Warum Stuttgart nicht Detroit ist
Im Gespräch: Stefan Zeidler
„Kein Niedergang wie in Detroit"
Vorstandschef der Volksbank Stuttgart über die Probleme und Chancen seiner Firmenkunden
Von Thomas Spengler, Stuttgart
Die Stimmung in der von der Automobilzulieferung geprägten Wirtschaft in und um Stuttgart ist schlecht. Die Volksbank Stuttgart stellt sich auf einen Anstieg der Insolvenzen ein und fordert von der Politik mehr Verlässlichkeit. Die Unternehmen der Region seien in der Lage, zusätzliche Tätigkeitsfelder zu erschließen.
Überziehungen, Rücklastschriften und Pfändungen – immer häufiger verzeichnet die Volksbank Stuttgart diese Frühwarnsignale bei ihren Firmenkunden. Nach Ansicht von Vorstandschef Stefan Zeidler bewegen sich viele Unternehmen am Limit. Dass es bislang noch keine Insolvenzwelle gegeben habe, führt er im Gespräch der Börsen-Zeitung auf die hohe Substanz der Betriebe zurück. Eigenkapitalquoten zwischen 25% und 40% zeugten von der Widerstandsfähigkeit der mittelständisch geprägten Wirtschaft im Geschäftsgebiet der Volksbank Stuttgart.
Leben von der Substanz
Doch gleichzeitig lebten die Unternehmen vielfach von der Substanz. Für 2025 sagt Zeidler daher einen Anstieg der Insolvenzen 10 bis 15% im Vergleich zum Vorjahr voraus. Das sei „nicht dramatisch, aber auch nicht gut“. Zur Verunsicherung, den der Zollstreit und die wackelige konjunkturelle Situation bundesweit führt, kommen in der Region strukturelle Probleme durch den starken Fokus auf die Automobilzulieferung. „Die Stimmung ist schlecht“, konstatiert er. Die schwache Investitionsneigung seiner Firmenkunden sei ein Gradmesser für die angespannte Situation des Mittelstands in und um Stuttgart.
Luft- und Raumfahrt als Chance
„Einen industriellen Niedergang wie in der einstigen US-Automobilmetropole Detroit wird es in der Region Stuttgart nicht geben“, ist Zeidler überzeugt. Als Hoffnungsträger sieht er etwa die Luft- und Raumfahrttechnik, für die in den Unternehmen bereits reichlich Expertise vorhanden sei. Ihm schwebt ein „Cluster für Aerospace“ vor, das gemeinsam mit der Uni Stuttgart entwickelt werden könnte. Das dort angesiedelte Institut für Raumfahrtsysteme gehört schließlich zu den bundesweit führenden Einrichtungen in diesem Bereich.
Den Charme daran sei, dass die krisengeplagten Autozulieferer in der Lage seien, Hochpräzisionsteile herzustellen. „Dies kann eine ernsthafte Ergänzung zur Automotive-Branche mit hohem Wertschöpfungspotenzial sein“, unterstreicht Zeidler.
Heruntergewirtschaftete Infrastruktur
Darüber hinaus attestiert der Genossenschaftsbanker der Region Stuttgart aber auch „Megachancen“, wenn es um Mobilität oder Digitalitität gehe. Zeidler spart nicht an Kritik: Über fünf bis zehn Jahre habe man keine Strukturpolitik mehr betrieben und so die Infrastruktur in Sachen Verkehr, Energie oder Digitalisierung heruntergewirtschaftet. Das habe unter anderem das Risiko einer Dunkelflaute erhöht, also einer geringen Stromerzeugung aus Photovoltaik- und Windenergie.
Es liege nun an der Bundesregierung, ein „Gefühl eines Neuanfangs“ zu schaffen. Dafür brauche es mehr politische Verlässlichkeit. Der Banker mahnt, den Sonderfonds für Infrastruktur über 500 Mrd. Euro nicht durch die Bürokratie ins Leere laufen zu lassen, oder gar in den Konsum zu lenken und auf diese Weise verpuffen zu lassen. „Es geht erst wieder richtig aufwärts, wenn wir mit den Sondertöpfen des Bundes Anreize zur privaten Mitfinanzierung schaffen“, zeigt sich Zeidler überzeugt.
„Großartige Region“
Denn grundsätzlich traut Zeidler es dem schwäbischen Mittelstand zu, sich erfolgreich an die energetische Transformation anzupassen. Gleiches gelte für Konzerne wie Mercedes-Benz, Porsche sowie Bosch und Mahle. Stuttgart und sein Umland sei schließlich „eine großartige Region“ mit einem hohen Stand an Ingenieurswissen.
Doch auch wenn er der regionalen Industrie eine Menge zutraut, sagt Zeidler sagt ihr eine längere Durststrecke voraus. Es werde dauern, bis es mit der Konjunktur wieder aufwärts geht: „Wir werden noch das gesamte Jahrzehnt Schwierigkeiten haben, mindestens aber zwei bis drei Jahre“, schätzt er.
Bewertungsergebnis stagniert
Das Geschäft der Volksbank Stuttgart, die mit einer Bilanzsumme von 8,8 Mrd. Euro per Ende Dezember 2024 auf Platz 23 im Ranking der Genossenschaftsbanken rangierte, entwickelt sich entsprechend verhalten. Sorgenkinder macht Zeidler vornehmlich im Bereich der gewerblichen Immobilien, aber auch im produzierenden Gewerbe aus. Das Bewertungsergebnis der Volksbank werde 2025 mit netto knapp 20 Mill. Euro etwa auf Vorjahresniveau verharren. Insgesamt hielten sich die Risiken in der Bilanz in Grenzen.
Die Volksbank Stuttgart ist Zeidler zufolge seit fünf Jahren dabei, das Geschäftsmodell in die digitale Welt zu überführen. Um Betriebsabläufe in der Bank zu optimieren und Engpässe zu eliminieren, gebe das Institut derzeit mehr als 1 Mill. Euro per anno für die Automatisierung aus. Dieser Betrag werde voraussichtlich noch steigen. Größere Investitionen in Anwendungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz werde die Volksbank wie im Volksbankenlager üblich eher nicht tätigen. Vielmehr stütze man sich dabei auf die Angebote des gruppeneigenen IT-Dienstleisters Atruvia oder die DZ-Bank-Gruppe. „Mit dem Resultat, dass wir in den kommenden fünf Jahren große Fortschritte in Sachen KI machen werden“, prognostiziert der Banker.
Zur Person
Vor sechs Jahren ist Stefan Zeidler zu seinen Wurzeln am Neckar zurückgekehrt, wo der gebürtige Stuttgarter seine Lehrzeit bei der ehemaligen Cannstatter Volksbank, einem der Vorgängerinstitute der Volksbank Stuttgart, absolviert hatte. Nach mehreren Stationen wechselte der heute 61-Jährige 2013 in den Vorstand der DZ Bank. Seit er im Juli 2019 den Vorstandsvorsitz der Volksbank Stuttgart übernommen hat, betätigt sich Zeidler als Modernisierer, indem er die Digitalisierung des Instituts mit Weitblick vorantreibt.