„Wir haben keine Zeit zu verlieren“
Angela Wefers.
Herr Löffler, Sie hatten ein sehr großes Gremium mit 38 Mitgliedern zusammenzuhalten. War es schwierig, alle Leute unter einen Hut zu bringen?
Das hat erstaunlich gut geklappt. Wir hatten klare Prozesse. Wir haben nach unserer Satzung gearbeitet. Damit haben wir die Arbeit gut strukturieren können. Sie konnte in kleineren Gruppen inhaltlich geführt werden. Themen, die intensiverer Diskussion bedurften, wurden im Plenum vorgestellt und beraten.
Welche Themen waren das?
Dazu gehört unter anderem das sehr breit und gut ausgearbeitete Thema der Berichterstattung von Unternehmen. Finanzinstitutionen können damit die Nachhaltigkeitschancen und -risiken in ihre Entscheidungskalküle aufnehmen und selbst auf Portfolioebene darüber berichten.
Der Beirat adressiert drei Akteure: Politik, Finanzwirtschaft und Realwirtschaft. Wer trägt die stärkste Last, oder wer kann am meisten bewirken?
Mit der anstehenden Transformation der Volkswirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit gibt es großen Kapitalbedarf. Die Investitionen müssen den Standort Deutschland und Europa wettbewerbsfähig halten und idealerweise stärken. Alle müssen hier zusammenspielen, jeweils in ihrer eigenen Rolle.
Niemand ist besonders gefordert?
Die Stakeholder kann man nicht isoliert betrachten. Ein Gesamtkunstwerk, das die Transformation gelingen lässt, wird es erst, wenn alle gut zusammenarbeiten. Deshalb hat der Beirat einen systemischen, ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Es kommt auf gute Rahmenbedingungen an, in denen die Akteure ihre Rolle bestmöglich ausfüllen können. Der Finanzsektor muss die Nachhaltigkeitschancen und -risiken verstehen und darüber berichten können. Die Finanzaufsicht muss einen möglichst guten Blick darauf bekommen, welche Risiken im System schlummern. Die Unternehmen der Realwirtschaft sind bei den Informationen gefordert, mehr als bisher – in einer qualitativen und standardisierten Art und Weise.
Die öffentliche Hand tritt auch als direkter Akteur im Markt auf. Was muss sie dabei beachten?
Für die öffentliche Hand als Akteur etwa bei Eigenanlagen, Pensionsvermögen, Förderpolitik, Anleiheemissionen gilt: walk the talk. Der Staat muss sich in seinem Handeln an seinen eigenen Zielen orientieren.
Wie sieht die Koordination unter den Akteuren aus?
Es braucht klarere Leitplanken, an denen sich der Markt und die Kapitalallokationsfunktion des Finanzsektors bestmöglich entfalten kann. Der Gesetzgeber hat damit an vielen Stellen eine entscheidende Rolle, diese Rahmenbedingungen klarer zu setzen.
Lassen sich die Leitplanken konkreter beschreiben?
Der Beirat ist sehr konkret. Mit am deutlichsten wird es beim Thema der Berichterstattung, was genau gemacht werden könnte. Auch beim Thema Engagement liegt auf der Hand, wie Rechtssicherheit für Vermögensverwalter in Deutschland zu schaffen ist. Die Branche läuft sonst Gefahr, in das verbotene Acting in Concert zu geraten. Das ist in europäischen Nachbarländern deutlich besser geregelt und könnte auch hierzulande gemacht werden. Es gibt auch Bereiche, die konnte der Beirat mangels Zeit und Ressourcen nicht bis in die letzte Tiefe analysieren. Er spricht sie aber an.
Was wäre das?
Das Thema der Nachhaltigkeit im Finanzsektor sollte weitergeführt werden. Die Bundesregierung sollte dazu die Verantwortlichkeit in ihren verschiedenen Ministerien stärker koordinieren. Auch die Arbeit des Beirats sollte verstetigt werden. An vielen Stellen gibt es noch inhaltliche Fragezeichen. Dies würde Bundesregierung und Finanzindustrie unterstützen, die Themen koordiniert weiter zu begleiten. Der Beirat kann dafür Impulse und Input aus der Praxis geben.
Welches Modell schwebt Ihnen vor: ein weiterhin großes Gremium oder eines wie der Sachverständigenrat für Wirtschaft mit fünf Experten?
Das ist offen. Eine gute Lösung müsste diskutiert werden. Für mich ist eine Beteiligung vieler Stakeholder-Gruppen sinnvoller als ein rein wissenschaftlicher Fokus. Es braucht die Praktiker und auch die Zivilgesellschaft. Das Gremium muss von der Bundesregierung akzeptiert und gehört werden.
Was ist noch offen?
Ein Beispiel ist Wirkungsmessung von nachhaltigen Finanzinvestments. An dieser Stelle gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf. Wir müssen irgendwo starten, auch wenn es noch nicht perfekt ist.
Ist die Finanzbranche auf dem richtigen Weg mit ihren nachhaltigen Angeboten? Kann sie überhaupt Standards selbst setzen?
Der Finanzmarkt spielt eine wichtige Rolle, aber nicht die alleinige. Die zu vermarktenden Produkte müssen sukzessive mehr Transparenz bekommen. Damit wird die Anlagestrategie für den Kunden klarer. Die Transformation in der Realwirtschaft kann der Finanzmarkt nur begleiten. Industriepolitische Weichen muss die Politik stellen. Die Bepreisung von Umweltkosten gibt auch dem Finanzmarkt die richtigen Signale, um diese in das Finanzierungskalkül einzubeziehen.
Ist ein staatliches Konzept für mehr Nachhaltigkeit nötig, oder kann der Markt selbst viel regeln?
Grundlage für alles ist Transparenz. Dem Markt Informationen zur Verfügung zu stellen ist ganz entscheidend. Damit können Investoren eigene Entscheidungen treffen. Öffentliche Finanzinstitute können sich deutlicher als bisher an den Nachhaltigkeitszielen orientieren. Entsprechend sollte auch die Förderpolitik mit den Zielen übereinstimmen. Wir sind auf gutem Wege, aber es könnte noch deutlicher gemacht werden. Und: Wir haben keine Zeit zu verlieren.
Vorschriften oder Prinzipien – was ist besser?
Man braucht nicht für alles Vorschriften. Wo sie nicht erforderlich sind, bietet ein prinzipiengeleitetes System mehr Raum für Bewegung.
Die Bundesregierung will den Bericht als Basis für ihre Sustainable-Finance-Strategie nutzen. Welche Empfehlungen sollten unbedingt noch in dieser Legislaturperiode kommen?
Die Benchmark für den Beirat ist, dass die Bundesregierung alle Empfehlungen aufnimmt und in die Praxis umsetzt. Manches geht nur langfristig. Manches braucht weitergehende Überlegungen. Schnell kann die Bundesregierung nur das umsetzten, was sie allein entscheiden oder wo sie sich auf europäischer Ebene einbringen kann. Wo das Parlament gebraucht wird, wäre es vermessen zu erwarten, dass in dieser Legislaturperiode noch etwas geschieht. Auch eine neue Bundesregierung ist herzlich eingeladen, sich den Beiratsbericht vorzunehmen.
Das Interview führte