Sprengungen

Wollen Sie noch neben einem Geldautomaten wohnen?

Der klassische Banküberfall hat ausgedient, Täter verlegen sich aufs Sprengen von Geldautomaten. Die Gefahren könnten zur Bildung von Bürgerinitiativen gegen Automaten in der Nachbarschaft führen.

Wollen Sie noch neben einem Geldautomaten wohnen?

Der Versuch, einen Geldautomaten in Hofheim-Diedenbergen im Main-Taunus-Kreis auszuräumen, war mehr als spektakulär. Mitten im Rhein-Main-Gebiet zündeten bislang unbekannte Täter morgens gegen 4 Uhr einen Sprengsatz, mussten aber ohne Beute fliehen, weil der Automat laut Polizei mit „neuester Technik“ gesichert war. Auf der Flucht rammten sie auf einer Autobahnbrücke zwischen Wiesbaden und Mainz die Seitenbegrenzung. Das gestohlene Fahrzeug ließen sie zertrümmert zurück, entkamen der Polizei aber zu Fuß, trotz des Einsatzes von Hunden und Hubschrauber. Die Brücke blieb stundenlang gesperrt, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Berufsverkehr.

Weil an dem zerstörten Finanzpunkt, einer Kooperation von Frankfurter Volksbank und Taunus-Sparkasse, ein weiterer Zündsatz gefunden wurde, mussten Anwohner in Sicherheit gebracht werden, bevor das LKA ihn bergen und auf einem Feld kontrolliert sprengen konnte. Allein der Schaden am Gebäude liegt im sechsstelligen Bereich.

Kaum noch Banküberfälle

Längst ist Diedenbergen überall! Es knallt mittlerweile praktisch jede Nacht irgendwo zwischen Flensburg und Freiburg. Mindestens 450 Bankautomaten wurden im Jahr 2022 bundesweit gesprengt. Schon seit einiger Zeit haben die Sprengungen die klassischen Banküberfälle abgelöst, deren Zahl in den vergangenen drei Jahrzehnten um 95% zurückgegangen ist. Zählte das Bundeskriminalamt 1993 noch 1623 Banküberfälle im Jahr, waren es laut Statista 2021 gerade noch 28.

Die Gründe liegen auf der Hand: In vielen Bankfilialen wird immer weniger Bargeld vorgehalten, und ein bewaffneter Bankraub ist für die Täter in jeder Hinsicht riskanter als eine Sprengung. Mithin werden immer mehr Geldautomaten gesprengt. Sehr häufig von Tätern, die aus dem Ausland, zumeist aus den Niederlanden, ins Land kommen, um nach den Taten Deutschland schnell wieder zu verlassen. Oft machen sie reiche Beute: Die Automaten sind in der Regel mit 50000 bis 100000 Euro gefüllt und nur selten mit Tintenpatronen bestückt. In Frankreich, Belgien, Schweden und in den Niederlanden ist dies übrigens bereits vorgeschrieben ­– hierzulande ist dies bislang nicht der Fall.

Und die Szene wird zunehmend professionell und brutal. Bis etwa 2018 wurden die Automaten „nur“ mit Gas gesprengt. Da Banken die Automaten zunehmend gegen diese Angriffe gesichert haben, nutzen die Täter jetzt Festsprengstoff. Mit fatalen Folgen: Es wurden schon Passanten verletzt, Metallteile schlugen in Kinderzimmern ein, Häuser waren nicht mehr bewohnbar. In Polizeiberichten findet man zunehmend Angaben, dass Trümmerteile 50 oder sogar 100 Meter weit verstreut waren. Millionenschäden an Gebäuden sind keine Seltenheit. Oft müssen Statiker prüfen, ob diese überhaupt noch nutzbar sind. Bei Fluchten werden Polizeifahrzeuge gerammt, nach einem Überfall in Ibbenbüren ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Mordes, weil sich ein Beamter nur noch mit einem Sprung zur Seite retten konnte.

Die Täter nutzen sogar Nachtsichtgeräte, um ohne Licht fahren zu können, bei Durchsuchungen fanden Polizisten sogar sogenannte Jammer-Störsender, mit denen Handys oder Funkgeräte geblockt werden können. Die meist gestohlenen Fluchtfahrzeuge haben nach Schätzungen der Polizei oft über 400 PS, die eine Flucht mit bis zu 300 Stundenkilometern ermöglichen. Streifenwagen haben da keine Chance, selbst Hubschrauber haben Mühe mitzuhalten.

Filialabbau schreitet voran

Banken und Sparkassen reduzieren seit Jahren die Zahl ihrer Filialen, aus Kostengründen und weil ohnehin immer mehr Kundinnen und Kunden auf das Bezahlen mit Karte oder Handy umsteigen. Zum guten Ton und zum Pflichtenheft der Kommunalpolitik gehörte aber immer die Forderung der Kommunalpolitiker an die Adresse von Sparkassen und Volksbanken, für die Versorgung der Bevölkerung mit Bargeld möglichst in jedem Dorf dennoch wenigstens einen Geldautomaten zu belassen. Ortsbeiräte und Seniorengliederungen machten dafür gerne mit Unterschriftensammlungen mobil.

Je öfter aber Geldautomaten mit schwerem Sprengstoff und mit schwersten Folgeschäden geknackt werden, desto mehr wird sich die Diskussion in den Städten und Gemeinden verändern, die Stimmung kippt inzwischen. Das Landeskriminalamt NRW sieht in dem Betrieb von Geldautomaten in Wohngebieten mittlerweile eine „unmittelbare Gefahr für Leib und Leben“ und rät dazu, diese Standorte zu schließen. Bis zur Gründung der ersten Bürgerinitiative gegen den Geldautomaten im eigenen Haus oder in der Nachbarschaft dürfte es nicht mehr lange dauern. In manchen Orten geht die Diskussion darüber in den lokalen Medien schon los.

In Diedenbergen will sich Hofheims Bürgermeister Christian Vogt zwar weiter für eine Bargeldversorgung vor Ort einsetzen. Nachdem er die Schäden besichtigt hatte, sprach er aber zugleich von einer „hohen Gefahrenquelle“ für die Anwohner.

*) Dirk Metz, Staatssekretär a.D., ist Gründer und Geschäftsführer von DMK, einer Agentur für Kommunikation und Krisenkommunikation.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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