„Die nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels“
„Die nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels“
Im Interview: Tobias Czekalla
„Die nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels“
Der Visa-Deutschlandchef über KI-Agenten und warum intelligente Einkaufsassistenten das Internet grundlegend verändern werden
Agentische KI wird aus Sicht von Tobias Czekalla das Online-Shopping revolutionieren: Künftig lassen Verbraucher digitale Assistenten einkaufen – von der Flugbuchung bis zum Sneaker. Im Interview erklärt der Visa-Deutschlandchef, was das für Händler, Banken und Konsumenten bedeutet, welche technischen Herausforderungen gelöst werden müssen – und warum Sicherheit eine noch größere Rolle spielen wird.
Herr Czekalla, „agentische KI“ ist in der Payment-Branche in aller Munde. Wo stehen wir derzeit?
Wir erleben gerade die nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels. Konsumenten delegieren Aufgaben zunehmend an künstliche Intelligenz – von der Reiseplanung bis zum Einkauf. Dabei geht es um die Vereinfachung von Recherchen, ein Aggregieren von Ergebnissen oder den Vergleich von verschiedenen Alternativen. KI-Agenten können nun Informationen bündeln, Angebote vergleichen und künftig auch Bestellungen auslösen. Wir haben dafür Visa Intelligent Commerce entwickelt. Damit können Agenten Zahlungen sicher ausführen – egal, ob sie von OpenAI, Perplexity oder europäischen Anbietern stammen.
Wie weit sind Sie damit?
Wir haben die Schnittstellen im Frühjahr bereitgestellt und arbeiten aktuell mit über 30 Partnern weltweit. Ende des Jahres erwarten wir den Start in den USA, 2026 wollen wir nach Europa kommen. Ziel ist, dass jede KI-Plattform nach klar definierten Kriterien Zahlungen über das Visa-Netzwerk abwickeln kann. Das schafft Vertrauen und eröffnet neue Geschäftsmodelle – nicht nur für große Händler, sondern auch für kleinere Anbieter, die dadurch leichter in den digitalen Handel eingebunden werden. Wir setzen damit einen weltweiten Standard, durch den sich neue Möglichkeiten auch für kleine oder mittlere Unternehmen eröffnen, die sich vielleicht jetzt von großen Plattformen abgehängt fühlen. Durch Agenten, denen egal ist, wie groß ein Onlineshop ist, erlangen sie mehr Möglichkeiten, an Konsumenten zu kommen.
Was ist neu an dem Ansatz, den Sie nun verfolgen?
Im Kern basiert Visa Intelligent Commerce auf unseren bestehenden Sicherheitsprinzipien. Wir nennen das „Know Your Agent“. Ein KI-Agent, der Zahlungen ausführen will, muss zunächst ein Prüfverfahren durchlaufen – ähnlich wie beim „Know Your Customer“-Verfahren. Erst wenn der Agent unsere Sicherheitskriterien erfüllt, darf er Transaktionen im Namen eines Nutzers auslösen. Dabei werden Zahlungsdaten wie bei der Tokenisierung verschlüsselt eingebettet. Der Nutzer erteilt die Freigabe, und der Agent kann buchen – etwa Flug, Hotel und Tickets in einem Schritt.
Welche Rolle spielt dabei das kürzlich vorgestellte „Trusted Agent Protocol“?
Einige Händler schließen derzeit KI-Agenten vom Zugriff auf ihre Onlineshops aus. Ein Grund dafür sind Sicherheitsbedenken. Hier setzen wir an. Das Trusted Agent Protocol schafft einen sicheren Austausch zwischen KI-Agenten und Händlern im Zahlungsprozess. Es nutzt kryptografische Signaturen, damit Händler KI-Agenten mit Kaufabsicht identifizieren können. So lassen sich legitime Transaktionen von betrügerischen unterscheiden. Das Protokoll lässt sich leicht in die Händler-Systeme integrieren und sorgt für eine sichere und reibungslose Transaktion.
Wie muss man sich so einen Einkauf über einen KI-Agenten konkret vorstellen?
Stellen Sie sich vor, Sie planen ein Wochenende in Italien. Ihr KI-Agent recherchiert Flüge, Hotels, Restaurants und Sehenswürdigkeiten – und legt Ihnen eine finale Auswahl vor. Sie prüfen, stimmen sich vielleicht noch kurz mit der Familie ab und geben dem Agenten dann den Auftrag, die gesamte Reise zu buchen. Der Agent führt anschließend alle Buchungen automatisch aus. Dafür nutzt er ihre Visa-Zahlungsdaten, die vorher hinterlegt wurden.
Bleibt der Bezahlvorgang für Händler und Banken gleich?
Im Grunde ja. Der Agent nutzt dieselben Netzwerke und Sicherheitsprotokolle, die sich seit Jahrzehnten bewährt haben. Wir haben die dafür notwendigen Schnittstellen bereitgestellt, die KI-Anbieter integrieren diese in ihre Agenten. Für Händler bedeutet das keine zusätzliche Komplexität – aber enorme Chancen. Denn wenn Verbraucher künftig über Agenten einkaufen, wird entscheidend sein, wie sichtbar und zugänglich ihre Angebote für diese Systeme sind. Wir sprechen deshalb schon über „Agent Optimisation“. Das ist vergleichbar mit Suchmaschinenoptimierung, nur dass es nicht mehr um Klicks, sondern um maschinelles Verständnis von Produktdaten geht, und zwar mit vollem Durchgriff und Transparenz über die Inhalte. Geschwindigkeit ist entscheidend, damit die Agenten schnell zurück liefern können.
Wird das klassische Online-Shopping dadurch verdrängt? Wo entsteht Zuwachs? Was macht das Ganze für Händler lohnend?
Ich glaube, wir stehen am Anfang einer tiefgreifenden Veränderung. Vor 30 Jahren hat niemand geglaubt, dass Menschen Kleidung online kaufen. Dann kam E-Commerce, später Mobile Commerce und Social Commerce. Jetzt erleben wir den Beginn des „Agentic Commerce“: Algorithmen kaufen für uns ein. Das wird das Such- und Konsumverhalten massiv verändern. Händler müssen lernen, ihre Inhalte so aufzubereiten, dass sie von KI-Systemen verstanden und verarbeitet werden können. Und wenn Agenten dann auch sicher den Bezahlvorgang durchführen können, haben Händler auch einen Vorteil.
Häufig ist es so, dass ein Kunde im Online-Shop auch noch schaut, was gerade im Angebot ist oder dass er etwaige Lieferkosten mit dem Kauf weiterer Produkte vermeidet. So etwas fällt weg, wenn ein Agent ganz gezielt nur ein Produkt kaufen soll. Besteht nicht die Gefahr von Umsatzeinbußen für die Shops?
Jede tiefgreifende Veränderung führt auch zu Verschiebungen im Markt. Meine Empfehlung ist, auf die Chancen zu schauen: Ein Agent könnte dem Nutzer auch Zusatzangebote machen, also ergänzend zum Fußballticket einen Fanschal oder einen Verzehrgutschein. Langfristig werden sich Händler über Relevanz und Transparenz differenzieren. Die Kaufvorgänge lassen sich durch KI und Agenten optimieren, etwa durch automatische Wiedervorlage mit Durchführung des Kaufs. Ich sehe darin eher eine Evolution.
Wo liegen die größten Herausforderungen, bis agentische KI wirklich in der Breite ankommt?
Drei von vier Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland stufen KI als nützlich ein. Das hat kürzlich eine Umfrage von uns ergeben. Jeder Zweite wäre bereit, KI-Agenten im Internet für sich einkaufen zu lassen. Die eigentlichen Hürden beim Einkauf sehe ich eher auf der Angebotsseite: Manche Plattformen wollen ihre eigenen Agenten bevorzugen oder fremde Systeme gar nicht zulassen. Da werden auf Händlerseite Barrieren gebaut, um Einnahmen abzusichern, das eigene Geschäft auszuweiten oder aufgrund von Sicherheitsbedenken. Das bremst aus meiner Sicht Innovation und gefährdet Umsatz. Wir wollen dazu beitragen, den Einkauf mit Agenten offen und sicher für Handel und Verbraucher zu gestalten. Deshalb schaffen wir einen Standard, der für alle funktioniert, egal ob Startup oder globaler Konzern.
Wie ist die Herangehensweise von Visa dabei?
Vertrauen ist die Währung, ohne die kein digitales Zahlungssystem funktioniert. Wenn Verbraucher einem KI-Agenten ihre Daten anvertrauen, müssen sie sicher sein, dass dieser verantwortungsvoll handelt. Über unser Netzwerk, über unsere Standards und über unsere Prozesse sichern wir das ab: Nur geprüfte Agenten, Händler und Banken dürfen teilnehmen. Deswegen das „Know your Agent“-Prinzip und das Trusted Agent Protocol. Und deshalb gilt für Transaktionen: Sollte einmal etwas schieflaufen, greifen dieselben Rückabwicklungsmechanismen, die Visa-Karteninhaber seit Jahrzehnten schützen.
KI eröffnet auch neue Einfallstore für Kriminelle. Welche Risiken sehen Sie?
Dieselben Technologien werden auch für Betrug genutzt. Im Darknet kursieren längst KI-Werkzeuge, mit denen zum Beispiel Phishing-Kampagnen automatisiert werden. Früher waren solche Betrugsversuche sprachlich holprig, heute sind sie täuschend echt. Wir beobachten etwa in Japan, dass KI-generierte Phishing-Mails erstmals richtig erfolgreich sind – ein Phänomen, das es dort früher kaum gab. Denn die japanische Schriftsprache ist so kompliziert, dass sofort allen aufgefallen ist, wenn etwas gefaked war. Durch künstliche Intelligenz hat sich das geändert.
Gibt es daneben auch neue Betrugsmuster, die jetzt entstehen?
Natürlich, etwa Deep Fakes, bei denen aus ein paar Fotos ein bewegtes Bild mit einer komplett synthetisierten Stimme erstellt und damit ein Betrugsversuch gestartet werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, darauf hereinzufallen, ist viel höher als bei WhatsApp-Textnachrichten. Da sehen wir sehr hohes Bedrohungspotenzial, zusätzlich zu den Gefahren, die mit Echtzeitüberweisungen einher gehen.
Was meinen Sie damit?
In Großbritannien ist der Schaden durch Betrug 2023 deutlich angestiegen, auf über 600 Mill. Pfund. Grund dafür waren zunehmend erfolgreiche Betrugsmaschen in Kombination mit Überweisungen. Daraufhin hat der Regulator in England entschieden, dass die Banken ihre Kunden nicht ausreichend vor Phishing schützen – und kurzerhand die Haftung geändert. Wir haben dann an einem Projekt teilgenommen, bei dem es darum ging, Betrug besser zu erkennen. Mit unserer Expertise konnten wir 54% der betrügerischen Überweisungen identifizieren, nachdem diese bereits die strengen Betrugserkennungssysteme der Banken durchlaufen hatten.
Welche Mittel verwendet Visa gegen solche Bedrohungen?
Wir setzen intensiv auf KI, etwa um Angriffe frühzeitig zu erkennen. Unser Netzwerk verarbeitet täglich weltweit knapp eine Milliarde Transaktionen. Mit KI prüfen wir für jede einzelne Transaktion rund 500 Risikoattribute und können so verdächtige Muster in Echtzeit identifizieren. Wenn etwa in Brasilien ein neues Betrugsschema auftaucht, können unsere Systeme binnen kürzester Zeit verhindern, dass es in Europa greift. Gerade bei Echtzeitüberweisungen erhöht das die Sicherheit, weil Banken nur noch Sekunden Zeit haben, um Zahlungen zu prüfen. KI hilft, dieses Zeitfenster effizient zu nutzen und Schaden zu vermeiden.
Viele Banken fürchten, beim Thema KI nicht mithalten zu können. Wie sehen Sie das?
Den Eindruck teile ich nicht. Die Banken und Sparkassen in Deutschland sind sehr aktiv dabei, KI einzusetzen. Wir führen dazu viele Gespräche, denn das Zahlungsverkehr-Ökosystem können wir nur gemeinsam weiterentwickeln und schützen. Wir sehen unsere Rolle darin, dafür hilfreiche Werkzeuge anzubieten. Gerade kleinere Institute profitieren davon, wenn sie auf ein globales, zuverlässiges Netzwerk zurückgreifen können, das neue Technologien integriert und Risiken senkt. Wie bei Echtzeitüberweisungen, wo wir mit Angeboten unterstützen, die betrügerische Transaktionen – Kartenzahlungen wie Überweisungen – in Echtzeit identifizieren.
Wie verändert sich das Verhältnis von Mensch und Maschine im Zahlungsverkehr?
Zum ersten Mal in der Geschichte werden Algorithmen eigenständig im Auftrag des Menschen einkaufen – und zwar in großem Stil. Es gab zwar schon automatisierte Transaktionen, etwa bei Hotelbuchungen oder Abonnements, aber das war immer reaktiv. Jetzt agieren KI-Agenten aktiv: Sie suchen, vergleichen, verhandeln und kaufen – für die Verbraucher.
Was bedeutet das für den Wettbewerb?
Verbraucher entscheiden sich für Anbieter, denen sie ihre Daten und ihr Geld anvertrauen. Wenn das Vertrauen schwindet, leidet die ganze Branche. Deshalb ist Kooperation über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg so wichtig. Wir alle müssen gemeinsam dafür sorgen, dass neue Technologien verantwortungsvoll eingesetzt werden – sonst verlieren wir das Vertrauen, das den digitalen Handel trägt.
Das Interview führte Franz Công Bùi.
Zur Person:
Seit März 2019 ist Tobias Czekalla (52) Country Manager Germany bei Visa und verantwortet das Geschäft des Zahlungsdienstleisters in Deutschland. Seine berufliche Karriere begann er 1999 bei Vodafone, wo er in seinen fast fünf Jahren dort auch die Übernahme des Mannesmann-Konzerns miterlebt hat. Anschließend hatte er von 2004 bis 2019 in London und Frankfurt am Main leitende Positionen bei American Express inne – unter anderem als Director in den Bereichen Business Cards, B2B Marketing und Digital Acquisition. In den letzten Jahren vor seinem Wechsel zu Visa war er Vice President Acquisition and Customer Engagement sowie Mitglied der deutschen Geschäftsleitung bei American Express.
