenen Aufsichtsprojekten. Und es stimmt: Agiles Vorgehen ermöglicht die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Welten. Das zeigt auch unsere Erfahrung aus vielen Jahren der agilen Projektbegleitung in der Finanzindustrie: Fachbereich und IT arbeiten gemeinsam in agilen Teams, bedienen sich agiler Eventstrukturen, tauschen sich täglich in einem Daily und bei der Entwicklung aus, nutzen gemeinsam agile Artefakte und schaffen so Transparenz über die gemeinsame Umsetzungsvision und die Roadmap.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Agilität als Form der Zusammenarbeit beschleunigt die Aufgabenverteilung in Teams und treibt automatisierte Prozesse voran. Außerdem macht sie Arbeits- und Projektfortschritte transparenter, indem zum Beispiel regelmäßig und zeitnah Feedback eingeholt wird – das verringert auch das Risiko von Fehlentwicklungen. Mitarbeitende sind besser informiert und dadurch motivierter. Das kann die Teamproduktivität steigern und Kosten reduzieren.

Wegfall von Schnittstellen

Unsere KPMG-Studie zur Agilität hat gezeigt: Finanzinstitute versprechen sich vom Einsatz agiler Methoden vor allem Kosteneinsparungen, schnelles Feedback und die Vereinheitlichung von Priorisierungen durch den Wegfall von Schnittstellen. Komplexität wird reduziert, die Time-to-Market sinkt, die Innovationsfähigkeit steigt und das Unternehmen wird attraktiver für Mitarbeitende.

Häufig stehen diesem Gewinn aber Transformationskosten gegenüber sowie historisch gewachsene Strukturen und an manchen Stellen eine gewisse Digitalisierungsträgheit. Oft geäußert wurde in der Befragung die Befürchtung einer „kulturellen Überforderung“ – Mitarbeitende sollen sich nicht urplötzlich von einer gewohnten Arbeitsweise zu einer gänzlich neuen umstellen müssen.

Hürden sind also weiter vorhanden. Aber auch wenn Finanzinstitute ihre Regulatorik-Projekte noch nicht komplett auf Agilität umstellen möchten, können einzelne agile Prinzipien und Aspekte aus agilen Methoden Schritt für Schritt eingebunden werden. Bereits diese fünf Schritte können großen Mehrwert stiften:

Bilden Sie ein Kernteam, das die regulatorischen Anforderungen verfolgt, deren Auswirkungen bewertet und mit den Aufsichtsbehörden zusammenarbeitet – es übernimmt die Kommunikation.

Definieren Sie ein einheitliches Framework zur Bewertung der regulatorischen Änderungen und ihren Auswirkungen, deren Wirkung auf Prozesse und Systeme und den Zeitrahmen für das jeweilige Vorhaben. Berichten Sie regelmäßig über den Fortschritt der Zielerreichung.

Verwenden Sie dieses Framework, um das eigene Backlog (Liste der Anforderungen) streng zu priorisieren. Konzentrieren Sie sich auf die User Stories (formulierte Anforderung – wer möchte was und warum), die wichtig sind. Nutzen Sie agile Forecast-Optionen.

Bringen Sie alle Beteiligten regelmäßig zu gemeinsamen Planungs- oder Update-Sitzungen (zum Beispiel „Dailys“) zusammen und besprechen Sie die zu erfüllenden Anforderungen. Das wird die Kommunikation und Zusammenarbeit erheblich verbessern.

Setzen Sie die Vorgaben Stück für Stück („iterativ“) um und holen Sie frühzeitig Feedback ein, auch von den Aufsichtsbehörden. Testen Sie Teilergebnisse frühzeitig mit möglichst vielen Beteiligten.

Wichtig: Ohne die Verinnerlichung der agilen Werte wie Transparenz, Offenheit und Vertrauen bei den Mitarbeitenden ist ein (teil-) agiles Vorgehen oft zum Scheitern verurteilt. Nur wenn Führungsebenen langfristig Verantwortung abgeben und auf die Teams umverteilen, kann man mit Agilität von allen Vorteilen profitieren – und sicher und flexibel die anforderungsreichen Projekte der kommenden 20 Jahre steuern.