Regulierung mit Augenmaß, nicht „Augen zu“
Regulierung mit Augenmaß, nicht „Augen zu“
Von einem leistungsfähigen Bankensektor hängt die Zukunftsfähigkeit Europas ab. Doch überzogene Regulierung droht, diese Kraftquelle zu lähmen. Europa steht vor gewaltigen Herausforderungen und damit verbundenen Investitionserfordernissen – beispielsweise in Infrastruktur, Digitalisierung, Klimatransformation und Wohnraum. Der Staat kann diese Aufgaben nicht alleine stemmen – privates Kapital muss mobilisiert werden. Banken sind dafür die zentralen Akteure. Sie können entsprechende Finanzierungsvolumina bereitstellen und Kapitalmarkttransaktionen strukturieren. Diese Aufgabe nehmen sie gerne an, aber die Regulierung muss ihnen das auch erlauben.
Aus dem Ruder gelaufen
Seit der Finanzkrise wurde der Bankensektor umfassend reguliert. Vieles war notwendig und richtig – Europas Banken sind heute stabil und resilient. Das stellen sie regelmäßig unter Beweis und wird auch immer wieder von Politik und Aufsicht bestätigt. Doch statt einmal innezuhalten und das Erreichte zu evaluieren, wird munter weiter reguliert. Die Folge: immer höhere Eigenkapitalanforderungen, falsche Anreize, sinkende Kreditverfügbarkeit.
Das Regelwerk Basel III ist ein Paradebeispiel: Europa setzt die Vorgaben aus Basel nahezu 1:1 um – anders als die USA, Kanada oder Großbritannien. Im Ergebnis drohen gravierende Wettbewerbsnachteile für europäische Banken und eine weitere Verlagerung von Geschäft in weniger oder gar nicht regulierte Sektoren, in denen sich neue Risiken für das Finanzsystem aufbauen. Um zu vermeiden, dass die Finanzstabilität leidet und die Realwirtschaft Europas spürbar höhere Finanzierungskosten stemmen muss als in anderen relevanten Märkten, sind Anpassungen am Basel III-Regelwerk dringend erforderlich.
Output Floor festschreiben
Ein Weg, um den nicht sachgerechten Anstieg der Eigenkapitalbelastung auf ein annehmbares Level zu reduzieren, wäre eine Fixierung des Output Floors unterhalb der vorgesehenen 72,5%. Bei nachweislich besonders sicheren Wohnimmobilienkrediten muss die zeitlich befristete Privilegierung dauerhaft gewährt werden; vergleichbar sichere Gewerbeimmobilienfinanzierungen verdienen eine vergleichbare Behandlung.
Geradezu absurd sind Risikogewichte von 150% für Projektentwicklungen (ADC-Finanzierungen) – sie werden damit wie ausgefallene Kredite behandelt. Das ist nicht nur unsachgemäß, es konterkariert auch politische Ziele wie die Schaffung bezahlbaren Wohnraums oder die flächendeckende nachhaltige Transformation des Gebäudebestands.
Zinswende weitgehend verdaut
Diskretionäre makroprudenzielle Maßnahmenwie der nationale sektorale Systemrisikopuffer für Wohnimmobilien in Deutschland sind sachlich ebenfalls nicht begründbar. Die Kredit- und Preisdynamik ist längst abgeflaut, die Zinswende weitgehend verdaut. Regulatorische Maßnahmen, denen es an einer sachlichen Begründung fehlt, müssen entfallen.
Um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Banken zu erhalten, gilt es falsche Anreize vermeiden. Das bedeutet: Kein starres Festhalten an einer 1:1-Umsetzung von Basel-III in Europa, wenn der Rest der Welt eine andere Richtung nimmt1Wenn der Rest der Welt eine andere Richtung nimmt. Um es den Banken zu ermöglichen, die Realwirtschaft bestmöglich mit Finanzierungen zu unterstützen, muss ein weiterer Anstieg der Eigenkapitalbelastung eingeschränkt werden.
Gerade in Deutschland sollten wichtige gesellschaftspolitische Ziele nicht durch überschießende Regulierung konterkariert werden. Der Fokus gehört auf den Wohnungsmarkt und die nachhaltige Transformation. Die bestehenden gehören auf den Prüfstand, bis dahin braucht es ein Moratorium.
Kurskorrektur nötig
Um unseren Planeten lebenswert zu erhalten, ist ist eine entschlossene nachhaltige Transformation unabdingbar. Dies wird nicht ohne von Politik und Regulierern gesetzte Leitplanken möglich sein. Wesentliche Teile der bestehenden Nachhaltigkeitsregulierung tragen hierzu aber nicht bei. Viele Sustainable-Finance-Vorgaben der EU sind völlig realitätsfern. Sie definieren Endzustände, statt Übergänge zu fördern. Und sie widersprechen sich – etwa Taxonomie („Best-in-Class“-Ansatz) und EPBD („Worst-First“-Ansatz).
Zudem sind die Vorgaben überkomplex und verlieren sich in Details: Ein an sich völlig energieeffizientes Gebäude gilt als nicht nachhaltig, wenn etwa der Wasserdurchfluss einer Duscharmatur zu hoch ist. Ein grundlegender Kurswechsel tut Not. Der Fokus muss auf die Transition, statt allein auf den wünschenswerten Endzustand gelegt werden. Es müssen erreichbare (Zwischen-)Ziele definiert werden. Ansonsten wird die Transformation unfinanzier- und unbezahlbar. Die bislang von der EU-Kommission eingeleiteten Omnibus-Verfahren zur Vereinfachung sind ein erster Schritt, nicht mehr.
Nachhaltigkeit ist ein Weg, kein Ziel
Grundsätzlich sollte Transition vor Perfektion gehen. Denn Nachhaltigkeit ist ein Weg, kein Zustand. Die verschiedenen Regelwerke gehören harmonisiert, Widersprüche beseitigt und Kohärenz geschaffen. Vorgaben müssen praxistauglich sein: DNSH-Kriterien sollten als Orientierung dienen, nicht als Ausschluss. Und schließlich gilt es, die Berichtspflichten zu entschlacken. Ziel der ESG-Regulierung sollte es sein, Veränderung zu incentivieren.
Die Kreditwirtschaft steht bereit, die nötigen Infrastrukturmaßnahmen und die nachhaltige Transformation zu finanzieren. Aber sie muss auch gelassen werden. Die Politik – national wie europäisch – muss jetzt handeln: evaluieren, entschlacken, neu kalibrieren. Denn Deutschland braucht gerade jetzt starke Banken – als Finanzierer und Partner für Wachstum und Wandel.