Warum Neubau zum Auslaufmodell werden könnte
Warum Neubau zum Auslaufmodell werden könnte
Neubau könnte zum Auslaufmodell werden
Der Geschäftsführer der Greyfield Group setzt auf Bauen im Bestand – und verweist auf Daten, die seine Sicht stützen
knd Frankfurt
Wenn Timm Sassen über den Immobilienmarkt spricht, klingt das oft sehr pessimistisch. Besonders bei Büros, bezahlbarem Wohnraum und Neubau malt der Architekt und Immobilienökonom ein düsteres Bild. Sassen ist Gründer und Inhaber der Greyfield Group in Essen, eines Projektentwicklers, der sich ausschließlich dem Bauen im Bestand widmet. „Deutschland ist fertig bebaut“, ist ein Satz, der bei Sassen immer wieder fällt. Die Zinsen sind zu hoch, Baukosten zu teuer – ganz abgesehen vom Platz lohne sich Neubau einfach nicht mehr.
Heute ist er mit dieser Meinung vielleicht nicht mehr ganz alleine. Doch es gab auch andere Zeiten. In der Anfangszeit von Greyfield seien sie eher „die Freaks der Branche“ gewesen, erzählte Sassen mal in einem Interview vor drei Jahren. Mittlerweile stützen Zahlen seine Einschätzung. Die Bundesregierung hat das Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen neu zu bauen, die vergangenen Jahre nicht erreicht. Die Zahlen sinken sogar. Dazu ist die Zahl der Baugenehmigungen seit 2021 eingebrochen.

Vor diesem Hintergrund wird das Thema Bauen im Bestand wichtiger. Wie sehr, will Sassen mit dem von seiner Greyfield Group entwickelten Greyfield-Index zeigen. Dieser setzt die Entwicklung von Bestand und Neubau in Relation zueinander. Mittlerweile wurde der Index das dritte Jahr infolge veröffentlicht.
Bauen im Bestand nimmt zu
Der Index enthält Zahlen zu Baugenehmigungen und Baufertigstellungen im Bestand und im Neubau und stellt diese nebeneinander. Und anhand der Zahlen lässt sich eine Transformation ablesen: „Das Spannende ist: Seit 2022 steigt der Index. Seitdem gewinnt der Bestand zunehmend an Bedeutung“, kommentiert Sassen. Bis dahin verlief die Kurve eher flach, nun steigt sie. Wenn sich die Entwicklung in den kommenden Jahren genauso fortsetze, sei 2028 das entscheidende Jahr, in dem es womöglich genauso viele Bauaktivitäten für Bestand wie für Neubau geben werde.
Die Zahlen, die Sassen für den Index nutzt, basieren auf Daten des Statistischen Bundesamts. Aktuell liegt der Index bei 75 Punkten. Unter 100 Punkte bedeutet, es gibt mehr Bauaktivitäten im Neubau als im Bestand. Steigt der Index über 100 Punkte, dreht sich das Verhältnis um.
Ob eher neu gebaut wird oder eher Bestand saniert wird, hänge auch mit Regionen und Städten zusammen, insbesondere mit der Qualität der Immobilien und der Bevölkerungsdichte, erklärt Sassen. Der Greyfield-Index zeigt: Vor allem Nordrhein-Westfalen entwickelt sich zur Bestandshochburg. Für Sassen ist das logisch: Gerade in dichtbebauten Städten könne nicht noch mehr neu gebaut werden. Dazu gebe es oft qualitativ hochwertige alte Häuser, die eher saniert würden. Neubau stehe eher in ländlichen Regionen im Osten im Fokus: „Ostbauten fallen leichter dem Abriss zum Opfer, das hat auch etwas mit der Bauqualität zu tun.“ Dazu gibt es dort natürlich mehr Platz.
Gegen die Meinung von Sassen sprechen auf den ersten Blick vielleicht Neubauinitiativen wie die von Deutschlands größtem Wohnungskonzern Vonovia. Allerdings haben die Bochumer andere Möglichkeiten aufgrund ihrer Größe. Um die Baukosten zu senken, baut sich der Konzern ein eigenes Ökosystem mit Dienstleistungen, das künftig wachsen soll.
Für Sassen ist das Thema Neubau nicht zu retten. Dazu wünscht er sich von der Politik mehr Ehrlichkeit in Bezug auf bezahlbaren Wohnraum. Sassen bezeichnet das Vorhaben, allen Menschen in Großstädten bezahlbaren Wohnraum anzubieten, als „Mär“. „Wer hat dieses Märchen in die Welt gesetzt?“. Bezahlbar für alle könne das schon gar nicht gemacht werden: „Wenn, dann nur mit Subventionen. Und diesem Mythos rennen wir jetzt hinterher. Hier sollten wir uns trauen, die Wahrheit auszusprechen." Eigentlich müsse die Politik der Bevölkerung an dieser Stelle reinen Wein einschenken. „Das wäre schon mal ein Anfang."
Bewertungen noch zu hoch
Für Greyfield sind derzeit gerade auch Büroimmobilien interessant. Der Leerstand ist nach wie vor hoch, die Bewertungen seien es aber größtenteils auch noch, so Sassen. Daher geht er davon aus, dass die Preise weiter sinken werden. Sassen ist davon überzeugt, dass 2026 noch mehr Bewegung in die Preise kommen wird. „Aktuell steigt unsere Ankaufspipeline stark an“, so Sassen. "Mit zunehmender Tendenz und guten Ankaufsmöglichkeiten für das kommende Jahr.“
Im Gespräch: Timm Sassen
Immobilienökonom und Architekt Timm Sassen hält Neubau für zunehmend unattraktiv. Mit seinem Greyfield-Index dokumentiert er, wie Sanieren und Bauen im Bestand an Bedeutung gewinnen. Die Zahlen zeigen: Bestand und Neubau nähern sich an – eine Entwicklung, die die Branche verändert.
