GesprächHolger Wußler, KPMG

„Excel und Bauchgefühl genügen nicht“

Die ersten CSRD-Berichte zeigen: Die ESG-Offenlegung bleibt lückenhaft. Holger Wußler, ESG-Experte bei KPMG, warnt vor zu großen Freiräumen im Regelwerk – Vergleichbarkeit und Datenqualität seien oft unzureichend, echte Steuerung kaum möglich.

„Excel und Bauchgefühl genügen nicht“

Im Gespräch: Holger Wußler

„Excel und Bauchgefühl genügen nicht“

KPMG-Partner: Zu viele Freiräume gefährden ESG-Transparenz – Erste CSRD-Berichte sind kaum vergleichbar

Die ersten CSRD-Berichte von großen Unternehmen zeigen: Die ESG-Offenlegung bleibt lückenhaft. Holger Wußler, ESG-Experte bei KPMG, warnt vor zu großen Freiräumen im EU-Regelwerk zur Nachhaltigkeits-Berichtserstattung – Vergleichbarkeit und Datenqualität seien oft unzureichend, echte Steuerung kaum möglich.

wbr Frankfurt

Die ESG-Berichterstattung der Finanzbranche steht an einem Wendepunkt – und mit ihr die Hoffnung, über nachhaltige Kennzahlen Transparenz und Steuerungsfähigkeit zu gewinnen. Doch die Realität hinkt den Ansprüchen hinterher. „Wenn man sich die erste CSRD-Berichtswelle anschaut, merkt man: Die Freiheitsgrade, die das Regelwerk lässt, sind enorm.

„Die Vorgaben führen zu eklatanten Unterschieden, die einen echten Vergleich fast unmöglich machen“, sagt Holger Wußler, ESG-Experte bei KPMG. Besonders die Bandbreite in Methodik und Datenqualität sei auffällig – von vollständigen Echtdatenanalysen bis zu groben Näherungen auf Branchenebene.

ESG-Druck steigt immer weiter

Seit dem 1. Januar 2024 verpflichtet die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), also die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeits-Berichtserstattung, große kapitalmarktorientierte Unternehmen, klimabezogene und soziale Kennzahlen offenzulegen. 2025 folgen weitere große Gesellschaften, 2026 die börsennotierten KMU. Gleichzeitig greift ab 2025 die neu EU-Kapitaladäquanzverordnung CRR III mit erheblich schärferer Regulierung in die Berichterstattung der Banken ein. Dort sieht Wußler mehr Stringenz: „Bei der Offenlegung nach CRR III sehen wir deutlich mehr regulatorischen Zugriff. Dort ist das Korsett enger, es wird stärker auf hochklimarelevante Sektoren fokussiert, und dadurch werden die Daten verlässlicher und vergleichbarer.“

In der Praxis zeigt sich ein zersplittertes Bild. Während einige Institute ESG strategisch integrieren, orchestrieren andere das Thema noch immer „mit Excel und Bauchgefühl“, wie Wußler es formuliert. Die Folge: Bei Daten gibt es massive Defizite. „Der Echtdatenanteil liegt aktuell oft nur zwischen 0,5 und 25% – das ist erschreckend wenig und zeigt, wie groß die Aufgabe in der Datenbeschaffung noch ist.“

Kreditportfolio als Schlüssel

Dabei gäbe es einfache Hebel. Wußler: „Die schnelle Lösung liegt eigentlich auf der Hand.“ Wer ESG-Daten bereits im Kreditprozess erhebt, integriert sie automatisch ins Portfolio – ein Quick-Win, den viele Banken bislang ungenutzt lassen. Die Hoffnung, über die Berichtspflichten mittelständischer Kunden an belastbare ESG-Daten zu gelangen, habe sich zerschlagen. „Mit dem Omnibusgesetz ist diese Tür jetzt zu – und die Verantwortung liegt wieder bei den Banken.“

Gerade im Hinblick auf die Steuerung und Dekarbonisierung der Kreditportfolios ist das ein Problem. „Wir haben zwei methodisch getrennte Welten: Auf der einen Seite den aktuellen CO2-Fußabdruck, gemessen an PCAF, auf der anderen Seite Dekarbonisierungspfade über Transition Plans“, erklärt Wußler. Bei der PCAF handelt es sich um die Partnership for Carbon Accounting Financials (PCAF), eine internationale Brancheninitiative zur Standardisierung der Messung und Offenlegung von Treibhausgasemissionen im Kreditportfolio. Die Herausforderung besteht Wußler zufolge darin, die beiden Welten zu verknüpfen, um tatsächlich steuerbare Wirkungen zu erzielen. Und das erfordere deutlich mehr, als einen jährlichen ESG-Bericht zu verfassen: „Wer Dekarbonisierung ernst meint, muss Monitoring und Steuerung viel höher frequent betreiben.“

Zu oft pauschale Branchenwerte

Derzeit sind es vor allem stark emissionsintensive Sektoren wie Schiff-, Flugzeug- oder Kraftwerksfinanzierungen, die eine besondere Herausforderung darstellen. Viele Banken greifen hier auf pauschale Branchenwerte zurück, anstatt konkrete Portfoliodaten zu erheben. Die Europäische Zentralbank hat bereits reagiert und kritisiert die mangelnde Konsistenz in den ESG-Offenlegungen.

Nicht zuletzt sieht KPMG-Partner Wußler auch politisches Versagen als Teil des Problems. „Ein verpflichtendes, schlankes ESG-Datenset für den Mittelstand wäre der pragmatische Mittelweg gewesen. Stattdessen hat man ganz auf Freiwilligkeit gesetzt – das wird die Datenlage nicht verbessern.“ Für die Banken bedeutet das: Sie müssen ihre Kompetenz in Sachen Nachhaltigkeit weiter ausbauen – strategisch, operativ und datengetrieben. Denn eines ist klar: Der regulatorische Druck steigt, und mit ihm die Notwendigkeit, ESG nicht nur zu dokumentieren, sondern wirksam zu steuern.

Von Wolf Brandes, Frankfurt