"Wir wollen Erfahrungen sammeln"
Seit Anfang Januar ist Lieve Mostrey CEO des internationalen Zentralverwahrers Euroclear. Im Interview der Börsen-Zeitung nimmt sie Stellung zu ihren strategischen Schwerpunkten, zum regulatorischen Umfeld und dem Einsatz neuer Technologien im Nachhandel.- Frau Mostrey, was haben Sie seit Ihrem Amtsantritt Anfang dieses Jahres für Erfahrungen gemacht?Ich kenne Euroclear ziemlich gut, da ich seit 2010 für die Gruppe arbeite. Die Stärke unserer Mitarbeiter und die Unterstützung unserer Aktionäre und Anwender sind für mich wichtig. Das schätze ich an diesem Unternehmen. Ich glaube, es macht wirklich einen Unterschied, im Besitz der Kunden zu sein. Wir investieren große Summen, auch wenn dies in den nächsten Jahren unser Ergebnis belastet. Strategische Investitionen – sowohl intern als auch extern – sind für unsere Kundenbasis wichtig.- Worin besteht Ihre Strategie?Meine Strategie besteht aus drei konzentrischen Kreisen, die in meinen Augen die Euroclear-Gruppe zusammenfassen. Der innere Kreis umfasst unsere Kernaktivität, ein Zentralverwahrer für Wertpapiere zu sein – als Basis unserer europäischen Franchise, die wir sorgfältig schützen. Der zweite Kreis besteht aus Expansion und Wachstumsfeldern, darunter unser Fonds-Service, unser Joint Venture mit der Depository Trust and Clearing Corporation (DTCC) und unser Geschäftsbereich Global Reach oder ,Euroclearability`. Vor ein paar Jahren wäre das Collateral Management noch in diesem Kreis anzusiedeln gewesen, jetzt ist es aber so erfolgreich und integriert mit unserem Modell, dass ich es für einen Teil unserer Kernaktivitäten halte.- Was bedeutet ,Euroclearability`?Euroclearability entsteht, indem wir internationale Märkte mit der Euroclear-Infrastruktur verbinden, um ihnen zu helfen, ein Niveau an Rechtssicherheit und operativer Effizienz im Einklang mit etablierteren Märkten zu erreichen. Damit können Direktinvestitionen in diese Länder die Liquidität in diesen Märkten erhöhen. Wir führen derzeit mit vielen Ländern weltweit Diskussionen, wie sie ,euroclearable` werden, einschließlich Indien.- Und worin besteht Ihr dritter strategischer Kreis?Er ist das Erforschungselement in unserer Strategie. Es geht darum, neue Anwendungen zu erforschen und neue Geschäftsmodelle zu finden, in die investiert und expandiert werden kann. Unser Blockchain-Projekt auf dem Londoner Goldmarkt ist eine solche Initiative. Eine andere ist jene unseres finnischen Zentralverwahrers, der in der Zukunft Immobilienfirma-Zertifikate verarbeiten kann. Und in Frankreich sind wir Teil eines Konsortiums, das untersucht, wie Blockchain angewendet werden kann, um die Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen zu unterstützen.- Was unterscheidet sich von der bisherigen Strategie der Gruppe?Heute gibt es eine schärfere Artikulation, wie unsere bestehenden Geschäftsfelder in einem ganzheitlichen Angebot zusammenarbeiten und zusammenpassen. Das Zusammenspiel und die Abstimmung zwischen der Kern-, Wachstums- und Explorationsstrategie wird in Zukunft noch wichtiger sein.- Wie sehen Ihre Kriterien bezüglich Profitabilität und Umsatz aus?Wir betrachten unsere Profitabilität in Bezug auf den Service, den wir anbieten. Dieser erfordert Investitionen. Der Großteil unserer Investition wird in unserem Kerngeschäft liegen, das Ressourcen rund um die CSD-Regulierung – die Zentralverwahrer-Regulierung – und die europäische Abwicklungsplattform T2S umfasst. Wir investieren auch stark in Cyber-Security. In puncto Rentabilität achten wir nicht nur auf Prozentsätze, sondern auch auf die absoluten Zahlen. Ein kleiner Prozentsatz auf einer großen Summe kann mehr als ein hoher Prozentsatz auf einer kleinen Summe wert sein.- Gilt dies auch für die experimentelleren Projekte?Wir versuchen vorwegzunehmen, wo das maximale Wachstumspotenzial liegen dürfte, und investieren dort entsprechend. Wir wissen, dass nicht alle Projekte erfolgreich sein werden. Wir haben daher lieber ein Portfolio an Live-Projekten, bei denen wir sehen können, ob einige weiter kommen als andere.- Die neue US-Regierung schafft Unsicherheit, weil sie ankündigte, die Bankenregulierung in Form des Dodd-Frank Act aufzuweichen oder aufzugeben. Was halten Sie davon?Ich wäre sehr überrascht, wenn die bestehende Regulierung vollständig abgeschafft würde. Ich wäre auch überrascht, wenn selbst bei gravierenden regulatorischen Veränderungen sich etwas an der Notwendigkeit von Finanzinstitutionen ändern würde, ihre Sicherheiten besser zu verwalten. Unser sogenannter Collateral Highway sorgt dafür, dass unsere Kunden Sicherheiten in genügender Qualität zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle haben, für den richtigen Gebrauch. Diese Nachfrage bleibt bestehen.- Sie glauben also, es gibt eine dem Markt innewohnende Nachfrage nach Dienstleistungen für das Sicherheitenmanagement, die nicht nur von der Regulierung getrieben wird?Ja, das Risikomanagement durch den Einsatz von Collateral Management ist ein Merkmal der heutigen Märkte, das über regulatorische Aspekte hinausgeht.- Kommen wir auf die europäische Settlement-Plattform T2S zu sprechen. Wie hat sich die Lage dort entwickelt, was erwarten Sie?T2S ist heute ein robuster, integraler Bestandteil des europäischen Finanzmarkt-Ökosystems. Allerdings ist das Ziel der Reise noch nicht erreicht. In Bezug auf die Geschäftsmodelle können wir nun als Investor-CSD auftreten, unseren Kunden zentralisierte Dienstleistungen anbieten und ihnen Zugang zu den europäischen Märkten verschaffen. Es wird leichter werden, in Europa zu investieren, und Emittenten werden von einem breiteren Pool an Investoren profitieren. T2S wird die Kapitalmärkte Europas für in- und ausländische Investoren effizienter machen. Ich erwarte, dass sich die Nachfrage schrittweise aufbauen wird.- Auch was grenzüberschreitende Nutzung anbelangt? Hier gibt es ja noch Harmonisierungsbedarf, wie Nutzer sagen.Ich gehe davon aus, dass es zu einer größeren Standardisierung in der Zukunft kommt.- Erwarten Sie strukturelle Veränderungen durch T2S? Kommt es zu einer Konsolidierung unter Zentralverwahrern?Es kann eine Konsolidierung im Geschäftsvolumen geben, aber ich glaube nicht, dass dies zu einer Konsolidierung zwischen nationalen Zentralverwahrern führen wird. Das Dienstleistungsangebot der Zentralverwahrer wird sich jedoch so entwickeln, dass sie auf eine stärkere Konzentration der Geschäftsströme hinarbeiten werden.- Was halten Sie von der Idee der EZB, die Zahlungsplattform T2 mit T2S zusammenzubringen?Ich glaube, das ist vor allem ein technisches Projekt, das nicht viele neue Features bringt. Es ist völlig verständlich, dass die EZB Skaleneffekte heben möchte, die durch eine stärkere Integration dieser beiden Dienste geschaffen würden.- Die EZB hat gesagt, sie könnte dereinst auch supranationale Anleihen auf Basis neuer Technologien wie der Distributed Ledger Technology (DLT) begeben.Mein Verständnis ist, dass die EZB dies zumindest für EZB-Schuldverschreibungen – ECB Debt Certificates – überprüft. Die Zentralbank erörtert dieses Thema offen mit den Zentralverwahrern und mit dem Markt. Aber bis jetzt sind noch keine Entscheidungen getroffen worden.- Glauben Sie, dass es im Markt nun einen Konsens gibt, wie die Blockchain-Technologie regulatorisch behandelt werden soll?Es gibt im Markt eine Menge Hype um die Blockchain. Wir halten diese Technologie für sehr vielversprechend, aber sie ist nicht die einzige Antwort. Diese Technologie füllt nicht alle Marktlücken. Die Möglichkeiten der Distributed Ledger Technology – oder sogar neue Innovationen – finden sich an einer Schnittstelle, in der technologische Möglichkeiten auf das Überdenken von Geschäftsmodellen treffen, innerhalb der Grenzen regulatorischer Vorgaben. Wir müssen dies berücksichtigen, wenn wir den Zentralverwahrer von morgen bauen.- Gibt es mit Blick auf Ihren Jahresabschluss eine Art Gleichung zwischen dem Volumen verwahrter Vermögen und der Profitabilität und der Marge?Unsere Erlöse setzen sich aus dem Nettoprovisionsüberschuss und dem Nettozinsüberschuss zusammen. Diese umfassen viele Elemente, darunter verwaltete Vermögen, Transaktionsvolumen, Wertpapierleihgeschäfte und Over-the-Counter-Produkte sowie das allgemeine Marktumfeld. Wir profitieren von einer großen Transaktionszahl. Wenn wir unsere Nettorendite betrachten, war 2016 ein ziemlich gutes Jahr. Die steigenden Dollarzinsen haben unterstützt, und wir überwälzen negative Zinsen strikt auf unsere Kunden, um unsere Risiken zu minimieren.- Die teilweise hohe Volatilität im Markt war also kein Problem?Die erste Hälfte des Jahres 2016 war eher bescheiden. Aber nach der politischen Volatilität, die durch das Brexit-Referendum und die Trump-Rally verursacht wurde, haben wir ein stetiges Wachstum gesehen. 2016 war ein robustes Jahr.- Was sind Ihre Erwartungen für das laufende Jahr?Mit Blick auf den Umsatz kann dieser niedriger ausfallen als 2016, aber das läge an verschiedenen Gründen, einschließlich etwa der Pfundabwertung sowie unseres Vorhabens, weiterhin kräftig in neue und bestehende Marktinitiativen zu investieren.- Dazu zählt auch das Indexfonds-Geschäft?Das verwaltete Fondsvermögen wuchs gegenüber dem Vorjahr um 6 %. Dies ist vor allem auf das Wachstum in unserem internationalen ETF-Geschäft und den Einbezug der BlackRock-Migration von Indexfonds zurückzuführen. Unsere internationale ETF-Struktur gewinnt weiter an Zugkraft. Für uns geht es in diesem Geschäft um die einheitliche rechtliche Verpackung einer Anlageklasse und darum, wie sie lokal unterschiedlich behandelt werden kann.- Und im Einsatz der Distributed-Ledger-Technologie – wann erwarten Sie dort schwarze Zahlen?Unser Ziel bei diesen Initiativen besteht nicht in erster Linie darin, einen Gewinn zu erzielen. Wir erproben die Technologie und experimentieren mit ihr, um neue Geschäftsmodelle für den Markt und für unser Geschäft aufzubauen. Wir wollen Erfahrungen sammeln und uns über diese neuen Technologiefelder informieren, damit wir nicht nur die Technologie in unser Unternehmen integrieren können, sondern damit verbunden auch Methoden und innovative Denkweisen.—-Das Interview führte Dietegen Müller, zzt. London.