IM INTERVIEW: GÜNTHER THALLINGER

"Wir wollen der beste Versicherungsanleger sein"

Der Kapitalanlagevorstand der Allianz über sein Führungsverständnis, die größten Marktrisiken, den neuen ESG-Ansatz und Machtfragen im Konzern

"Wir wollen der beste Versicherungsanleger sein"

– Herr Dr. Thallinger, wie führt ein guter Manager?Mein Verständnis ist: Wenn man Führungsarbeit leistet, ist man dazu da, den Geschäftsbetrieb so gut wie möglich zu unterstützen. Denn dieser schafft den eigentlichen Mehrwert. In Gesprächen mit meinem Team nutze ich gerne ein Organigramm, das auf den Kopf gestellt ist. Dies verdeutlicht, wie eine Hierarchie zu betrachten ist, wenn man Hierarchie überhaupt als relevant ansieht. Ein guter Manager versteht sich also als Teil eines Teams und orchestriert das Ganze.- Was bedeutet dies im Alltag?Man stellt Fragen, wie zum Beispiel: Warum arbeiten wir hier alle zusammen? Was ist in der Arbeit unser gemeinsames Anliegen? Wenn es dieses gemeinsame Anliegen nicht gibt, entwickelt sich auch keine Zusammenarbeit, und es wird sehr schwierig, wirklich Kundennutzen zu schaffen. Dann muss mit jedem Einzelnen gesprochen werden. Wie ist sein Erfolg innerhalb dieses gemeinsamen Anliegens zu beschreiben? Und vor allem: Welche Form von Entwicklung kann ein einzelner Mitarbeiter nehmen? Dieses Vorgehen ist deswegen gut, weil auf diese Weise die Erwartung des Einzelnen und die Erwartung der Organisation zusammenkommen.- Gibt es diese Gemeinsamkeit in der Allianz?Für das Investmentmanagement gibt es ganz klar dieses gemeinsame Anliegen. Wir haben formuliert: Wir wollen der beste Versicherungsanleger sein. Daraus muss ein Verständnis und eine Messbarkeit dieses Anliegens entwickelt werden. Als Allianz-Gruppe treiben wir dies mit unserer Renewal Agenda voran. Damit kommt auch dort diese Form des gemeinsamen Anliegens klar zustande. Ich sehe eine deutliche Bewegung in der Gruppe …- … die allgemein als konservativ und bewegungsarm verschrien ist.Okay, akzeptiert. Wenn man das so wahrnimmt, haben wir sicherlich noch einiges an Arbeit vor uns. Aber bewegungsarm, glauben wir, sind wir nicht. Die Organisation ist deutlich dynamischer geworden. Konservatives Vorgehen muss kein Widerspruch zu dieser Dynamik sein.- Was zeichnet einen guten Kapitalanleger aus?Disziplin und Lernfähigkeit sind enorm wichtig. Entscheidungen über Kapitalanlagen sind jeden Tag neu zu treffen, jedoch muss man aus den vergangenen Entscheidungen die richtigen Schlüsse ziehen – diszipliniert mit Hilfe analytischer Fähigkeiten. Lernen ist deshalb aktuell so bedeutsam, weil sich allerorts so viel verändert. Ein Kapitalanleger muss sich also Wissen aneignen, damit seine Analyse eine Basis kriegt. Darum funktioniert das auch nur im Team, eine Einzelperson wäre überfordert.- Sie sind der Jüngste im Allianz-Vorstand. Haben Sie teils einen anderen Blick auf die Dinge?Dort wird akzeptiert, dass ein neuer Vorstand andere Herangehensweisen und Ideen einbringt. Dies empfinde ich als sehr angenehm. Die Diskussion ist nicht nur offen im Sinne, jeder darf irgendetwas beitragen, sondern sie ist ergebnisoffen.- Sie kamen wie Allianz-Chef Bäte von McKinsey zur Allianz. Gibt es da einen kulturellen Faktor?Wir haben bei der Allianz-Gruppe eine bunte Vielfalt der Berufsbiografien. Jeder Einzelne bringt Dinge mit. In unserer Renewal Agenda gibt es zum Beispiel den nicht ganz einfachen, aber trotzdem sehr wichtigen Themenpunkt Inclusive Meritocracy. Das mag aus einem bestimmten Bereich einer Unternehmenskultur kommen, und das wird jetzt in die Allianz hineingebracht. Ich glaube zugleich, Leistungsbereitschaft gibt es genug in der Allianz.- Geht bei der ganzen Dynamik die Wahrhaftigkeit, Beständigkeit und Selbstdisziplin über Bord?Die Gefahr besteht sicher. Aber das dürfen wir natürlich nicht zulassen, in keinster Weise. Wenn ich für die Kapitalanlage sprechen darf: In dem Moment, wo die Disziplin anfängt auch nur ganz leicht zu erodieren, haben wir ein riesiges Thema. Trotzdem müssen wir in der Lage sein, verschiedenste Veränderungen zu treiben.- Wie ändert sich die Allianz-Kapitalanlage?Ich durfte unter den Vorständen Paul Achleitner und Max Zimmerer ja schon an verschiedenen Veränderungen in diesem Unternehmen mitarbeiten. Auch aktuell geht es aus meiner Sicht um graduelle Prozesse, nicht um einen Tabula-rasa-Ansatz. Ich übernehme hier eine Rolle mit der gesamten Historie und Verantwortung. Dazu gehören aber auch neue Möglichkeiten und notwendige Veränderungen.- Wird die Kapitalanlage strukturell neu aufgestellt?Mit Allianz Investment Management haben wir globale Funktionen in die Form einer Organisation gegossen. Diese 500 Leute sind voll in das Versicherungsgeschäft integriert. Dies hört sich banal an, ist aber sehr wichtig. Denn diese vollständige Integration bedeutet: Da ist nichts Zusätzliches. Die regionalen Teams in Frankreich oder USA sind gleichzeitig die globale Organisation Allianz Investment Management. Durch diese Form haben wir eine Art der Zusammenarbeit erreicht, die sehr effizient ist. Man sollte nicht erwarten, dass ich an dieser Aufstellung irgendetwas Spezielles ändere.- Sie sprachen von Möglichkeiten.Wir bewegen uns in andere Richtungen der Kapitalanlage. Beispielsweise initiieren wir Fonds für kleine Wasserkraftwerke in Indonesien. Denn wir können nun das Wissen, wie man mit Infrastruktur umgeht, in weitere Länder übertragen. Mit Hilfe der integrierten Organisation erschließen sich die lokalen Teams diese Assetklassen.- Und was wird verändert?Gerade bei Kapitalanlagen haben wir an verschiedenen Stellen die Möglichkeit, die Unterstützung durch die Digitalisierung und hier zum Beispiel durch künstliche Intelligenz komplett anders einzubringen. Dies wird man draußen nicht besonders wahrnehmen, und das soll vielleicht auch gar nicht sein. Wir wollen ja unsere Kunden nicht damit belästigen, wie unsere Abläufe sind. Sie müssen aber effizient sein. Möglicherweise können wir künftig unsere Expertenkapazität, statt damit die normalen Prozessabläufe abzudecken, eher in die Entwicklung von Assetklassen stecken.- Welches sind die größten Risiken auf den Märkten?Wir haben derzeit einen sehr speziellen Kapitalmarkt durch das starke Engagement der Zentralbanken. Risiko und Ertrag können nicht in der Form betrachtet werden, wie es in der Vergangenheit üblich war. Es wird jedoch eine noch wesentlich größere Herausforderung, wenn die Zentralbanken anfangen, sich zurückzuziehen. Dann sehen wir ein ganz anderes Risiko-Return-Verhältnis.- Wie wird die Europäische Zentralbank agieren?Dort ist eine veränderte Haltung im Entstehen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie sich unmittelbar zurückzieht auf das Handlungsprogramm vor der Finanzkrise. Das wird ein Prozess über zwei bis drei Jahre.- Wie entwickeln sich die Zinsen?Es wird dauern, bis wir Bewegung sehen. Mittelfristig ist keine signifikante Zinserhöhung zu erwarten.- Wie positioniert sich die Allianz?Ganz wichtig ist: Die Allianz nimmt keine kurzfristigen Positionen. Wir sind ein langfristiger Investor. Unsere Strategie lautet: Wir stellen über alle Kapitalanlagen möglichst große Diversifikation sicher. Dies ist nicht neu, aber dennoch richtig – wie auch unsere Resultate zeigen. Im vergangenen Jahr haben wir 4,3 % auf die Reserven in der Lebensversicherung erwirtschaftet, das spricht für sich. Der große Mehrwert, den wir liefern, ist eine signifikante Verzinsung ohne Verlustgefahr.- Wie wird sich die Allianz-Durchschnittsrendite entwickeln?Wir rechnen damit, das Niveau zu halten. Zwar gibt es einen Nachlaufeffekt aufgrund der Zinssenkungen der Vergangenheit, aber wir erwarten keinen weiteren Druck. Natürlich gilt dies nur, wenn es am Kapitalmarkt keine größeren negativen Effekte gibt. Wenn auf der Politikebene bestimmte Risiken schlagend werden, dann haben wir selbstverständlich sehr signifikanten Druck. Diese Risiken schätzen wir im nächsten Jahr als größer ein als im – letztlich gut verlaufenen – Wahljahr 2017.- Die Märkte spiegeln dies nicht.Wenn man den Markt heranzieht, um politische Risiken zu bewerten, führt dies zu nichts.- Gibt es also eine Fehleinschätzung durch die Märkte?So weit würde ich nicht gehen. Aber es ist für einen nichtprofessionellen Anleger sehr schwierig, in diesen Märkten zu agieren. Sie weisen an vielen Stellen eine Bewertung auf, die eine besondere Auswahl einzelner Assets erfordert. Eine pauschale Betrachtung reicht in keiner Weise.- Dow und Dax sind auf Rekordniveau …Da sind wir ja schon beim Thema. Angesichts der Höchststände muss man die Treiber für die Hausse analysieren. Handelt es sich wirklich um eine fundamentale Bewertung? Wie stark kommt der Druck der Zentralbanken zum Tragen?- Ist der Aktienmarkt also überbewertet?Es ist sehr diskussionswürdig, ob man einen Kapitalmarktteilnehmer braucht, der quasi ein unendliches Anlagevolumen hat und der in verschiedenen Assetklassen Anlagevolumina vom Markt nimmt. Die Zentralbanken agieren aber nicht als Kapitalmarktteilnehmer, sondern sie nutzen den Kapitalmarkt, um Effekte in der Gesamtwirtschaft zu erzielen. Insgesamt ist die wirtschaftliche Entwicklung sehr gut.- Ist die Aktienquote vor diesem Hintergrund richtig gewählt?Wir fahren ja in der Regel immer ungefähr 8 % über das gesamte Portfolio. Das bleibt auch so. In absoluten Beträgen gesehen werden wir übrigens mehr Aktien halten, weil unser Kapitalanlagebestand ja wächst.- Bei Anleihen geht die Allianz mehr ins Risiko. Das Rentenportfolio war 2012 zu 32 % mit einem AAA-Rating bewertet, Ende 2016 waren es nur noch 22 %.Bei den börsennotierten Anleihen müssen wir uns in dem Markt engagieren, der uns angeboten wird. Wenn der ganze Markt eine Migration macht, dann nehmen auch wir für einen bestimmten Ertrag ein bisschen mehr Risiko. Im Verhältnis zur Risikotragfähigkeit legen wir das Geld aber nicht riskanter an. Dies erkennt man auch an der starken Solvenzquote. Trotzdem müssen wir Risiko nehmen, weil wir ja sonst unsere Return-on-Equity-Ziele nicht erfüllen können.- Sie wollen die alternativen Anlagen auf 140 Mrd. Euro aufstocken. Ist dies wieder nur ein Zwischenschritt?Klar. Die Allianz, so meine Hoffnung, wird ewig existieren. Wenn das so ist, so sind das alles Zwischenziele. Wenn wir aber noch höhere Zielsetzungen kommunizieren würden, dann würden die Leute irgendwann sagen: Das wird aber schon schwierig zu verstehen, wie die das erreichen wollen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die nun kommunizierte Steigerung um 40 Mrd. Euro hinkriegen.- Welchen Anteil an den Anlagen sollen diese nicht gelisteten Investments mittelfristig haben?Wir stehen momentan bei 14 %. Allerdings sind die Produktionsfähigkeiten, die wir haben, wirklich sehr gut ausgelastet. Trotzdem erwarte ich, dass der Anteil mittelfristig klar über 15 % steigt. Das bedeutet, dass diese Anlageklasse stärker wächst als die anderen Klassen.- Wo liegt der Schwerpunkt?Einerseits wollen wir bei den Immobilien, andererseits bei der Infrastruktur zulegen. Die Investitionen in Infrastruktur sind deshalb so relevant, weil wir damit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten können. Mit diesem Geld, ob nun in Form von Eigenkapital oder Krediten, lässt sich die Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Wandel des Energiemixes. Derartige Impulse wollen wir auch in Märkte bringen, die bisher Versicherungen als Investoren nicht in dieser Form kennen.- Auf welche Regionen zielen Sie?Insbesondere haben wir Asien im Blick. Dort stehen neben Infrastrukturprojekten auch Immobilien auf der Agenda. Wasserkraftwerke in Indonesien habe ich schon genannt. Malaysia ist ebenfalls relevant, wir können aber auch in Thailand oder Taiwan aktiv werden. Das passt gut in die Gruppenstrategie.- Wie viel höher ist die Investmentmarge im Vergleich zur Situation, wenn die Allianz keine alternativen Anlagen hätte?Die Marge steigt dadurch um mindestens 0,3 Prozentpunkte. Die absoluten Zahlen sind erheblich. Wir erwirtschaften im Schaden- und Unfallgeschäft mehr als 400 Mill. Euro zusätzlich, in der Lebensversicherung sind es gut 1,3 Mrd. Euro.- Die Allianz hat im Dezember ihr ESG-Scoring gestartet. Wird es nun global angewendet?Wir bewerten die Assets tatsächlich nach ökologischer Selbstverpflichtung, sozialer Verantwortung und guter Unternehmensführung, also nach ESG-Kriterien. Wir haben es für die deutschen Portfolien umgesetzt und rollen es nun weltweit aus. Unsere Kunden wollen ja vor allem, dass wir in den Portfolien anfangen, entsprechend zu agieren. Daher engagieren wir uns bei jenen 10 %, die im Scoring am schlechtesten abgeschnitten haben.- Was tun Sie?Wir haben angefangen, mit den Unternehmensleitungen Gespräche zu führen. Wir würden erst dann desinvestieren, wenn unsere Form des Dialogs zu keinem Konsens führt.- Wie lange warten Sie?Die Unternehmen müssen schon Zeit bekommen, damit sie reagieren können. Wir sprechen über ein bis zwei Jahre. Alles andere wäre völlig vermessen. Es kommt übrigens durchaus vor, dass wir an ein Unternehmen wegen Governance-Themen herantreten.- Was bringt der ESG-Ansatz für das Versicherungsgeschäft?In Österreich haben wir begonnen, unser ESG-Engagement in den Produkten transparent zu machen. Die Kunden erfahren, dass das jeweilige Kapitalanlageergebnis erzielt wurde mit einer ESG-Vorgabe. Das sollte für sie attraktiv sein. In der deutschen Lebens- und Krankenversicherung machen wir gerade das Gleiche. Aber: Für uns ist das kein Wettbewerbsthema. Wir wollen nicht sagen: Wir sind die Besseren. Für uns gehört eine ESG-Bewertung grundsätzlich zum Engagement von Finanzdienstleistern.- Vor zehn Jahren war das anders.Ja, stimmt. Wir haben aus dem Dialog mit vielen Nichtregierungsorganisationen gelernt, uns um dieses Thema zu kümmern.- Sie verantworten auch das globale Lebens- und Krankenversicherungsgeschäft. Welchen Teil Ihres Arbeitstages widmen Sie dieser Aufgabe?Ich komme ja aus der Welt der Kapitalanlage, die mir naturgemäß relativ vertraut ist. Daher habe ich nach meiner Ernennung zum Vorstand einen großen Anteil meiner Zeit dem Lebens- und Krankenversicherungsgeschäft gewidmet. Ich konnte mich dabei in das Aufsetzen von neuen Geschäftsfeldern und in übergreifende Projekte einbringen.- Was plant die Allianz in der Krankenversicherung?Die Allianz ist mit mehr als 25 Länderorganisationen in der Krankenversicherung aktiv. Grob gerechnet sind wir einer der größte Krankenversicherer außerhalb der Vereinigten Staaten. Unsere neue Strategie sieht vor, profitables Wachstum in diesen Ländern stärker anzukurbeln als bisher. Wir zielen dafür auf den deutlich größeren Markt der Gesundheitsvorsorge, der eben nicht nur die Finanzierung, sondern auch Dienstleistungen umfasst. Es gibt sehr viele Länder, in denen wir nun diese Geschäftsfelder adressieren.- Welche Initiativen gibt es in der Lebensversicherung?Das Geschäft ist etabliert, schließlich weist es einen operativen Gewinn von 4 Mrd. Euro auf. Dennoch hat es große Herausforderungen vor sich. Die Veränderung der Produktlandschaft wird schon längere Zeit vorangetrieben. Zusätzlich gibt es nun die Freiheit, und dies schreibe ich ein bisschen Herrn Bäte zu, neue Geschäftsfelder zu entwickeln. So bauen wir in Australien ein Lebensversicherungsgeschäft auf. Dies ist ein reines Start-up. In der Vergangenheit hat die Allianz so etwas nicht unbedingt gewagt.- Welche Rolle spielen die Kompetenzzentren für die Lebens- und Krankenversicherung, die in der Allianz Deutschland AG angesiedelt sind?Ein wenig aus der Erfahrung in der Kapitalanlage kommend haben wir uns in beiden Fällen die Frage gestellt: Wie können wir sicherstellen, dass wir eine Form von globaler Funktion haben, diese aber voll im Geschäft integriert ist? So sind die Kompetenzzentren innerhalb der Allianz Lebensversicherung und der Allianz Private Krankenversicherung entstanden. Wir wollen aus den hiesigen Geschäften heraus auch Internationalisierung betreiben.- Können Sie Beispiele nennen?Da gibt es sehr viele Kooperationen, beispielsweise mit der Türkei, Brasilien oder Spanien. Das ist ja etwas, was superschön ist bei der Allianz: In dem Moment, wo Sie anfangen, diese Formen von Wissen bereitzustellen, entwickelt es sich rasend schnell in die einzelnen Geschäftsfelder hinein.- Empfinden dies die Regionalgesellschaften nicht als übergriffig?Überhaupt nicht! Es ist ja nicht so, dass irgendjemand kommt und sagt, Ihr müsst mit denen zusammenarbeiten. Es gibt vielmehr ein echtes Interesse, an der Idee der anderen zu partizipieren. Wir haben Leute, die in einem Geschäft in einem bestimmten Markt erfolgreich sind, und genau deswegen wollen die Kollegen in einem anderen Land in demselben Geschäftsbereich direkt mit diesen Leuten zusammenarbeiten.- Wie sieht dieser Austausch aus?Beispielsweise kann ein Experte eine bestimmte Zeit in einem anderen Land arbeiten, bestimmte größere Projekte können in zwei Ländern gemeinsam entwickelt werden, oder man sagt: Ob das wirklich bei mir funktioniert, weiß ich nicht, daher teste ich das bei mir im Land. Auf diese Art und Weise schaffen wir sehr kostengünstig Versuchsumgebungen und können das Geschäft im Erfolgsfall ausbauen.- Tickt ein Konzern wirklich so kooperativ?Dies ergibt sich, wenn eine integrierte Organisation da ist. Wenn wir in der Kapitalanlage eine zusätzliche Einheit übergeordnet gebildet hätten, würden sofort alle schwierigen Themen auftauchen: Wie wird Information eigentlich weitergegeben, wie wird die Motivation sichergestellt, wie kann der Einzelne auf bestimmte Anlageklassen fokussiert werden? Das haben Sie aber nicht, weil diese Organisation eben eins ist: sowohl in der Ländergesellschaft als auch in der globalen Investmentorganisation.- Es hört sich blauäugig an, Machtfragen komplett auszublenden.Die Zeit derjenigen, die ihre Rolle primär über Macht definieren, ist vorbei. Wie sieht denn beispielsweise meine Rolle in der Krankenversicherung aus? Klar, ich bin verantwortlich für dieses Segment, und wenn es nicht funktioniert, muss ich Rede und Antwort stehen. Aber: Direkt berichtet kein Mensch an mich. Es gibt keine unmittelbare Berichtslinie. Meine Macht bei Krankenversicherung ist, wenn ich es rein aus dem Organisationschart ableite, nicht vorhanden.- Funktioniert dies?Ja! Natürlich ist es erst einmal mit Veränderung verbunden. In Zeiten von Veränderungen ist die Rolle des Einzelnen unter Umständen unklar. Das ist aber etwas, was insbesondere Führungskräfte aushalten müssen.- Welche Hilfe kann der Konzern den Beschäftigten im Geschäftsbetrieb bieten?Kommunikation und große Transparenz gegenüber den Beschäftigten ist enorm wichtig. Wenn man die Veränderung nur den Einzelnen erleben lässt, dann ist es sehr schwer zu ertragen. Er sollte selbstbestimmt mitgehen können. Zugleich muss man verstehen: Derartige Veränderungen passieren nicht nur bei der Allianz. Wir haben uns der Realität zu stellen. Wenn wir uns einbilden, wir könnten einfach stehen bleiben, dann haben wir ein riesiges Problem, weil ganz neue Konkurrenten aktiv würden. Dann könnten wir unser Geschäft dichtmachen.—-Das Interview führte Michael Flämig.