CFO InterviewAlban de Mailly Nesle, Axa

„Wir würden gerne im deutschen Markt wachsen“

Der Finanzchef von Axa sieht in Deutschland vor allem in der Sach- und Haftpflichtversicherung weiter großes Potenzial.

„Wir würden gerne im deutschen Markt wachsen“

Im Interview: Alban de Mailly Nesle

„Wir würden gerne im deutschen Markt wachsen"

Der Finanzchef des französischen Versicherers Axa sieht in Deutschland vor allem in der Sach- und Haftpflichtversicherung großes Potenzial

Axa-Finanzchef Alban de Mailly Nesle wird 2026 oder Anfang 2027 einen neuen Strategieplan präsentieren. Er setzt auf eine klare Akquisitionspolitik und großzügige Ausschüttungen. Trotz der instabilen politischen Lage in Frankreich läuft das Geschäft Axas in seinem wichtigsten Markt gut.

Herr de Mailly Nesle, bei Axa läuft gerade ein ziemlich umfangreiches Aktienrückkaufprogramm.

Ja, wir führen derzeit einen zusätzlichen Aktienrückkauf infolge des Verkaufs unserer Assetmanagementtochter Axa IM durch. Das ist nur logisch. Wir veräußern einen Geschäftsbereich und geben das Geld daher an unsere Aktionäre zurück. Das entspricht einer guten Finanzdisziplin.

Was machen Sie mit demRest des Geldes aus dem Verkauf von Axa IM?

Nach Abzug aller Steuern und weiterer Kosten blieben uns 5,1 Milliarden Euro. Der Aktienrückkauf kostete uns 3,8 Milliarden Euro. Somit bleiben 1,3 Milliarde Euro übrig. Diese fließen in die Vorfinanzierungsbeträge unserer Gruppe, die zuvor 4 Milliarden Euro betrugen. Im Grunde ändert das nichts an der Situation. Wir werden mit diesem Geld also wie bisher vorgehen: Es entweder behalten, unsere Schulden reduzieren oder Akquisitionen tätigen.

Wie könnten diese Akquisitionen aussehen?

Unsere Akquisitionspolitik ist eindeutig: Zukäufe erfolgen erst nach Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufen. Außerdem streben wir keine sehr großen Übernahmen an, die Unsicherheit über unsere strategische Ausrichtung schaffen würden. Wir setzen auf Akquisitionen im Wert von einigen hundert Millionen bis zu zwei oder drei Milliarden Euro. Da wir unser Vermögensverwaltungsgeschäft veräußert haben, konzentrieren wir uns auf den Versicherungsbereich innerhalb unserer bestehenden Aktivitäten in unseren Ländern. Wir wollen keine neue Präsenz aufbauen.

Wo schauen Sie sich um?

Wir suchen nach mehreren Dingen. Erstens nach Größe, denn wir sind überzeugt, dass gerade erhebliches Investitionspotenzial besteht, insbesondere in Künstliche Intelligenz, aber auch in Bereichen wie Compliance und Cybersicherheit. Zweitens wollen wir den Vertrieb in den Ländern, in denen wir tätig sind, ausbauen, durch Akquisitionen oder Partnerschaften. Drittens wollen wir durch Akquisition einen Wettbewerbsvorteil erreichen.

Wie könnte das aussehen?

Nehmen wir den italienischen Sachversicherer Prima als Beispiel, von dem wir mehr als 50% der Anteile erworben haben. Primas Wettbewerbsvorteil liegt in der Technologie. Denn das Unternehmen hat eine technologische Plattform, die derzeit sowohl in der Preisgestaltung als auch im Kundenservice weltweit führend ist.

Abgesehen von Frankreich, welche anderen Märkte sind wichtig für Axa?

Unsere wichtigsten Niederlassungen befinden sich in Deutschland, der Schweiz und Japan.

Wie viel Gewicht hat Deutschland im Konzern?

Der deutsche Markt macht etwa 10% unseres Geschäfts aus. Es ist ein Markt, den wir sehr mögen und in dem wir gerne wachsen würden.

Das müssen Sie in einem Interview mit einer deutschen Zeitung sagen.

Nein. Es stimmt, dass uns dieser Markt gefällt. Wir sind in Deutschland hauptsächlich in der Sach- und Haftpflichtversicherung sowie in der Krankenversicherung aktiv. Im Lebensversicherungsgeschäft, das in Deutschland von der Allianz dominiert wird, sind wir kleiner. 

Wo sehen Sie in Deutschland Wachstumschancen?

In der Sach- und Haftpflichtversicherung besteht weiter großes Potenzial, insbesondere weil Privatpersonen nicht immer versichert sind, vor allem nicht gegen Naturkatastrophen. Trotz des starken Wettbewerbs ist es ein profitabler Markt.

Welche Auslandsmärkte sind für Sie außer Deutschland, der Schweiz und Japan noch wichtig?

Hongkong, England, Belgien, Spanien, Italien und weiter unten auf der Liste die Türkei und Mexiko. Wir haben etwa fünfzehn Tochtergesellschaften, die fast den gesamten Umsatz des Konzerns erwirtschaften. Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren von 22 Märkten zurückgezogen – unsere jeweiligen Tochterunternehmen waren entweder zu klein oder in zu kleinen Märkten tätig. Seit 10 Jahren sind wir der Meinung, dass wir uns auf nur wenige Märkte konzentrieren sollten, in denen wir zu den Top 5 der Versicherer gehören.

Sie haben angekündigt, einen neuen Strategieplan vorzustellen. Das Management wurde ja als Vorbereitung schon umgebaut.

Wir fragen uns gerade: „Wie wird das Umfeld aussehen? Was verändert sich – positiv wie negativ? Und was müssen wir daher bei der Entwicklung unseres Strategieplans für die nächsten drei Jahre berücksichtigen?“ Die Ausarbeitung des Strategieplans selbst beginnt in den nächsten Monaten. Wir werden uns das ganze Jahr 2026 Zeit dafür nehmen.

Er wird also nicht 2026 vorgestellt?

Wir haben noch kein Datum festgelegt. Er wird entweder Ende 2026 oder Anfang 2027 präsentiert. Unsere Pläne sind immer für drei Jahre ausgelegt. Der aktuelle Plan endet Ende 2026.

Wie steht es um die Ziele des aktuellen Plans?

Unsere Aktionäre sind zufrieden mit den finanziellen Zielen, die wir uns im Rahmen des aktuellen Strategieplans gesetzt haben. Wir setzen auf Kontinuität, um die Erwartungen unserer Aktionäre auch künftig zu erfüllen.

Wie sieht es mit dem aktuellen Strategieplan aus? Erreichen Sie dessen Ziele?

Unser Hauptziel ist ein jährliches Wachstum des operativen Gewinns je Aktie von 6% bis 8%. Wir sind sehr zuversichtlich, das zu erreichen. Wir streben eine Rendite von 14% bis 16% auf jeden investierten Euro an. Dies werden wir bei gleichzeitig hoher Solvenz gewährleisten. Wir sind überzeugt, diesen Plan realisieren zu können.

Sie haben eine recht großzügige Ausschüttungspolitik. Wird sich das mit dem neuen Strategieplan ändern?

Es ist noch zu früh für eine Entscheidung. Wir haben eine Ausschüttungsquote von 75% in unserem aktuellen Plan, und unsere Wettbewerber haben uns kopiert. Darüber hinaus legt der aktuelle Strategieplan, und voraussichtlich auch der nächste, viel Wert auf organisches Wachstum. Das muss finanziert werden. Mit einer Ausschüttungsquote von 75% behalten wir 25%, die wir zur Finanzierung des organischen Wachstums benötigen.

Die Aktie steht trotzdem seit ein paar Monaten unter Druck. Warum?

Es gibt mehrere Faktoren. Zunächst einmal einen, den wir kaum beeinflussen können: die politische Lage in Frankreich. Die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel und dem derzeit im Parlament debattierten Haushaltsgesetz ist groß.

Und die anderen Faktoren?

Investoren weisen auch darauf hin, dass wir im Zyklus der Unternehmensversicherungen einen Punkt erreicht haben, an dem die Preise ihren Höhepunkt wahrscheinlich erreicht haben oder sich stabilisieren. Daher herrscht etwas mehr Unsicherheit darüber, was passieren wird. Wir haben klargestellt, dass wir unsere Ergebnisse aufrecht erhalten wollen, vor allem für die Sparte Axa XL, die komplexe Versicherungs- und Rückversicherungslösungen für mittelständische und multinationale Unternehmen bietet.

Wie wollen Sie das schaffen?

Neben der Preisgestaltung gibt es auch andere Stellhebel wie Produktivität, Kosten und Finanzergebnisse. Ist das Umfeld weiter günstig und sind die Zinsen heute höher als vor fünf oder sieben Jahren? Dies ermöglicht es uns, niedrigverzinsliche Anleihen durch hochverzinsliche zu ersetzen. Auch der Rest der Unternehmensgruppe entwickelt sich gut, wie das Ergebniswachstum im ersten Halbjahr zeigt.

Zurück zu Frankreich, das mit dem Abbau des Haushaltsdefizits schwer vorankommt.

Wir werden sehen, welches Niveau das Defizit erreichen wird, wie sich das auf den Spread auswirkt und wie die Ratingagenturen reagieren. Für unsere Solvenz wird es jedoch relativ geringe Auswirkungen haben. Dazu kommen allgemeinere Anlagefragen. Knapp 15% unserer Vermögenswerte sind französisch und sehr diversifiziert. Das heißt, 85% unserer Vermögenswerte sind ausländisch. Betrachtet man das französische Geschäft von Axa France, so entwickelt es sich trotz der Unsicherheit hervorragend.

Das müssen Sie erklären.

Wir verzeichnen deutlich höhere Prämien, und unsere Beitragseinnahmen aus Lebensversicherungen steigen signifikant. Man könnte sich sogar fragen, ob die aktuelle Unsicherheit nicht der Grund für den deutlichen Anstieg der französischen Sparquote auf 19% ist. Diese Ersparnisse müssen angelegt werden. Lebensversicherungen gehören zu den beliebtesten Anlageformen der Franzosen.

Welchen Anteil hat der französische Markt an den Aktivitäten Axas?

Er macht 20 bis 25% unseres Geschäfts aus. Er ist bedeutend. Das ist natürlich eine sehr objektive Einschätzung. Axa Frankreich ist eine der besten Sparten der Gruppe.

Bundeskanzler Friedrich Merz plädiert für eine integrierte europäische Börse. Was halten Sie davon?

Generell ist alles, was zu einem einheitlichen europäischen Markt führt, positiv. Denn unsere amerikanischen Wettbewerber – Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter – profitieren von einem sehr einheitlichen Markt. Zwar gibt es in den USA in jedem Bundesstaat eine Versicherungsaufsichtsbehörde, aber der Markt ist dennoch sehr offen. Wir haben das nicht oder nicht ausreichend. 

Was müsste passieren?

Es gibt zum Beispiel eine Initiative zu Altersvorsorgeprodukten, die derzeit nationale Angelegenheit sind. Daher ist die Einführung eines europaweiten Altersvorsorgeprodukts äußerst komplex, da dies eine Änderung sämtlicher Vorschriften erfordert. Hinzu kommen viele sensible Themen, insbesondere in Frankreich, im Zusammenhang mit der Altersvorsorge. Offenbar sind erst 11% des Draghi-Berichts umgesetzt. Wir haben also noch einen langen Weg vor uns, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern...

...und das vor dem Hintergrund der gestiegenen geopolitischen Spannungen. Wie wirken die sich auf Axa aus?

Von entscheidender Bedeutung für uns sind die Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Am wichtigsten ist die Dollarschwäche. Der Dollar ist aufgrund der Unsicherheit am US-Markt und anderer Faktoren innerhalb eines Jahres um etwa 10% gefallen. Betrachtet man andere Sektoren, so halten sich die Aktienmärkte bemerkenswert gut, insbesondere der Technologiesektor.

Und wie sieht es auf den Anleihemärkten aus?

Es gab eine Zeit, da sind die Zinsen in den USA aufgrund des Haushaltsdefizits gestiegen, aber zuletzt sind sie sogar gesunken. All das bewegt sich weiterhin in einem durchaus vernünftigen Rahmen. Daher spüren wir derzeit kaum Auswirkungen dieser geopolitischen Spannungen.

Die Spannungen im weltweiten Warenverkehr haben auch zugenommen. Was bedeutet das für Axa?

Für einen Versicherer haben solche Spannungen kaum Auswirkungen, da wir hauptsächlich mit lokalen Unternehmen zusammenarbeiten. Es ist denkbar, dass Transportströme, insbesondere der Schiffsverkehr, deswegen zurückgehen können und es daher weniger Schiffsversicherungen geben könnte. Derzeit ist dies jedoch noch nicht der Fall.

Sind weitere Auswirkungen denkbar?

Die USA importieren Bauholz aus Kanada, das teurer wird. Dadurch können die Kosten für den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen steigen. 

Mit Ausnahme des Hurrikans „Melissa“ gab es in diesem Jahr wenig Naturkatastrophen. Wie wirkt sich Melissa auf Axa aus?

„Melissa“ dürfte uns weniger als 100 Millionen Euro kosten. Wir sind in den von „Melissa“ betroffenen Gebieten nicht sehr stark exponiert. Bei Naturkatastrophen geht es im Grunde um Risikobewertung und Prävention. Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Risiken genau kennen und sie korrekt modellieren. In den vergangenen Jahren haben wir festgestellt, dass es nicht die die schweren Hurrikane oder Stürme sind, die hohe Kosten verursachen, sondern sogenannte Sekundärgefahren. Dazu gehören Hagel, Dürre und lokale Überschwemmungen. 

Welche Rolle spielen Katastrophenmodelle?

Naturkatastrophen erfordern viel detailliertere Modellierungen. Daher investieren wir erheblich in Risikomodelle, die sowohl Ereignishäufigkeit und -umfang als auch für die Anfälligkeit der von uns versicherten Vermögenswerte abbilden. Ein sehr einfaches Beispiel sind Überschwemmungen. Es ist ein Unterschied, ob sie jemanden im Erdgeschoss oder im ersten Stock versichern. Deshalb müssen wir sehr präzise vorgehen. Daher ist eine umfangreiche Modellierung erforderlich, die bei dem Abschluss der Versicherung hilft, da wir potenziell gefährdete Bereiche definieren. Dafür analysieren wir viele Daten auch mithilfe von Künstlicher Intelligenz.

Das ersetzt aber nicht die Prävention. 

Unsere Modelle können aber bei der Prävention helfen, da wir sehen können, wie eine Naturkatastrophe ablaufen könnte. Nehmen Sie Valencia. Dort wurde der Fluss umgeleitet. Auf dem alten Flussbett wurden Häuser gebaut. Durch die starken Regenfälle 2024 ist das Wasser wieder in sein Flussbett zurückgekehrt. 

Was folgt daraus für die Prävention?

Es bedeutet, klar festzulegen, wo gebaut werden darf und wo nicht. Es bedeutet auch, unsere Versicherungsnehmer beim Aufbau von Schutzmaßnahmen zu unterstützen. Flussaufwärts stellen wir beispielsweise einigen Unternehmen ein Modell ihrer Fabrik zur Verfügung, das zeigt, wie sich Hochwasser auf sie auswirken wird. 

Auch die Pleiten US-Autokreditspezialisten Tricolor und des Autozulieferers First Brands beschäftigen Analysten.

Wir sind minimal oder gar nicht betroffen. Insgesamt belaufen sich die Kredite der Gruppe im Mid-Market-Markt auf 9 Milliarden Euro, verteilt auf 1.000 Positionen. Im Durchschnitt sind es also 8 Millionen, das ist ein sehr niedriges Niveau.

Im Schnitt nur 8 Millionen?

Genau. Das bedeutet, dass wir im Falle eines solchen Ereignisses möglicherweise gar nicht betroffen sind, da wir unseren Vermögensverwaltern äußerst präzise Vorgaben zu Sektoren und übernommenen Garantien machen. Falls wir doch betroffen sind, dann nur in sehr geringem Umfang, da wir auf Diversifizierung setzen.

Was Ihre Aktivitäten in den USA angeht: Spüren Sie Druck durch die Trump-Regierung?

Wir beobachten die Entwicklungen in den USA. Unsere Aktivität in den USA, besonders mit AXA XL, bleibt extrem dynamisch.

Hat sich dort für Axa etwas seit dem Regierungswechsel geändert?

Nein. Wir sind von den Strafzöllen nicht wesentlich betroffen, da wir nicht exportieren. Zwar führen sie zu gewissen Marktschwankungen, diese haben sich aber gelegt. Wenn wir betroffen sind, dann nur indirekt.
Die Versicherungsbranche folgt nicht unbedingt den Konjunkturzyklen.

Die Welt hat sich insgesamt stark verändert. Sehen Sie in dieser neuen Weltordnung auch Chancen?

Ja, es gibt einige positive Entwicklungen, die den Versicherungssektor ankurbeln werden. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die neue Weltordnung viel Positives mit sich bringen wird. Protektionismus hat der Weltwirtschaft noch nie geholfen. Entwicklung muss auf Wettbewerbsfähigkeit basieren.

Welche positiven Entwicklungen könnten die Versicherungsbranche ankurbeln?

Zum Beispiel die demografische Entwicklung, der Ausbau grüner Energien und die Zunahme von Cybersicherheitsmaßnahmen, einschließlich Investitionen in Künstliche Intelligenz. Für KI werden Energieinvestitionen benötigt, da wir von enormen Stromerzeugungskapazitäten sprechen. Hinzu kommt das Cyberrisiko, das versichert werden muss. Es wird also einen deutlichen Anstieg bestimmter Vermögenswerte geben, die versichert werden müssen.

Assetmanager setzen mittlerweile ebenfalls mit speziellen Produkten auf die demografische Entwicklung.

Durch die alternde Bevölkerung treten wir in eine Phase der Kapitalakkumulation ein. Der Staat und die Versicherten müssen höhere Rentenzahlungen leisten. Es handelt sich also um ein Langlebigkeitsrisiko. Versicherer können dieses Risiko übernehmen, Banken oder Vermögensverwalter hingegen nicht.

Alternde Menschen wirken sich auch auf die Gesundheitsvorsorge aus.

Mit der alternden Bevölkerung steigt der Bedarf an medizinischen Leistungen. Auch hier müssen private Versicherer ihren Beitrag leisten, denn die öffentlichen Sozialversicherungssysteme stoßen an ihre Grenzen. Wir müssen bei den Krankenversicherungen ein neues Gleichgewicht finden. 

Die neue Weltordnung birgt aber auch viele Herausforderungen.

Die Herausforderung besteht darin, sicher zu stellen, dass man versteht, was geopolitisch passiert. Dazu kommen immer mehr Naturkatastrophen und KI. 

Welche Rolle spielt KI für Versicherer?

KI wird uns bei der Preisgestaltung und im Underwriting erheblich unterstützen. Sie wird uns auch bei technischen Aspekten wie der Betrugserkennung helfen und die Kundenbeziehungen verbessern.

Das klingt eher positiv.

Ja, aber die Umsetzung von KI muss korrekt erfolgen. Es geht um bedeutende Projekte mit hohem Investitionsvolumen. Außerdem müssen wir verstehen, wie sich die Kundenbeziehung durch KI verändern kann. Heute kennt ein Kunde Axa. Gelegentlich sucht er bei Google oder auf einem Vergleichsportal nach Versicherungen. Morgen, sogar heute schon, fragt er ChatGPT nach dem besten Versicherer. 

Und was bedeutet das für Sie?

Wir müssen dieser beste Versicherer sein. Es gibt also einige Herausforderungen. Da die Versicherungsbranche jedoch zweifellos zu den Sektoren gehört, die am meisten mit unstrukturierten Daten arbeiten und diese Daten für ihre Arbeit benötigen, bietet KI, die intensiv mit unstrukturierten Daten arbeitet, der Branche eine echte Chance.

Welche Bedeutung wird KI in ihrem neuen Strategieplan bekommen?

Wir haben gerade erst die Hälfte unseres aktuellen Strategieplans erreicht. Wir beginnen natürlich, uns Gedanken zu machen. Es ist nicht so, als würden wir einfach aufhören und von vorne anfangen. Es gibt Kontinuität. Wir investieren bereits in KI und werden dies auch weiterhin tun.

Beim Regulierungsrahmen Solvency II stehen Änderungen bevor…

Es hat viele Gespräche zwischen der Branche und den zuständigen Institutionen dazu gegeben. Ein endgültiges Ergebnis steht noch aus. Wir bewegen uns aber auf eine Entwicklung zu, in der anerkannt wird, dass Solvency II etwas zu vorsichtig konzipiert wurde.

Was erwarten Sie?

Überarbeitete Regeln, um – vereinfacht gesagt – höhere Solvabilitätsquoten zu ermöglichen. Es heißt, dass unsere Solvabilitätsquoten insgesamt um 10 bis 20 Punkte steigen sollten. Aktuell liegen sie alle über 200%. Die Frage ist: Was machen wir mit diesen zusätzlichen Eigenmitteln? Die europäischen Behörden wollen, dass sie in langfristige Vermögenswerte investiert werden. Deshalb hat Europa auch beschlossen, die Kapitalanforderungen zu senken und damit die Solvabilität der Versicherer zu erhöhen. Wir leisten unseren Beitrag und investieren bereits in Infrastruktur und – soweit möglich – auch in private Unternehmen, entweder über Private Equity oder Private Debt. 

Welche Rolle spielt Private Equity für Sie?

Wir investieren in Wachstumsbranchen. Daher haben wir in Infrastruktur und Rechenzentren investiert. Natürlich handelt es sich dabei um illiquide Vermögenswerte. Die Höhe der Vermögenswerte, die wir halten können, ist also durch die Liquidität begrenzt, da der Großteil unserer Anlagen aus Staatsanleihen oder börsennotierten Unternehmensanleihen besteht. Dennoch verfügen wir über 18 Mrd. Euro im Private Equity-Bereich.

Das Interview führte Gesche Wüpper.