GastbeitragAnlagethema im Brennpunkt (323)

Der Natur zu schaden ist ein Investmentrisiko, sie zu bewahren eine Chance

Die Natur steht unter steigendem Druck. Dabei basieren gesunde Kapitalmärkte auf einer gesunden Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt.

Der Natur zu schaden ist ein Investmentrisiko, sie zu bewahren eine Chance

Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (323)

Der Natur zu schaden ist ein Investmentrisiko

Gesunde Kapitalmärkte basieren auf einer gesunden Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Unsere Wirtschaft ist von der Umwelt und Gesellschaft abhängig, während diese wiederum von der Wirtschaft beeinflusst werden. Die Klimaschutzdebatte konzentriert sich häufig auf einzelne Nachhaltigkeitsbereiche, wie die CO2-Reduktion, den Übergang zu erneuerbaren Energien oder den Erhalt von Biodiversität. Das sind ohne Zweifel relevante Aspekte. Wichtig erscheint uns dennoch, eine weitere Kategorie einzubringen, die bisher oft nur angedacht wurde: der Erhalt der Natur bzw. die Verhinderung ihres Verlustes. Dahinter verbirgt sich ein ganzheitlicher Ansatz, der über einzelne Aspekte der Klima- und Biodiversitätsdebatte hinausgeht.

Die Natur steht unter steigendem Druck. Der Verlust von Natur und des inhärenten Naturkapitals ist eines der gravierendsten Risiken der nächsten Dekade. Immer mehr Land- und Meeresflächen werden nutzbar gemacht bzw. ausgebeutet. Diese Praxis ist für über 50% der weltweiten Beeinträchtigungen von Ökosystemen verantwortlich. Beispielsweise werden mehr als 80% des globalen Abwassers unbehandelt in die Umwelt abgelassen – eine weitere ernsthafte Bedrohung für die Meere.

Alles hängt von der Natur ab

Jede wirtschaftliche Tätigkeit ist von der Natur abhängig. Sie erbringt viele wesentliche „Leistungen“ wie etwa die Bestäubung von Pflanzen oder die Bereitstellung sauberen Wassers. Es wird geschätzt, dass mehr als 50% des weltweiten BIP in mittlerem oder hohem Maße von der Natur abhängig sind. Im Umkehrschluss heißt das: Je mehr die Natur Schaden nimmt, desto größer werden die finanziellen Risiken für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Investoren stehen daher in der Pflicht, diese Risiken in ihre Investitions- und Analyseprozesse einzubeziehen.

Um dem Naturverlust effektiv entgegenzuwirken, müssen Finanzmarktakteure Synergien und Wechselwirkungen zwischen Klima und Natur verstehen. Um es deutlich zu sagen: Das Netto-null-Ziel ist ohne Naturerhalt nicht möglich.

Naturverlust und Klimawandel hängen also zusammen, es bieten sich aber auch Chancen: Analysen der Global Commission on Adaptation zeigen, dass weltweite Investitionen von 1,8 Bill. Dollar in fünf natur-bezogene Zielbereiche von 2020 bis 2030 einen wirtschaftlichen Gesamtnutzen von 7,1 Bill. Dollar generieren könnten. Gemeint sind damit zum Beispiel Frühwarnsysteme, eine klimaresiliente Infrastruktur, eine umweltschonende Agrarproduktion in Trockengebieten, der weltweite Mangrovenschutz oder Projekte, um Wasserquellen widerstandsfähiger zu machen.

Investitionen bereits möglich

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass, um internationale Verpflichtungen zu erfüllen, bis 2050 Investitionen von 8,8 Bill. Dollar erforderlich sind. Gemeint sind damit Investitionen in den Naturschutz direkt, aber auch Anwendungen, Prozesse oder Ähnliches, die ihr helfen. Derzeit werden jährlich nur etwa 146 Mrd. Dollar investiert und privates Kapital macht davon lediglich 17% des Gesamtbetrags aus. Im Bereich Klimaschutz stammen hingegen schon mehr als die Hälfte aller Investitionen aus dem Privatsektor. Es gibt also eine erhebliche Lücke, die geschlossen werden muss.

Heute gibt es bereits vielfältige Finanzinstrumente und alternative Anlageklassen, die Unternehmen mit naturerhaltenden Praktiken finanzieren. Die Rede ist hier etwa von nachhaltigen Anleihen, Debt-for-Nature-Swaps, sogenannte Blue Bonds oder die stetig wachsenden Märkte für Kohlenstoff- und Biodiversitätskredite. Auch nachhaltige thematische Anlagestrategien in Biodiversität, Wasser, Abfall oder Klimalösungen gewinnen an Bedeutung. Die Möglichkeiten für Investoren, sich im Bereich Naturerhalt zu engagieren, sind vielfältig. Wofür auch immer sie sich entscheiden: Finanzströme von naturschädigenden hin zu naturerhaltenden Aktivitäten umzulenken, führt zu besseren langfristigen finanziellen, Umwelt- und sozialen Ergebnissen für Anleger und die Gesellschaft insgesamt.

Jenn-Hui Tan

Chief Sustainability Officer bei Fidelity International