Matt Briers, Wise

„Unser Risiko ist sehr kurzfristiger Natur“

Wise-Finanzchef Matt Briers hofft nicht, dass sein Laden von einer Großbank übernommen wird. Er arbeitet daran, dass die Institute grenzüberschreitende Transaktionen mit Hilfe seines Unternehmens abwickeln.

„Unser Risiko ist sehr kurzfristiger Natur“

Andreas Hippin.

Herr Briers, das Listing von Wise in London ist etwas unglücklich verlaufen, wenn man sich die Kursentwicklung betrachtet. War das so geplant?

Das hatten wir natürlich nicht im Sinn. Ich glaube jedoch nicht, dass es ein schlechter Zeitpunkt war. Wir haben uns für ein Direktlisting entschieden.

Was ist der Unterschied?

Das Schöne an einem Direktlisting ist: Niemand muss kaufen oder verkaufen. Bei einem herkömmlichen IPO wollen die Eigentümer in der Regel 25 % der Aktien platzieren. Der Preis wird in einem Hinterzimmer in der Nacht vor dem Listing von den Konsortialbanken vereinbart.

Oder in letzter Minute im Handelsraum.

Ja, es ist ein extrem künstlicher Preis. Man muss ihn niedrig ansetzen, weil Anleger schnell Geld machen wollen, indem sie am nächsten Tag verkaufen. Das macht die Verkäufer unglücklich. Die Aktionäre, die man so bekommt, sind überwiegend Zocker, die ihre Anteile an jemand anderen weiterreichen. Warum das ein vernünftiges Modell sein soll, ist mir unklar. Es funktioniert nur, wenn man Kapital einsammeln muss.

Aber das mussten Sie nicht.

Wise ist seit mehr als fünf Jahren ein profitables Unternehmen und wächst aus eigener Kraft. Wir haben in den Jahren vor dem Listing sehr hart daran gearbeitet, damit wir kein Geld auf diese Weise einsammeln müssen.

Warum?

Aktuell ist es für Unternehmen schwerer geworden, Geld einzusammeln – für einige gar unmöglich. Es ist für ein Unternehmen ziemlich gefährlich, davon abhängig zu sein. Also haben wir uns für ein Direktlisting entschieden und sind im Rückblick auch sehr stolz darauf. Der Preis wurde vom Markt in einer Auktion mit Käufern und Verkäufern entschieden. Ich habe ihn also nicht festgelegt. Das wäre gar nicht möglich gewesen. Market Timing ist nicht unsere Aufgabe. Den niedrigsten Preis für Wise gab es 2010.

Es gab also niemanden, der die Gelegenheit zum Ausstieg nutzen wollte?

Wir haben langfristig orientierte Investoren. Aber unsere Aktien waren privat und illiquide. Nun werden sie öffentlich gehandelt und sind liquide. Man muss sich nicht mehr entscheiden, an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Monat oder Jahr zu verkaufen. Sondern man hat jederzeit die Option. Wer als Risikokapitalgeber zehn Jahre dabei ist, braucht vielleicht auch einmal ein bisschen Liquidität, um seine Anleger zufriedenzustellen.

Oder seine Airline hat Probleme. Richard Branson ist doch einer der Investoren.

Er hat nur einen kleinen Anteil. Das war also sicher nicht der Grund, warum wir heute ein an der Börse gelistetes Unternehmen sind.

Jetzt könnte Wise natürlich auch jederzeit Kapital aufnehmen.

Das brauchen wir nicht. Wir erwirtschaften jedes Jahr eine gesunde Menge Cash. Wir haben seit 2017 kein Geld mehr eingesammelt. Wir könnten es wohl auch derzeit schaffen, weil wir rentabel sind.

Sie haben die Gebühren für Transaktionen in bestimmten Währungen erhöht. Hat das mit der Volatilität an den Märkten zu tun?

Unsere Preisgestaltung funktioniert so: Wir ermitteln, was uns eine Transaktion kostet, und fügen unsere kleine Marge hinzu, die wir in den Ausbau und die Verbesserung unserer Plattform investieren. Wenn uns eine Transaktion in einem Markt weniger kostet, wird sie für die Kunden billiger. Wir quersubventionieren keine Märkte oder Produkte. Die Kosten teilen sich in operative Kosten und Transaktionskosten für Zahlungssysteme und den Geldwechsel. Die Kosten für den Währungsumtausch sind ziemlich volatil. Wenn die Volatilität groß ist, kostet der Handel mehr. Man kann größere Gewinne und Verluste dabei machen. Wenn die Volatilität niedrig ist, reichen wir die Einsparungen nach Möglichkeit an unsere Kunden weiter.

Wie machen das Banken und andere Zahlungsabwickler?

Bei einer typischen Bank oder grenzüber­schreitenden Zahlungsabwicklern sieht man diese Kosten normalerweise nicht. Man bekommt einfach einen schlechteren Wechselkurs. Wir verwenden immer den Devisenmittelkurs ohne Aufschläge. Wir versuchen in solchen Zeiten, unsere Preise so wenig wie möglich zu erhöhen. Wenn man sich andere Unternehmen ansieht, weiten sie die Spreads deutlich aus, wenn die ­Volatilität zunimmt. Sie verdienen ­in Phasen hoher Volatilität also ex­trem viel Geld. Sie nutzen die Situation zu ihrem Vorteil aus, während wir nur versuchen, das Risiko zu mindern.

Wie kalkulieren Sie das Risiko? Es gab zuletzt große Kursbewegungen innerhalb eines Handelstags, wenn man Pfund in Dollar tauschen wollte.

Unser Risiko ist sehr kurzfristiger Natur. Die Hälfte aller Zahlungen werden innerhalb von zwanzig Se­kunden abgewickelt. Und insgesamt 90% aller Zahlungen werden in weniger als 24 Stunden abgewickelt. Das Risiko, dem wir ausgesetzt sind, ist die Volatilität innerhalb von ein, zwei oder drei Stunden. Ich muss mir also keine Meinung darüber bilden, wo sich eine Währung in drei bis sechs Monaten bewegen wird. Wir können auch sehr schnell sagen, wie viel uns die Volatilität auf täglicher Basis kostet.

Es gibt jetzt mit Atlantic Money einen günstigeren Anbieter.

Unser Anliegen ist es, Geldtransfers so günstig wie möglich anzubieten. Wir begrüßen neue Anbieter, die auf den Markt kommen und uns dabei helfen, dass versteckte Gebühren irgendwann einmal vollkommen abgeschafft werden. Umso mehr transparente Anbieter es gibt, umso einfacher ist es für Verbraucher, die echten Kosten zu vergleichen. So entsteht Preisdruck nach unten. Preisgünstigere Wettbewerber gab es übrigens auch schon vorher – das kommt immer auf die jeweilige Route und den Betrag an. Das zeigen wir auch bei uns auf der Seite an. Gleichzeitig möchten Verbraucher nicht nur wenig bezahlen, sondern auch, dass ihr Geld vor allem schnell beim Empfänger ankommt. Bei uns sind es heute 50% aller Transfers, die in unter 20 Sekunden auf der anderen Seite gutgeschrieben werden.

Wo sehen Sie Wachstumsfelder?

Wir haben mit grenzüberschreitenden Überweisungen angefangen. Nun haben wir den Wise Account für Privatkunden und kleine Firmen, denn wir haben festgestellt, dass viele Menschen nicht nur Geld versenden wollen, sondern es auch in unterschiedlichen Währungen empfangen, halten und ausgeben möchten. Das hat uns bei unserem Wachstum ziemlich geholfen. Heute haben wir bereits mehr als 13 Millionen Kunden. Aber wir bieten das Konto noch nicht überall auf der Welt an. In den USA, in Großbritannien, Singapur und Australien gibt es das bereits. Und unser Angebot für Geschäftskunden bauen wir stetig aus: Firmen können mit uns ihre Rechnungen schneller bezahlen, selbst Rechnungen ausstellen und bezahlt werden – aus dutzenden Währungsräumen überall auf der Welt. Etwas größere Firmen können ihren Mitarbeitern Karten geben. Wir wollen uns aber nicht ablenken lassen. Manche Unternehmen bieten eine sehr breite Produktspanne an. Wir haben ein relativ enges Angebot. Aber für jemanden, der ein internationales Leben führt, sollten wir sehr nützlich sein. Wir wollen nicht die Bank für alle und jeden sein. Banken machen in der Regel einen guten Job. Für grenzüberschreitende Transaktionen sind sie aber ziemlich schlecht.

Also kein Wealth Management?

Im vergangenen Jahr haben wir Wise Assets vorgestellt. Sie können Geld von ihrem Konto in einen Aktienfonds und hoffentlich auch bald in einen zinstragenden Fonds investieren. Wir werden jedoch bei solchen risikoarmen Produkten bleiben und keine Aktien oder Kryptowährungen anbieten. Bisher gibt es das Angebot in Großbritannien, aber wir wollen es unseren Kunden überall auf der Welt anbieten.

Bräuchte man dafür eine Banklizenz?

Nein. In Großbritannien und in Europa braucht man dafür eine Investment Firm Licence. Die haben wir. Damit können wir unseren Kunden ermöglichen, etwa einen Blackrock-Fonds zu halten.

Die Lizenz als Investmentfirma ist vermutlich leichter zu bekommen.

Genau, und sie ist für unser Geschäft auch angemessener. Wir haben eine Lizenz als Zahlungsabwickler und für Investments, einen vergleichsweise kleinen Teil unseres Geschäfts, wo wir Kunden ermöglichen, Geld zu halten oder in Fonds zu stecken.

Gehebelt wird dabei nicht.

Exakt. Wenn man dagegen an eine Bank denkt, erhält man für seine Einlagen keine Zinsen, aber sie werden von den Instituten weiterverliehen. Wir versprechen die besten Konditionen für grenzüberschreitende Zahlungen. Wenn Kunden Geld haben, können sie es investieren und damit eine Rendite erwirtschaften. Banking spielt eine wichtige gesellschaftliche Rolle, was die Verfügbarkeit von Krediten angeht. Aber das ist nicht unser Geschäft.

Wir groß ist dieser Markt? Oder ist es einfach nur die Wise-Kundenbasis?

Unsere Kunden haben uns danach gefragt und ich verstehe das. Ich bekomme mein Gehalt auf mein Konto bei Wise und kann Teile davon mit einem Klick in einen Aktienfonds investieren. Das war noch nie so einfach. Darüber denken noch nicht viele Menschen nach, aber viele wollen ihr Geld nicht über viele Anbieter wie Blackrock oder St. James’s Place verteilen, sondern würden es lieber bei Wise halten. Viele haben Geld ungenutzt auf dem Konto herumliegen. Wir hoffen, dass wir für sie einen Nutzen schaffen können. Uns geht es darum, so nützlich für die Kunden zu sein, dass sie unser Konto als Gehalts- oder Firmenkonto verwenden. Idealerweise nutzen sie es natürlich für ihr gesamtes Einkommen und geben es in verschiedenen Währungen aus, wenn sie etwa Rechnungen zahlen oder Geld an Freunde und Familie überweisen.

Wie hoch ist der Anteil der Kontobesitzer, die den Wise Account als Gehaltskonto nutzen?

Das legen wir nicht offen.

Und wie viele haben Geld auf dem Konto?

Wir hatten zuletzt Einlagen von fast 7 Mrd. Pfund. Daraus kann man die Höhe der durchschnittlichen Einlagen pro Kunden ableiten. Im Vergleich zu den Neobanken sind sie ziemlich hoch.

Das war die Zahl für das Ende März abgelaufene Jahr?

Ja, wir bekommen bald neue Zahlen. Aber das Wachstum ist hoch. Die Einlagen sind in den vergangenen beiden Jahren um 80 % gewachsen. Das zeigt, dass immer mehr Leute das Konto nutzen. Wir zählen sie erst als Kunden, wenn sie die Karte bestellt haben und eine grenzüberschreitende Zahlung vorgenommen haben. Wer sich damit nur einen Kaffee bei Starbucks geholt hat, wird nicht dazugerechnet. Wir konzentrieren uns aber nicht so sehr auf Kundenzahlen oder Einlagenhöhe. Uns geht es darum, wie viel Geld sie international bewegen. Denn da lösen wir ein Problem. Sie bewegen viel mehr Geld im Inland, aber darum geht es uns nicht. Dieser Fokus hat uns davon abgehalten, in eine ganze Reihe anderer Dinge zu investieren, die keine Probleme lösen.

Kein Interesse an Krypto?

Krypto ist ein spekulatives Werkzeug. Es ist aber keine Alternative, um Geld über Grenzen zu bewegen. Es löst also das Problem nicht. Wird es eines Tages so weit sein, dass man Geld mit Hilfe von Blockchain oder digitalen Zentralbankwährungen in alle Welt verschicken kann? Vielleicht. Aber derzeit integrieren wir unser System in die Zahlungsabwicklungssysteme von Sepa, der Bank of England und andere.

Hat schon einmal eine der großen Banken versucht, Wise zu kaufen?

Nein, bisher nicht. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein grenzüberschreitendes Transaktionsvolumen in Milliardenhöhe, an dem Sie 3 % Gebühren verdienen. Wenn Sie 10 % des Volumens verlieren, haben Sie immer noch die restlichen 90 %, die 3 % einspielen. Sie halten lieber daran fest, als diese Dienstleistung zehn Mal billiger anzubieten.

Ganz am Anfang vielleicht?

Ganz am Anfang wäre es vielleicht denkbar gewesen. Wir hätten uns aber nicht darauf eingelassen, wenn es ein Angebot gegeben hätte. Jetzt ist unsere Plattform zu groß. Manche Banken greifen bereits auf uns zurück, um den eigenen Kunden Auslandsüberweisungen anzubieten. In Europa kommt uns hoffentlich das Streben nach Transparenz zugute: Die EU hat kürzlich Transferanbieter an einen Tisch gebracht, damit Hilfsüberweisungen in die Ukraine transparent abgewickelt werden und die Kosten nicht das UN-Nachhaltigkeitsziel in Höhe von 3 % überschreiten. Auch in den USA gibt es positive Initiativen. Elizabeth Warren und Joe Biden wollen das Thema „Junk Fees“, so werden die versteckten Gebühren dort genannt, jetzt noch entschiedener angehen

Was bringt das für Wise?

Sobald Banken den Kunden zeigen müssen, was sie an einer Transaktion verdienen, kommen ihre Margen unter Druck. Sie können das selbst nicht mehr wirtschaftlich darstellen. Noch mehr Banken werden dann hoffentlich zu uns kommen und uns per API integrieren. Aber das ist noch ein langer Weg.

Das Interview führte