Nach Wegfall von Beschränkungen

Wells Fargo wird im Investmentbanking aggressiver

Vorstandschef Charlie Scharf verfolgt mit Wells Fargo luftige Ambitionen im Kapitalmarktgeschäft. Doch die rasante Expansion weckt Sorgen vor unkontrollierten Risiken auf der Bilanz.

Wells Fargo wird im Investmentbanking aggressiver

Wells Fargo wird im Investmentbanking aggressiver

Traditions-Geldhaus sichert sich nach mageren Jahren hochkarätige Mandate – Sorge vor rücksichtsloser Expansion in riskante Segmente

xaw New York

Vorstandschef Charlie Scharf verfolgt mit Wells Fargo luftige Ambitionen im Kapitalmarktgeschäft. Die Investmentbanker des Hauses legen nun ihr stärkstes Jahr jemals hin. Doch die rasante Expansion weckt angesichts des breiten Deregulierungskurses der US-Behörden Sorgen vor unkontrollierten Risiken auf der Bilanz.

In den Mitteilungen rund um einige der größten Deals des Jahres taucht wiederholt ein Name auf, der in dieser Liga über Jahre kaum mitgespielt hat: Wells Fargo hat Netflix zur geplanten Übernahme von Warner Bros. Discovery, Union Pacific zum angepeilten Mega-Eisenbahnmerger mit Norfolk Southern, die Telekommunikations-Firma Cox bei ihrem Verkauf an Charter Communications und den Zahlungsabwickler Worldpay bei seiner Veräußerung an Global Payments beraten. In den amerikanischen M&A-League-Tables von LSEG belegt das bisher auf das Privatkundengeschäft und Unternehmenskredite fokussierte Geldhaus in diesem Jahr Platz sieben – dies bedeutet die höchste Platzierung seit Beginn der Erfassung im Jahr 1980 und einen Sprung um sieben Ränge gegenüber 2024.

Wachstumsbeschränkungen aufgehoben

Der Aufschwung ist vor allem auf die hohen Ambitionen von CEO Charlie Scharf zurückzuführen. Der wegen seines aggressiven Personalabbaus als „Chainsaw Charlie“ („Kettensägen-Charlie“) bekannte Manager hat die Bank seit seinem Amtsantritt 2019 auf Versöhnungskurs mit Regulatoren geführt. Im Juni stieß Scharf mit anderen Managern im New Yorker Hochhaus 30 Hudson Yards darauf an, dass die Fed nach sieben Jahren Wachstumsbeschränkungen für das viertgrößte US-Geldhaus aufgehoben hat.

CEO Charlie Scharf hat Wells Fargo aus den Untiefen regulatorischer Konflikte gesteuert.
CEO Charlie Scharf hat Wells Fargo aus den Untiefen regulatorischer Konflikte gesteuert.
picture alliance / REUTERS | Elizabeth Frantz

Regulatoren hatten die Bilanzsumme von Wells Fargo 2018 bei 2 Bill. Dollar gedeckelt – zuvor war aufgeflogen, dass Mitarbeiter des Instituts ohne Autorisierung Millionen von Kundenkonten eröffnet hatten, um hohe Vertriebsziele zu erreichen. Nun will die Bank, befreit von ihren Fesseln, kräftig wachsen.

Der heute 60-jährige Scharf, seit seinem Amtsantritt vor allem mit der Umsetzung von nicht weniger als 13 regulatorischen Anordnungen zur Behebung von Missständen bei Wells Fargo beschäftigt, ließ schon im Sommer luftige Ziele im Corporate Banking und Kapitalmarktgeschäft durchblicken, wo sein Geldhaus Adressen wie Goldman Sachs und Morgan Stanley hinterherhinkt. Das Traditionsinstitut soll nach Willen des Vorstandschefs unter die Top Fünf der globalen Investmentbanken aufsteigen. Dann, sagte Scharf dem „Wall Street Journal“, werde es eine Debatte darüber geben, warum es nur die Top Fünf sein solle. „Warum nicht Top Vier oder Top Drei?“, fragte der Manager, der nach dem Wegfall der Asset-Deckelung gemäß eigener Aussage „jetzt anfangen kann, Spaß zu haben“.

Große Machtfülle für Vorstandschef

Dass Scharf die regulatorischen Herausforderungen bei Wells Fargo in den vergangenen sechs Jahren meisterte, hat ihm indes nicht nur die Aussicht auf Spaß, sondern auch eine große Machtfülle eingebracht. Im Oktober übernahm der CEO zugleich auch den Vorsitz des Verwaltungsrats der Bank – obwohl Shareholder-Aktivisten in den vergangenen Hauptversammlungssaisons eine Grundsatzdebatte über die Trennung der Spitzenposten in operativer Leitung und Kontrolle bei US-Unternehmen und Finanzinstituten angestoßen hatten. Durch einen gestaffelten Bonus von 30 Mill. Dollar haben die Direktoren zudem Anreize für Scharf geschaffen, bis 2031 am Steuer zu bleiben.

Für seine Expansionsstrategie holt der als Belegschaftskürzer verschriene Vorstandschef auch gut vernetzte Investmentbanker wie den ehemaligen Morgan-Stanley-Dealmaker Jeff Hogan und den hochrangigen J.P.-Morgan-Strategen Doug Braunstein an Bord. Dabei befindet sich Wells Fargo allerdings in einem harten Konkurrenzkampf mit Citigroup und der UBS, die auf ähnliche Weise Verbesserungen im Kapitalmarktgeschäft als Ziel ausgerufen haben und ebenfalls hart um Talente kämpfen.

Schiere Größe als Vorteil

Im Wettbewerb mit dem Rest des Marktes setzt Scharf auf die Größe seines Hauses. Die Historie sei voll von Firmen, die beim Aufbau von Investmentbanken aufgrund eines Mangels an kompetitiven Vorteilen gescheitert seien. „Es gibt nur wenige von uns, die über eine Bilanzsumme von 2 Bill. Dollar verfügen“, sagte der CEO zu Monatsbeginn auf der Financial Services Conference von Goldman Sachs.

Die Wachstumsstrategie von Wells Fargo, betonen Analysten, beruhe damit zu guten Teilen auf der Hoffnung, Underwriting- und Beratungsdienstleistungen an die große Basis an Unternehmenskunden vermarkten zu können. Dies soll die Abhängigkeit der Bank von Zinseinnahmen auf Kredite reduzieren – die Nettozinserträge kletterten im dritten Quartal zwar noch leicht um 2% auf 11,95 Mrd. Dollar, die viel beachtete Nettozinsmarge ist aber von 2,67 auf 2,61% abgebröckelt.

Deregulierung weckt Sorgen

Dass Wells Fargo das Ziel, sich besser gegen Konjunkturabschwünge abzusichern, durch die Expansion im Kapitalmarktgeschäft erreicht, zweifeln Analysten allerdings an. Schließlich haben Investmenthäuser um Goldman Sachs ihre Präsenz im Asset- und Wealth Management ausgebaut, gerade um stabilere Erträge zu generieren und sich stärker von den volatilen Einnahmen aus der Dealberatung und dem Underwriting zu lösen.

Allgemein geht in New York die Sorge um, dass der Deregulierungskurs der US-Regulatoren, die 2025 zahlreiche nach der Finanzkrise 2008 eingeführte Zusatzanforderungen eliminiert haben, eine rücksichtslose Expansion von Instituten wie Wells Fargo begünstigt. Scharf fasste in Interviews mit US-Medien bereits Möglichkeiten ins Auge, die Mittel auf der Bilanz für Vorstöße in komplexere Kreditsegmente abseits der Public Markets einzusetzen. Die systemischen Risiken in diesen Märkten sind infolge spektakulärer Insolvenzen wie dem Kollaps von First Brands zuletzt in den Blickpunkt gerückt.