„Ein bisschen KI-Ketchup oben drauf reicht nicht“
„Ein bisschen KI-Ketchup oben drauf reicht nicht“
Interview mit Tilo Hacke, DKB, und Reinhard Messenböck, BCG
„Ein bisschen KI-Ketchup oben drauf reicht nicht“
DKB-Vorstand Tilo Hacke und BCG-Partner Reinhard Messenböck über die realen Hürden der KI-Implementierung und den langen Atem, den Banken benötigen
Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie der Finanzbranche – doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke. DKB-Vorstand Tilo Hacke und BCG-Partner Reinhard Messenböck erklären, wo KI bereits messbaren Nutzen stiftet, warum „Brückentechnologien“ nötig sind und welche Hürden Banken bremsen.
Das Interview führte Franz Công Bùi.
Herr Hacke, Herr Messenböck, wo steht die Finanzbranche bei der Implementierung von KI?
Reinhard Messenböck: Das Thema ist überall verankert, aber der Umsetzungsgrad fällt unterschiedlich aus. Es gibt keine Bank, die KI nicht als strategisch wichtig erkennt. Gleichzeitig ist der Abstand zwischen Erwartung und Umsetzung enorm. Viele Institute haben Pilotprojekte gestartet, doch nur wenige schaffen es, diese in den produktiven Betrieb zu überführen. Oft fehlt es an belastbaren Daten, klaren Verantwortlichkeiten oder ausreichender infrastruktureller Vorbereitung. Zudem ist die Unsicherheit in den Punkten Regulierung und Wertschöpfung groß. Das Thema begeistert, ist aber deutlich weniger weit, als es Pressemitteilungen erscheinen lassen.

Tilo Hacke: Ich sitze auf Branchenkonferenzen oft erstaunt im Publikum, was dort alles präsentiert wird. Wenn ich das anschließend in Gesprächen hinterfrage, zeigt sich schnell: viel Begeisterung, viele Ideen, wenig Produktivbetrieb. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, aus der Euphorie konkrete, messbare Verbesserungen zu machen. Es ist wie bei vielen disruptiven Technologien: Kurzfristig überschätzt man Effekte, langfristig werden sie unterschätzt. Fest steht: KI hat für Banken ein enormes Potenzial.
Wo liegt das Potenzial aus DKB-Sicht?
Hacke: Banken arbeiten im Kern mit Daten und regelbasierten Entscheidungen. KI kann in drei Bereichen erhebliche Wirkung entfalten: bei der Digitalisierung komplexer, bislang nicht vollständig automatisierbarer Prozesse. Dann auch in der Fraud-Erkennung, insbesondere seit der Einführung von Instant Payments. Und nicht zuletzt im personalisierten Kundendialog. Viele Prozessschritte, etwa in der Immobilienfinanzierung, hängen heute noch an analogen Dokumenten. KI hilft, diese Heterogenität zu überwinden und Daten strukturiert verfügbar zu machen. Was verblieben ist an nicht-digitalen Prozessen, hat jetzt auf einmal eine Chance, digitalisiert und in einen digitalen Prozess eingebunden zu werden. Gleichzeitig ermöglicht KI ein individuell zugeschnittenes Kundenerlebnis, das ohne technologische Unterstützung nicht wirtschaftlich darstellbar wäre. Und Individualisierung werde ich künftig nur erreichen können, indem ich künstliche Intelligenz nutze. Doch Kunden wollen Preise, die sich eher durch Standardisierung erreichen lassen. Im Moment ist Generative KI, GenAI, in vielen Bereichen so etwas wie eine Brückentechnologie.
Inwiefern?
Hacke: Viele öffentliche Stellen verfügen noch nicht über durchgängig digitale Schnittstellen. Grundbuchämter, Katasterämter oder Bauämter arbeiten vielfach mit Dokumenten, die historisch gewachsen sind und nicht maschinenlesbar vorliegen. Bis diese Infrastruktur modernisiert ist, benötigen Banken Lösungen, die analoge Informationen zuverlässig in digitale Daten überführen. KI bildet hier die Brücke zwischen einer noch nicht durchgängig digitalisierten Verwaltung und den Anforderungen eines automatisierten Kreditprozesses.
Welche konkreten KI-Anwendungen hat die DKB bereits in Betrieb?
Hacke: Wir haben als eine der ersten Banken in Deutschland einen digitalen GenAI-Agenten im Kundenkontakt mit Privatkunden eingeführt – mit bis dato über 2,5 Millionen Kundeninteraktionen. Zunächst diente er dazu, FAQ-Inhalte präziser und sprachlich angemessener abzubilden. Anschließend wurde er an unser Kernbankensystem angebunden, sodass er individuelle Auskünfte zu Konten, Karten und Limits geben kann. In der dritten Stufe haben wir ihn befähigt, Services wie Limitänderungen auszuführen. Diese werden stark genutzt und weisen eine hohe Erledigungsquote beim Erstkontakt auf. Unser Ziel ist es, den Agenten nicht nur als Problemlöser, sondern zum echten Alltagsassistenten im Banking weiterzuentwickeln. Parallel setzen wir KI im Kreditprozess ein, insbesondere beim Auslesen und Strukturieren von Dokumenten. Auch in Fraud-Systemen ist KI heute unverzichtbar, weil Instant Payments unmittelbare GO/NO-GO-Entscheidungen erfordern. Bei all diesen Themen haben wir von Anfang an darauf geachtet, dass wir uns nicht an ein Produkt oder ein Sprachmodell zu sehr binden oder hart verdrahten.
Wieso?
Hacke: Kein Modell ist in allen Bereichen das Beste. Deshalb nutzen wir ChatGPT-, Claude- und Gemini-Modelle je nach Anwendungsfall. Wir haben zwar eine Technologiekooperation mit OpenAI, trotzdem werden wir offen sein, um für den jeweiligen Prozess das jeweils beste Sprachmodell zu nehmen. Wir sind als Haus auch in einer Multi-Cloud-Strategie unterwegs, mit Amazon, mit Google und mit Azure, natürlich jeweils mit EU-Residency. Und wir lassen zum Beispiel beim Chatbot jede Antwort, die ein Sprachmodell erstellt, von einem anderen Sprachmodell überprüfen. Das führt zu einer kleinen Verzögerung von vielleicht eins, zwei Sekunden, doch dieses Vier-Augen-Prinzip steigert die Zuverlässigkeit. Wir wollen technologisch flexibel bleiben und uns weder auf einen Anbieter noch auf ein einzelnes Modell festlegen. Eine solche Offenheit ist angesichts der dynamischen Entwicklung entscheidend.
Sind bei der Prüfung der Chatbot-Aktionen keine Menschen involviert?
Hacke: Auf die einzelnen Antworten, die der Chatbot den Kunden gibt, schaut natürlich unmittelbar kein Mensch. Das ginge Realtime gar nicht. Aber jede Antwort wird dokumentiert, auch bei Bearbeitungsprozessen werden kleinste Prozessschritte festgehalten und stichprobenmäßig nachvollzogen von einem Menschen, der dann bestimmt, wo etwas nachgeregelt werden muss, wo vielleicht eine zusätzliche Sicherheitsschleife eingeführt werden sollte. Und insbesondere bei den Antworten im Kundencenter nimmt sich ein Qualitätssicherungsteam immer wieder Stichproben vor. Das geschieht aber auch bei menschlichen Antworten und Interaktionen.
Wie verändert KI die Arbeit?
Messenböck: Massive Veränderungen finden vor allem dort statt, wo bisher manuelle Tätigkeiten dominieren. Viele repetitive Aufgaben entfallen, die verbleibenden sind anspruchsvoller. Das ist keine neue Erkenntnis, doch es ist essenziell, die Mitarbeitenden früh einzubeziehen – nicht nur technisch, sondern organisatorisch. Die beste Lösung nutzt nichts, wenn sie nicht akzeptiert wird.

Hacke: Entscheidend war, dass unsere Kreditexpertinnen und -experten selbst in die KI-Prozessgestaltung eingebunden waren. Sie haben mitentwickelt und definiert, welche Dokumente wirklich nötig sind, welche Felder in den Dokumenten relevant sind und wo KI echten Mehrwert stiftet und für Vereinfachung sorgt. Das schafft Akzeptanz – und verhindert Ängste. KI ersetzt keine Banker, sondern übernimmt monotone Tätigkeiten. Die anspruchsvolleren Aufgaben bleiben bei den Menschen. Das verändert Arbeitsprofile, erhöht aber zugleich die Attraktivität der fachlichen Tätigkeit.
Welche Hürden waren am höchsten?
Hacke: Das simultane Vorgehen war ungewohnt: Wir haben erste Anwendungen und technische Lösungen entwickelt und gleichzeitig Richtlinien und „Guard Rails“ erstellt. Das stresst – ist aber deutlich schneller. Und es hat sehr geholfen, dass wir schon seit 2020 langsam die relevanten Anwendungen auf Cloud umgestellt haben. Komplex war auch die Anbindung ans Kernbankensystem. Das ist zwar sehr stabil und sicher, aber es war ursprünglich natürlich nicht dafür gebaut, irgendwann eine KI anzuschließen und dafür Schnittstellen zu schaffen, die auch noch die Geschwindigkeit haben, damit sie auch höhere Anfragemengen verarbeiten kann. Und auf der anderen Seite wiederum unsere KI so zu bremsen, dass sie die Schnittstellen nicht überfordert, ist auch eine Herausforderung gewesen. Und dann dürfen Kundenanfragen aus Datenschutzgründen nicht zur Weiterentwicklung der Modelle genutzt werden. Das reduziert Lernmöglichkeiten – ist aber zwingend, weil der Datenschutz uns heilig ist. Das bedeutet aber auf der anderen Seite natürlich auch den Verzicht auf zusätzliche Lernmöglichkeiten aus den Kundenanfragen.
Wo liegen im Kreditprozess Grenzen?
Hacke: Bei der Präzision. Die Qualität, die in endkundenorientierten KI-Anwendungen akzeptiert wird, reicht in bankfachlichen Prozessen nicht aus. Für verlässliche Ergebnisse müssen Modelle mit hochwertigen, strukturierten Daten trainiert werden. Das ist aufwendig. Ein automatisierter Kreditprozess toleriert keine Fehlklassifizierungen. Deshalb ist der Entwicklungs- und Validierungsaufwand hoch. KI ist dort wertvoll, wo sie repetitive Elemente automatisiert, aber sie ersetzt keine bankfachliche Prüfung in kritischen Fällen.
Wie adressieren Sie das Thema Voreingenommenheit bzw. Bias der KI?
Hacke: Wir testen alle relevanten Modelle anhand von Fairness-Szenarien. Unsere Kreditvergabe basiert ausschließlich auf bankfachlichen Kriterien, nicht auf personenbezogenen Merkmalen. In der DSGVO oder GDPR auf europäischer Ebene ist dieses Thema adressiert worden, dass eine Selektion, Clusterung usw. nach Kriterien, die solchen ethischen Grundsätzen nicht entsprechen, nicht erforderlich ist. Trotzdem machen wir immer, wenn es neue Versionen der Modelle gibt, sogenannte Fairnessszenarien, um genau zu schauen, ob es einen solchen Bias darin gibt. Zudem schreibt die DSGVO vor, dass Kundinnen und Kunden das Recht haben, Entscheidungen überprüfen zu lassen. Dieser regulatorische Rahmen ist sinnvoll, weil er Transparenz und Gleichbehandlung sicherstellt. Bias kann nie vollständig ausgeschlossen werden, aber er lässt sich durch geeignete Testverfahren erheblich reduzieren.
Welche weiteren Schritte planen Sie?
Hacke: Voice-to-Voice-Funktionalitäten sind ein nächster logischer Schritt. Menschen kommunizieren einfach gerne mündlich. Das sehe ich an jemandem wie mir: Ich rede lieber und ich höre auch lieber zu, als dass ich irgendwas lese. Und erste Tests zeigen eine hohe Qualität der Dialoge. Zudem werden wir den digitalen Agenten mehrsprachig ausbauen. Intern sehen wir Potenzial bei Regelwerksmanagement, Meldewesen und Wissenssystemen. Überall dort, wo Informationen strukturiert, verknüpft und zugänglich gemacht werden müssen, kann KI unterstützen.
Welche Lehren ziehen Sie aus den bisherigen Erfahrungen?
Messenböck: Man muss mit einer hohen Lernbereitschaft in solche Projekte gehen. Viele Annahmen bestätigen sich nicht, und man muss den Mut haben, unterwegs Anpassungen vorzunehmen. Die emotionale Dynamik zwischen Begeisterung und Ernüchterung ist zum Teil erheblich. Und dieses Pendel zwischen Begeisterung und Frust ist eine Riesenherausforderung. Das zu managen, erfordert schon viel. Projekte dauern länger, und manche Ideen funktionieren nicht wie erwartet. Erfolgreich sind diejenigen Häuser, die damit professionell umgehen und konsequent weiterarbeiten.
Hacke: Man muss bereit sein, Prozesse grundlegend zu hinterfragen. KI ist kein Aufsatz, der Schwächen überdeckt. Nur wenn die zugrunde liegenden Abläufe sauber und konsistent sind, entfaltet die Technologie ihren Nutzen. Zudem braucht es eine klare Governance und gleichzeitig dezentrale Verantwortung. Fachbereiche müssen Eigentümer ihrer Prozesse bleiben. Und es braucht technologische Offenheit: Multi-Cloud-Ansätze, flexible Modellarchitekturen und klare Leitplanken. Nur so lässt sich die Technologie nachhaltig und regulatorisch sicher einsetzen. Das kann mitunter ein bisschen anstrengender sein, weil man an die eigenen Prozesse ran muss. Doch man darf nicht denken, dass man dadurch, dass man ein bisschen KI-Ketchup oben drauf macht, auf einmal einen Michelin-Stern bekommt.
