IM INTERVIEW: DR. EKKEHARD THIESLER

"Wir werfen unsere ethischen Prinzipien nicht über Bord"

Interessen und Ansprüchen der Kunden und Mitglieder verpflichtet - Moralisch zu handeln zahlt sich langfristig aus - Performance überzeugt

"Wir werfen unsere ethischen Prinzipien nicht über Bord"

– Herr Dr. Thiesler, in diesen Tagen feiern wir 500 Jahre Reformation. War es nicht gerade Martin Luther, der den schnöden Mammon verdammte und sich für ein Zinsverbot aussprach? Die Bank für Kirche und Diakonie wirbt mit ihren christlichen Wurzeln und Werten. Passen Luther und das Bankgeschäft zusammen?Ganz richtig, die Grundlage unseres ethischen Handelns sind unsere christlichen Wurzeln. Wir Christen handeln nicht nur um unserer selbst willen, sondern wir wollen und sollen auch das Wohl unseres Nächsten im Blick haben. Martin Luther fordert darüber hinaus: “Dienen ohne Gegenleistung” – übertragen auf das Geld bedeutet dies: Verleihen, ohne Zins zu nehmen. Das ist für uns Banker wahrlich harter Tobak. Luther bezieht sich allerdings auf das 2. Buch Mose (Exodus) 22, Vers 24: “Wenn du Geld verleihst an einen aus meinem Volke, an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln, du sollst keinerlei Zinsen von ihm nehmen!” Das heißt auch: Von Menschen aus einem anderen Volk – übersetzt könnte man sagen: wenn er oder sie nicht zur gleichen Sippe, Familie oder Nachbarschaft gehörte – durfte man Zinsen nehmen.- Passt das Zinsverbot noch in die heutige Zeit?Nach meiner Einschätzung ist das lutherische Zinsverbot den damaligen Lebensverhältnissen geschuldet. Die Menschen lebten in einer Agrargesellschaft, das Leihen von Geld war eine Hilfe in der Not – also ein Kredit für eine Notlage, zum Beispiel als Überbrückung bis zur nächsten Ernte. Heute brauchen wir den Kredit. Er ist der Wegbegleiter des Geldes durch die Wirtschaftsgeschichte. Ohne Kredit wäre vieles unmöglich: Weder die Einzelnen noch das Gemeinwesen können große Vorhaben ohne Kredite realisieren.- Haben wir derzeit nicht trotzdem lutherische Verhältnisse?Ganz aktuell haben wir fast “lutherische Verhältnisse”. Der Zinssatz für zehnjährige Bundesanleihen war zeitweise sogar negativ. Unternehmen können sich heute mit sehr, sehr niedrigen Zinssätzen finanzieren. Und was ist die Folge – der Zins als Korrektiv für eine sinnvolle Investition verliert seine Wirkung, da fast alles machbar erscheint; wir werden in fünf bis zehn Jahren sehen, wohin das führt.- Wenn ich an die Finanzkrise, den Abgasskandal in der Autoindustrie oder die Ausbeutung von Menschen und Umwelt für den wirtschaftlichen Profit denke, fällt es mir schwer zu glauben, dass man als Unternehmen mit ethischen Grundsätzen im globalen Wettbewerb bestehen kann. Wie beurteilen Sie das?Ich denke, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die Finanzkrise hat doch deutlich gemacht, wie gefährlich der Mangel an Werten und ethischer Verantwortung für unser gesamtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem werden kann. Besonders das Auseinanderklaffen von Risiko und Haftung ist zu beklagen. Es hätte wohl alles nicht zu solch desaströsen Auswirkungen geführt, wenn nicht eine grenzenlose Gier nach immer höherer Verzinsung nach der Maxime “möglichst schnell – möglichst viel” bei vielen eine vernünftige Risikoabwägung verdrängt hätte.- Was bedeutet das konkret?Für mich steht fest: Eine Bank kann sich nicht, sondern sie muss sich eine Moral leisten. Moralisch zu handeln zahlt sich für ein Unternehmen langfristig aus. Moral ist ökonomisch vernünftig. Hierhin muss die Finanzbranche zurückfinden. Und nicht nur diese. Ich halte es für überfällig, dass die handelnden Akteure in den Unternehmen aller Branchen weltweit endlich den Zusammenhang zwischen der Zukunft der Menschheit und der Gesundheit unseres Ökosystems anerkennen, ihre Kräfte bündeln und Maßnahmen ergreifen.- Sehen Sie Fortschritte in diesem Bereich? Reichen Appelle an die Unternehmenslenker aus?Viele Familienbetriebe im Mittelstand tun dies bereits traditionell. Aber auch einige große Unternehmen, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn, Osram und SAP, nehmen nach meiner Einschätzung ihre Verantwortung für Mensch und Umwelt aktiv wahr und setzen auf langfristigen Erfolg. Für viele andere wäre nach meiner Einschätzung entscheidend, passende Anreizsysteme zu schaffen. Nachhaltig engagierte Investoren fordern zum Beispiel, die Gehälter der Konzernvorstände an den langfristigen Erfolg und die Erreichung ökologischer und sozialer Ziele zu koppeln. Genau hier setzen wir auch mit unseren kirchlichen und diakonischen Investoren an, wir bieten ihnen eine Plattform, um über ihre Investments am Kapitalmarkt Einfluss auf die Unternehmensspitzen zu nehmen.- Wie sehen Sie die Entwicklung im Finanzsektor? Seit der Finanzkrise gibt es viele Regulierungsanstrengungen, um eine Wiederholung zu verhindern. Wie geeignet sind die Auflagen?Ich halte den Finanzsektor in Deutschland inzwischen für extrem reguliert. Insbesondere die Auflagen für die Sparkassen und die Volks- und Raiffeisenbanken, die über solide Geschäftsmodelle verfügen und die die Finanzkrise nicht verursacht haben und die nicht gerettet werden mussten, sind bezogen auf die Größe der Banken enorm hoch. Aber bei diesen Auflagen geht es um das Thema der Sicherheit und der Stabilität des Banksystems und nicht um nachhaltiges Wirtschaften im ökologischen oder sozialen Sinn. In diesem Bereich sehe ich eine Entwicklung im Finanzsektor. Die Berichterstattung über das Thema Nachhaltigkeit wird standardisierter und konkreter, auch im Mainstream der Presse ist es angekommen. Wenn ich mir etwas wünschen kann, dann wäre es weniger Regulierung von oben, dafür aber mehr Initiative von Verbrauchern und Kunden.- Schauen wir noch einmal auf die christliche Perspektive: Was macht da den Unterschied aus? Welche Grundsätze und Standards sollten Unternehmen bei ihrem Tun berücksichtigen?Es ist wirklich spannend, wie aktuell die Worte Martin Luthers noch heute sind. Lassen Sie mich aus seiner Abhandlung von 1524 über “Kaufhandlung und Wucher” zitieren. So schreibt er: “Es sollte nicht heißen: Ich darf meine Ware so teuer geben, wie ich kann oder will, sondern so: Ich darf meine Ware so teuer geben, wie ich soll: oder wie es recht und billig ist.” Handeln und verkaufen “ohne Schaden und Nachteil” gegenüber deinem Nächsten – das war Luthers Forderung und darum geht es auch heute noch. Es ist nicht gut, wenn die Menschen, die unsere Kleidung nähen, von ihrem Lohn nicht leben können, fruchtbare Äcker Palmölplantagen weichen müssen oder Minenarbeiter unzumutbare Arbeitsbedingungen vorfinden, um unseren Hunger nach immer neuen Mobiltelefonen zu stillen.- Doch nun zurück zur Bank für Kirche und Diakonie. Sie haben sich hohe ethische Standards auferlegt. Wie halten Sie am Markt mit? Können Sie Ihre ethischen Standards aufrechterhalten?Unser Kerngeschäft ist es, kirchliche und soziale Projekte zu finanzieren. Darauf sind wir spezialisiert. Über 1 Mrd. Euro haben wir in den vergangenen fünf Jahren als Kredite vergeben. Schwerpunkte sind Krankenhäuser, Altenheime und Hilfen für Menschen. Für unsere Anlagen am Kapitalmarkt setzen wir einen Nachhaltigkeitsfilter ein. Dieser fußt auf dem Leitfaden der Evangelischen Kirche in Deutschland und schließt zum Beispiel Unternehmen aus, die Waffen und Rüstungsgüter produzieren oder denen schwerwiegende Verstöße gegenüber Menschen- beziehungsweise Arbeitsrechten nachgewiesen wurden. Renditeeinbußen gegenüber herkömmlichen Investments verzeichnen wir grundsätzlich nicht, die langfristige Performance überzeugt. Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema bestätigt uns.- Wie gehen Sie mit der Niedrigzinsphase um?Natürlich betrifft uns die Niedrigzinsphase genauso wie die anderen Banken in Deutschland und Europa. Dennoch werfen wir unsere Prinzipien nicht über Bord. Wir sind den Interessen und Ansprüchen unserer Kunden und Mitglieder verpflichtet, daran ändert auch die Finanzkrise nichts. Die Gewinne dienen seit über 90 Jahren dazu, den Förderauftrag für Kirche und Diakonie nachhaltig zu erfüllen. Aufgrund der sehr guten Kostenstruktur und der Reserven, die wir zurücklegen konnten, sind wir im Vergleich zu vielen Mitbewerbern in einer guten Position. Wir sind froh und dankbar, dass wir unseren Kunden weiterhin ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und eine qualitativ hochwertige persönliche Beratung anbieten können.—-Das Interview führte Claudia Weippert-Stemmer. —Ekkehard Thiesler, Vorstandsvorsitzender der Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank