Reporting

Bilanzrisiken bereiten Konzernen Kopfzerbrechen

Zinsanstieg, Inflation und Wirtschaftsflaute sorgen für steigende Risiken in Unternehmensbilanzen. Transparenz ist das Gebot der Stunde.

Bilanzrisiken bereiten Konzernen Kopfzerbrechen

swa Frankfurt

Der Countdown läuft. Für die meisten Konzerne geht es auf den Bilanzstichtag zu, das anhaltende Krisenszenario stellt die Berichterstattung vor enorme Herausforderungen. Waren es in der ersten Hälfte des Jahres noch überwiegend die unmittelbaren Auswirkungen des Ukraine-Krieges und Nachwehen von Corona-Lockdowns, die Sorgenfalten in den Finanzabteilungen hervorbrachten, geht es inzwischen um eine Vielzahl von krisenhaften Entwicklungen. Zinsanstieg, explodierende En­ergiepreise, Inflation und Ausfallrisiken sind die aktuell brisanten Themen für Unternehmen, Investoren und Abschlussprüfer.

In dem Szenario müssen viele Unternehmen ihre bewährten Be­wertungsmodelle weiterentwickeln, um die vielschichtigen Unsicherheiten angemessen abzubilden. Diese Unsicherheiten erschweren die Vorhersage der weiteren Unternehmensentwicklung. Im Worst Case ist zu fragen, ob die Fortführung der Unternehmenstätigkeit gewährleistet ist. Zentrale Bilanzposten wie Firmenwerte und Goodwill, Rückstellungen, Beteiligungsbuchwerte und latente Steuern stehen im Stresstest.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat über das Jahr in laufend aktualisierten „fachlichen Hinweisen“ auf Knackpunkte hingewiesen, um der eigenen Zunft und den Unternehmen Leitlinien für Rechnungslegung und Prüfung zu geben. Die Dramatik der Situation hat sich über die Monate verschärft. Zentrale Fundamentaldaten haben sich verschlechtert, die Anzeichen für eine länger anhaltende Rezession nehmen zu, Banken verschärfen ihre Bedingungen für Unternehmenskredite.

Eines der heikelsten bilanziellen Themen ist die Werthaltigkeit von Geschäfts- und Firmenwerten, zumal zahlreiche Konzerne nach Akquisitionen hohe Goodwillbeträge aktiviert haben, die mancherorts einen be­trächtlichen Teil des Eigenkapitals erreichen. Im Kreis der Dax-Werte übersteigt bei Airbus und Bayer der aktivierte Goodwill das Eigenkapital, bei Fresenius, Siemens Healthineers, und SAP ist es mehr als 75 %. Außerhalb des Dax sticht Teamviewer hervor, die in der Konzernbilanz Ge­schäfts- und Firmenwert von 669 Mill. Euro zeigt und ein den Aktionären zustehendes Eigenkapital von 89 Mill. Euro.

Derzeit ist Goodwill von zwei Seiten unter Druck. So haben sich vielerorts wegen steigernder Kosten und rückläufiger Nachfrage die langfristigen Ertrags- und Cashflow-Erwartungen eingetrübt. Gleichzeitig reduziert sich der Barwert des Cashflows aufgrund steigender Kapitalisierungszinssätze.

Gewarnt wird in dem Zusammenhang vor prozyklischen Ef­fekten aus dem Impairment von Firmenwerten in Krisenzeiten. Um diese Risiken einzuschränken, fordert mancher Bilanzierungsexperte, den Impairment-only-Ansatz wieder aufzugeben und zur ratierlichen Ab­schreibung von Goodwill zurückzukehren – wie es auch das deutsche Handelsgesetzbuch vorsieht. Der internationale Standardsetzer IASB hat jüngst darüber abgestimmt, doch zehn von elf Board-Mitgliedern haben sich gegen die Abkehr vom reinen Wertminderungsmodell ausgesprochen.

Entlastung gibt der Zinsanstieg den Unternehmen in der Bilanzierung von Pensionsrückstellungen. Allerdings müssen inflationsinduzierte Lohn- und Rentensteigerungen für die Be­stimmung künftiger Ansprüche in der Altersvorsorge be­rücksichtigt werden. Vor einem besonderen bilanziellen Risiko warnen Wirtschaftsprüfer, wenn Unternehmen Energie aus ihren langfristigen Beschaffungsverträgen nicht mehr für die eigene Produktion einsetzen, sondern zu deutlich höheren Preisen an Dritte weitergeben. Wer sich plötzlich zum Energiehändler aufschwingt, muss damit rechnen, dass sein Beschaffungsvertrag umklassifiziert werden muss und fortan als Derivat erfasst wird – und zwar zum aktuellen Marktpreis. Es winkt ein hoher Einmalgewinn, aber Kostendruck in den Folgejahren.

Berichte Seite 11