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Mustier zieht Konsequenzen und schmeißt hin

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 2.12.2020 Jean Pierre Mustiers Abgang schlug ein wie eine Bombe in Italiens Bankenwelt. Die scharfe Form, in welcher der Unicredit-CEO seinen Rücktritt begründete, macht deutlich, dass im Mailänder...

Mustier zieht Konsequenzen und schmeißt hin

Von Gerhard Bläske, MailandJean Pierre Mustiers Abgang schlug ein wie eine Bombe in Italiens Bankenwelt. Die scharfe Form, in welcher der Unicredit-CEO seinen Rücktritt begründete, macht deutlich, dass im Mailänder Unicredit-Tower zuletzt alles andere als Harmonie herrschte. “Während der vergangenen Monate ist klar geworden, dass die aktuelle Strategie ,Team 23` und ihre wichtigsten Bestandteile nicht mehr der aktuellen Denkweise des Verwaltungsrates entsprechen.” Das saß. Der Aktienkurs rauschte in den Keller, Analysten revidierten ihre Prognosen nach unten. Und bei Unicredit beginnt die Suche nach einem Nachfolger. Mustier will so lange bleiben, bis einer gefunden ist – längstens bis zum Ablauf seines Vertrags im April.Der 59-Jährige hat klare Überzeugungen und ist konsequent. Da kann Italiens Regierung noch so sehr darauf dringen, dass Unicredit die Skandalbank Monte dei Paschi di Siena (MPS) übernimmt, und eine Mitgift von vielen Milliarden Euro drauflegen. Mustier lehnte die Idee von Anfang an ab, weil er weitere Belastungen vermutet und staatlichen Einfluss auf Banken verabscheut.Dass der Franzose bei Unicredit lange Zeit so viele Freiheiten hatte, lag nur daran, dass er die Bank vor dem Kollaps rettete, nachdem er im Juli 2016 ihr CEO geworden war. “Es gab ein Systemrisiko”, sagt er. Mustier stellte alles auf den Kopf. Nach einem hohen zweistelligen Milliardenverlust stopfte er die bestehende Kapitallücke mit einer gigantischen Kapitalerhöhung von 13 Mrd. Euro. Er stieß ohne Rücksicht auf Verluste faule Kredite ab, verkaufte die Beteiligung an der polnischen Bank Pekoa, der Investmentbank Mediobanca, der Online-Bank Fineco und dem Vermögensverwalter Pioneer. Und nachdem in einer ersten Runde 14 000 Jobs abgebaut wurden, sollen weitere 8 000 Jobs wegfallen.Mustier machte Unicredit wieder zu einer ertrags- und kapitalstarken Bank. Doch er verlor zuletzt zunehmend an Rückhalt. Der Absolvent der Eliteschulen École polytechnique und École des mines hat als ehemaliger Fallschirmspringer gelernt, durch das eigene Vorbild zu führen. “Das verlangt viel Selbstdisziplin. Man darf sich keine Fehler erlauben”, sagte er einmal der Börsen-Zeitung. Mustier verkaufte den Firmenjet, fährt einen Fiat 500. Er fliegt Economy und verzichtet auf einen Teil seines Gehalts. Auch von seinen Mitarbeitern verlangte er stets volles Engagement.Was anfangs ein Vorteil für ihn war, nämlich, dass er als Nicht-Italiener keine Rücksicht auf alte Seilschaften und die Politik nehmen musste, um die Bank zu retten, geriet ihm nun zum Nachteil. Pier Carlo Padoan – Ex-Abgeordneter aus Siena, wo die MPS ihren Sitz hat -, der die Bank 2017 als damaliger Wirtschaftsminister mit einer staatlichen Milliardenspritze “rettete”, kam in den Verwaltungsrat und soll neuer Chairman werden. Der politische Druck, die Bank zu übernehmen, wuchs. Und sein Projekt, die ausländischen Aktivitäten in eine Sub-Holding mit Sitz in Deutschland zu verlagern, um die Funding-Kosten zu reduzieren, musste er beerdigen.Den Großteil seiner Karriere machte Mustier bei der französischen Société Générale (SocGen). Er leitete deren Investment Banking und Assetmanagement. 2008 verzockte der Trader Jérôme Kerviel 4,9 Mrd. Euro. Mustier war sein oberster Vorgesetzter. Er kündigte. Mustier arbeitete als Berater und warb für Nichtregierungsorganisationen wie Fairtrade Mittel ein. Von 2011 bis 2014 leitete er das Investment Banking von Unicredit. Mustier ist gut vernetzt, hat in London, Tokio, Hongkong, Philadelphia, Südafrika und Paris gearbeitet. Von seiner Frau, mit der er zwei erwachsene Söhne hat, die in den USA leben, hat er sich getrennt. Sorgen um seine berufliche Zukunft muss sich Mustier nicht machen: Erst im Frühjahr hat er den Chefposten bei der HSBC abgelehnt.Seine Nachfolge bei Unicredit ist offen: Mögliche Kandidaten sind BPM-CEO Giuseppe Castagna, Mediobanca-Chef Alberto Nagel, Verwaltungsratsmitglied Diego De Giorgi, Ex-MPS-Chef Marco Morelli, der frühere Ubi-Banca-Chef Victor Massiah und Marina Natale, Ex-CFO von Unicredit und derzeit an der Spitze der staatlichen Bad Bank Amco.