LEITARTIKEL

Weg mit den Monopolen

Was hatten wir uns gefreut, als das Bundesfinanzministerium (BMF) Mitte September den Referentenentwurf zur Einführung von elektronischen Wertpapieren aus dem Hut zauberte, und diese wichtige Weichenstellung nicht wie befürchtet ins kommende Jahr...

Weg mit den Monopolen

Was hatten wir uns gefreut, als das Bundesfinanzministerium (BMF) Mitte September den Referentenentwurf zur Einführung von elektronischen Wertpapieren aus dem Hut zauberte, und diese wichtige Weichenstellung nicht wie befürchtet ins kommende Jahr verschoben wird. Nach Belgien und Frankreich soll auch der deutsche Finanzplatz als Early Adopter einen Regulierungsrahmen für Emission, Verwahrung und angeschlossenen börslichen Handel elektronischer Schuldverschreibungen wahlweise über ein dezentrales Register wie eine Blockchain erhalten. Damit würde der Weg frei gemacht für die volle Entfaltung von digitalen Finanzinnovationen und mit der Option der Selbstverwahrung, die die Wertpapierindustrie vom Joch der Zentralverwahrergebühren befreit.Umso größer fällt die Enttäuschung aus, wenn man im Nachgang feststellt, dass es dem Clearstream-Betreiber Deutsche Börse gelungen ist, in letzter Sekunde noch eine Änderung zu eigenen Gunsten in dem Gesetzentwurf untergebracht zu haben. Denn dort ist nun festgehalten, dass auch im dezentralen Register gehaltene Wertpapiere/Token für das Settlement zur Finalisierung eines Börsenhandels beim Zentralverwahrer verbucht werden müssen. Das aber würde den Aufbau dezentraler Plattformen ad absurdum führen, liegt die Effizienz doch gerade im Peer-to-Peer-Settlement zwischen den Marktteilnehmern.Die echauffieren sich in Hintergrundgesprächen, dass die Börse diesen Passus reinlobbyieren konnte und halten nun in der Konsultation zum Gesetzentwurf dagegen. Damit werden sie sich hoffentlich durchsetzen, denn zum einen ist der Übergang zur dezentralen Marktarchitektur sowieso nicht aufzuhalten. Dies wird auch in dem Entwurf der EU-Kommission zur Regulierung von Krypto-Assets (Markets in Crypto Assets, MiCA) deutlich, der für Kryptowährungen und Utility Token quasi eine Parallelwelt zu den Mifid-Bestimmungen schafft – die wiederum für Security Token greifen. Zudem sieht MiCA einen Sandboxing-Ansatz für Infrastruktur auf Basis von Distributed Ledger Technology (DLT) vor, was bei der auf das Prinzip technologieneutraler Regulierung pochenden BaFin das eine oder andere Stirnrunzeln auslösen dürfte.Zum anderen gibt das BMF kein gutes Bild ab, wenn es sich der Einflussnahme durch eine singuläre Finanzlobby zur Bewahrung des Status quo beugt. Vorschläge der Industrie zur Marktgestaltung sind in der Regel sachlich gut begründet, beim Zentralverwahrer-Geschäft aber unangebracht. Denn auch wenn man natürlich mit dem Aspekt der Finanzmarktstabilität argumentieren kann, so sollte das im Zuge von MiCA modernisierte Aufsichtsregime solche Bedenken doch heilen können. Die Finanzplätze in Singapur, Australien und der Schweiz sind da schon einen Schritt weiter – das sollte uns doch Selbstvertrauen geben, dass auch der deutsche Finanzplatz die Transformation hin zu dezentralen Strukturen schafft und damit die kreativen Kräfte der Wertpapierindustrie stärkt. Die in Europa tätigen Zentralverwahrer Clearstream, Euroclear und Six sind ja gut positioniert, um sich mit eigenen DLT-Plattformen im Wettbewerb zu behaupten. Was aber niemand braucht, sind Apothekerpreise für Banken und Broker, die in Form von Zwangsgebühren beim Monopolisten abgeliefert werden müssen.Das aus der Wirecard-Affäre beschädigte BMF ist nicht allein aus der sachlichen Begründung heraus gut beraten, sich auf die Seite der Innovatoren zu stellen. Denn seitdem ruchbar wurde, dass bezahlte Wirecard-Lobbyisten mit CDU/CSU-Parteibuch in Kanzleramt und Ministerien vorstellig wurden und Gehör fanden, müssen Berliner Ministerien auf der Hut sein, dass Gesetze nicht einseitig nach dem Drehbuch der nahestehenden Lobbykräfte geschrieben werden. Das ist sonst Futter für Kritiker, dass sich gewisse Formen des Nepotismus im Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft gesetzt haben – und große Teile des Publikums reagieren mittlerweile allergisch auf Sonntagsreden zur digitalen Zukunft, wenn es dann wieder bei der Umsetzung hapert.Dafür steht auch zu viel auf dem Spiel. Denn wie SEC-Chef Jay Clayton kürzlich skizzierte, werden eines Tages alle Wertpapiere tokenisiert sein, von der Aktie bis hin zum ETF-Anteil. Und da es keinen Sinn macht, sich dem technologisch getriebenen Wandel in den Weg zu stellen, muss man diesen mit all seinen Nebenwirkungen begreifen und die interagierenden Systeme aus Wirtschaft, Finanzmarkt und Gesellschaft auf diesen Wandel vorbereiten.——Von Björn GodenrathDezentrale Wertpapierverwahrung ist Teil unabwendbaren technologischen Wandels und wird das Clearstream-Monopol wegspülen. ——