Finanzen und Technik – InterviewLeif-Nissen Lundbæk und Ralf Schneider

Juristisches KI-Sprachmodell Noxtua expandiert nach Finanzierungsrunde kräftig

Das Legal Tech Noxtua hat Ende April eine Finanzierungsrunde über 80,7 Mill. Euro abgeschlossen. CEO Leif-Nissen Lundbæk sowie Ralf Schneider, Allianz Senior Fellow für Cyber Security und Next Generation IT, sprechen über besondere Anforderungen und Pläne für das juristische KI-Sprachmodell.

Juristisches KI-Sprachmodell Noxtua expandiert nach Finanzierungsrunde kräftig

Im Interview: Leif-Nissen Lundbæk und Ralf Schneider

Noxtua expandiert nach Finanzierungsrunde kräftig

Umsätze alle paar Monate verdoppelt – Legal-Tech-CEO: „Wir sind den nächsten Schritt vom Startup zum Scaleup gegangen"

Das Legal Tech Noxtua hat Ende April eine Series-B-Finanzierungsrunde über 80,7 Mill. Euro abgeschlossen. Mitgründer und CEO Leif-Nissen Lundbæk sowie Ralf Schneider, Allianz Senior Fellow für Cybersecurity und Next Generation IT, sprechen über die besonderen Anforderungen und Pläne für das juristische KI-Sprachmodell.

Herr Lundbæk, was unterscheidet Noxtua von anderen juristischen KI-Lösungen wie etwa Harvey?

Lundbæk: Harvey ist eher ein Interface, eine Art Wrapper um verschiedene Sprachmodelle herum. Noxtua ist ein juristisches Sprachmodell inklusive Interface mit Fokus auf den europäischen Markt, also europäisches Rechtswesen mit europäischen Daten dahinter. Und das ist nicht trivial, denn in Deutschland etwa gibt es kaum öffentlich zugängliche Daten.

Wie lösen Sie diese Herausforderung?

Lundbæk: Wir arbeiten mit Verlagen und rechtlichen Datenbanken wie dem C.H. Beck Verlag sowie Kanzleien zusammen, um das europäische und natürlich vor allem das deutsche juristische Wissen in das Modell zu bekommen. Die amerikanischen Modelle, beispielsweise GPT, sind vornehmlich mit amerikanischen Daten trainiert – und zwar nicht unbedingt nach unseren Vorstellungen von Urheberrechtsschutz. Zudem crawlen sie auch wild im Internet herum. Und der fast wichtigste Aspekt ist das Thema Compliance, also Berufsgeheimnisträgerschutz, die Verschwiegenheit der Juristen.

Sie können also keine Mandantenverträge in eine KI, insbesondere eine amerikanische KI, einfließen lassen?

Lundbæk: Genau, selbst wenn sie jetzt in Frankfurt gehostet sein sollte. Da braucht es wesentlich mehr Maßnahmen. Wir haben mit der Deutschen Telekom ein komplettes System aufgebaut, bei dem wir keine Daten nach außen geben und es eine durchgängige Verschlüsselung gibt. Damit garantieren wir strafrechtlich, dass wir keinerlei Daten einsehen können, speichern und nach außen geben. Security ist das Fundament von Noxtua, wir haben etliche Zertifizierungen durchführen lassen. Gerade unsere Partnerschaften mit CMS und auch anderen haben das enorm geprägt. Und jetzt kommen juristische Datenbanken, Verlage etc. hinzu. Wir sind nun in der zweiten Generation des Systems, aber wir denken schon an die dritte, die nächstes Jahr herauskommen wird.

Herr Schneider, welche Rolle spielt die Entwicklung eines solchen juristischen KI-Modells für die Allianz?

Schneider: In der Allianz haben wir allerhand Anwendungsfälle im juristischen Bereich: Claims, Handling, Underwriting, Verträge mit Externen. Die Rechtssprache ist ja eine ganz spezielle Sprache. Und damit muss es dedizierte Sprachmodelle basierend auf juristischen Daten, Ontologie und Taxonomie geben. Das kann nicht durch ChatGPT erschlagen werden. Und die Compliance- und Security-Ansprüche an solche Sprachmodelle und KI-Anwendungen sind wie erwähnt etwas ganz Besonderes.

Auf welche Hürden sind Sie bei der Arbeit an und mit Noxtua gestoßen?

Schneider: Es gibt verschiedene juristische Problemstellungen, eine große Herausforderung ist ein Compliance-Check. Wir dürfen in Verkaufsunterlagen nur das versprechen, was unser Versicherungsprodukt auch wirklich liefern kann. Und wir haben sehr viele Produkte und entsprechend viele Verkaufsunterlagen. Das kann ein Jurist fast nicht mehr überprüfen. Und ein idealer Compliance-Check ist, zum Beispiel die Rechtsvorschriften dazu über eine KI zu prüfen.

Lundbæk: Die Allianz hat eine gigantische Produktpalette und muss bis ins Detail sorgfältig arbeiten. Wenn irgendwas bei den Werbeaussagen inkorrekt ist, kann das sehr teuer werden. Mit Noxtua lassen sich Werbeaussagen automatisiert prüfen. Die Marketingabteilung erhält zu einer neuen Werbeaussage sofort eine Rückmeldung. Und durch die ganzen Datenquellen ist es hierbei möglich, alle denkbaren Zitierungen direkt aus den Kommentarwerken zu bekommen. Aber es ist nicht wie bei ChatGPT, wo dann irgendeine KI-Einschätzung kommt. Die Noxtua-KI denkt mehrstufig und versucht das zu belegen.

Könnten Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Lundbæk: Nehmen wir eine Aussage wie: „Weil Ihre liebsten Lieblinge den besten Schutz verdienen.“ Kann man das so sagen oder nicht? Am Ende kann es sein, dass die KI empfiehlt, dass ein Mensch noch mal drüberschaut, weil der Text beispielsweise Superlative verwendet. Und dann kann der Mensch sagen: Das ist eine Risikoentscheidung, wir müssen hier noch Zusatzinformationen hinzufügen. Das heißt, die KI ist eine Hilfestellung, die gigantische Mengen von Text automatisch schnell im Hintergrund prüfen kann. Das erspart stundenlange Arbeit, denn die KI kann das innerhalb von Sekunden.

Schneider: Aber es geht nicht nur darum, Produktivität zu steigern, indem die Prüfung beschleunigt wird, sondern auch darum, die Qualität zu erhöhen. Es wird noch einiges an menschlicher Intelligenz benötigt. In der Regel herrscht Termindruck, und je schneller man drüberliest, je weniger man recherchiert, desto mehr leidet die Qualität. Jetzt gibt es endlich einen Hebel, denn die KI befähigt die Leute zu schnellerer Arbeit, doch die eigentliche Expertise braucht es weiterhin. Die Ergebnisse der KI müssen interpretiert und abgewogen werden. Also nimmt man den Juristen die Arbeit nicht weg, sondern macht sie dadurch besser.

Wie sieht die Kundenstruktur aus?

Lundbæk: Das reicht von kleinen Kanzleien bis zu Großkanzleien. Manche davon sind Partner und Kunden zugleich, das jeweils natürlich getrennt voneinander. CMS etwa ist Partner und gleichzeitig ein großer Kunde für uns. Dann haben wir Industrieunternehmen, öffentliche Hand und welche, die so ein bisschen dazwischenstehen, so wie EnBW beispielsweise. Wir arbeiten sehr eng mit der Allianz zusammen, mit der Nationalen Initiative für Künstliche Intelligenz und Datenökonomie, Mission KI, oder auch mit klassischen Mittelständlern wie z.B. Würth. Es gibt zudem immer mehr andere Legal-Tech-Unternehmen, die Noxtua bei sich einbetten. Oder wir haben eine sehr große Bank als Kunden, die darf ich leider nicht namentlich nennen. Aber gerade im Finanzbereich ist Compliance extrem wichtig.

Wie gestaltet sich Ihr Geschäftsmodell?

Lundbæk: Wir bieten Noxtua hauptsächlich über ein Abomodell mit User-Lizenzen an. Damit können unsere Kunden dann Noxtua über unser eigenes Interface nutzen und damit rechtliche Dokumente analysieren und erstellen oder zu juristischen Sachverhalten recherchieren. Mit der bald verfügbaren Produktversion Beck-Noxtua, bei der die KI mit den umfangreichen Daten von C.H. Beck, dem führenden juristischen Fachverlag, trainiert ist, übernimmt auch der Verlag den Vertrieb für die Länder, in denen er vertreten ist.

Sie haben Ende 2024 eine Research-Anwendung gelauncht und arbeiten an der Legal-AI-Workspace „Beck-Noxtua“. Wie geht es weiter?

Lundbæk: Es geht nicht so sehr darum, alle möglichen Produkte zu launchen, sondern darum, für Juristen den größten Mehrwert zu schaffen und die KI immer mehr an ihren Bedürfnissen auszurichten. Daneben schauen wir auch auf andere Märkte, insbesondere andere europäische Länder. Schließlich verstehen wir uns auch als Europas souveräne Rechts-KI und sehen in diesen geopolitisch instabilen Zeiten auch eine wichtige Rolle und Verantwortung für europäische KI. Dem Rechtswesen und damit auch der Arbeit von Juristen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Vor wenigen Wochen haben wir nach Frankreich expandiert und ein neues Büro in Paris eröffnet – und auch wenn ich noch nicht sagen kann, welches Land als Nächstes ansteht, kann ich aber so viel verraten, dass dies nicht die letzte Expansion gewesen sein wird.

Und es gab Ende April eine Series-B-Runde über 80,7 Mill. Euro. Was können Sie dazu sagen?

Lundbæk: Die Finanzierungsrunde ist u.a. auch eine der bislang größten für ein europäisches Legal-Tech-Unternehmen. Damit sind wir den nächsten Schritt vom Startup zum Scaleup gegangen. Besonders bei dieser Runde ist aber auch, dass es keine klassische Startup-Finanzierung ist, sondern mehr eine strategische Partnerschaft für souveräne europäische KI. Ich hatte vorhin bereits kurz die geopolitische Instabilität angesprochen. In diesen Zeiten wird europäische Souveränität immer wichtiger, weshalb diese Runde auch ein klares Zeichen für Europa ist. C.H. Beck als führender Investor unterstützt uns dabei u.a. durch ihren bereits angesprochenen Datenschatz, der High-Performance-Computing-Spezialist Northern Data unterstützt u.a. durch Rechenkapazität, und CMS als größte deutsche Wirtschaftskanzlei sowie Dentons als einer der weltweit größten Kanzleien steuern u.a. rechtliche Expertise und die Kundenperspektive zur Weiterentwicklung der KI bei.

Gibt es Pläne für einen Exit, etwa über einen Börsengang?

Lundbæk: Wir wachsen im Moment extrem schnell. Wir haben alle paar Monate unsere Umsätze verdoppelt. Deswegen ist es aus meiner Sicht verfrüht, dazu etwas zu sagen. Ein Exit ist jetzt nicht unbedingt ein Ziel, sondern eher, weiter zu wachsen.

Haben Sie das Break-even erreicht bzw. wenn nicht, wann soll es so weit sein?

Lundbæk: Es ist gut möglich, dass wir das im nächsten Jahr schaffen. Aber natürlich stellt sich auch immer die Frage, ob man lieber weiter investiert. Wir haben relativ hohe Investitionen dadurch, dass wir in Partnerschaften eigene Serverzentren aufbauen. Wir können nicht einfach sagen, wir setzen auf AWS oder so. Das hat aber natürlich den Vorteil, dass wir wesentlich mehr Souveränität haben und auch deutlich weniger Kosten. Die Cloud Provider verdienen sich ja momentan dumm und dämlich an dem ganzen Bereich. Aber es ist durchaus realistisch, dass wir Richtung Ende nächsten Jahres profitabel werden.

Welche Entwicklungen und Herausforderungen sehen Sie beim Thema KI über Noxtua hinaus?

Schneider: Eine Riesenherausforderung ist das Thema Security, diese Systeme dürfen auf keinen Fall gehackt werden. Es geht auch um Sicherheit der Programmierung und um Stabilität. Zudem müssen die Systeme vertrauenswürdig sein, und für die Transparenz muss man das nachweisen können. Dann kommt noch die Kostenstruktur. Was nützt einem das alles, wenn man seine Betriebskosten und den Energieverbrauch nicht im Griff hat? Eine spannende Entwicklung ist, dass es nicht nur um immer größere Modelle mit mehr Daten, sondern um mehr Logik geht. Zunehmend wird mit spezialisierten Agenten operiert. Das Zeitalter der agentischen KI steht bevor, in dem die Agenten miteinander kommunizieren. Und in diesen KI-Ketten werden Problemstellungen wie Performance, also Geschwindigkeit, Verfügbarkeit, aber auch Trustworthiness und Qualität, sehr anspruchsvoll.

Lundbæk: Ich mache mir weniger Sorgen um Geschwindigkeit. Im Businessbereich ist es so, dass man in einem sehr statischen System mit einer statisch erwarteten Ausgabe an Systemen hantiert. Aber die KI sieht das nicht unbedingt genauso statisch, denn es sind probabilistische Systeme. Und das ist schon eine Herausforderung. Ansonsten sehe ich vor allen Dingen auch die Security-Thematik. Häufig sage ich, dass wir gar kein KI-, sondern eher ein Security-Unternehmen sind. Und global betrachtet, außerhalb von Noxtua, sieht man etwa immer mehr KI, die Codes schreibt oder als Agent agiert. Und es gibt zunehmend die Kombination von Sprachmodellen und Robotic Process Automation, RPA. Also Agenten, die Klickarbeiten etc. basierend auf Sprachmodellen durchführen, die also quasi wie ein Mensch agieren.

Aber führt das nicht zu Chaos?

Lundbæk: Durchaus. Und ich bin sehr gespannt, wie Unternehmen damit umgehen, denn aus Security-Sicht wird das wahrscheinlich die Hölle sein. Hinzu kommt: In den meisten Modellen ist im Prinzip so ziemlich der komplette Müll der Welt drin. Und da stellt sich die Frage, wie man das rausbekommen möchte, und zwar eher bei den großen Modellen. Bei uns als spezifisches Modell ist das weniger das Problem. Und ich erwarte auch, dass es immer mehr solche Modelle geben wird, definitiv im medizinischen Bereich, sicherlich auch im journalistischen. Aber dennoch wird es natürlich auch weiterhin diese großen Weltmodelle geben.

Das Interview führte Franz Công Bùi. Das vollständige Interview lesen sie auf www. boersen-zeitung.de.

Das Interview führte Franz Công Bùi.


Über Noxtua: Legal-Tech-Startup mit KI-Modell

fcb Frankfurt – Das Berliner Legal Tech Noxtua wurde 2017 von Dr. Leif-Nissen Lundbæk, Prof. Dr. Michael Huth sowie Felix Hamann unter dem Namen Xayn als Ausgründung der Oxford Universität und des Imperial College London ins Leben gerufen. Die Rechts-KI mit eigenem Sprachmodell und Anwendung wurde mit juristischer Expertise der Kanzlei CMS für Hoch-Compliance-Anforderungen entwickelt und 2024 auf den Markt gebracht. Damit können rechtliche Sachverhalte recherchiert und juristische Dokumente geprüft oder erstellt werden. Ende April 2025 wurde eine Series-B-Finanzierungsrunde über 80,7 Mill. Euro abgeschlossen. Führender Investor ist der auf juristische Publikationen spezialisierte Verlag C.H.Beck, dessen Inhalte Noxtua zum KI-Training und zur Produktweiterentwicklung Beck-Noxtua nutzen kann. Der Infrastrukturanbieter Northern Data stellt als Neuinvestor Rechenkapazitäten zum Training bereit, die langjährige Partnerkanzlei CMS sowie Dentons als eine der weltgrößten Kanzleien stellen sicher, dass die Produkte den Marktbedürfnissen entsprechen. Der Bestandsinvestor Dominik Schiener hat neben C.H. Beck die Anteile des bisherigen Investors Earlybird VC übernommen, um der inhaltlich-strategischen Ausrichtung des KI-Startups gerecht zu werden.

Dr. Leif-Nissen Lundbæk (33) ist CEO und Mitgründer des Berliner KI-Startups Noxtua/Xayn. Zuvor arbeitete der KI-Experte und Forbes-30u30-Visionär u.a. für Daimler sowie IBM. Er erhielt einen B.Sc. in Wirtschaftswissenschaften von der Humboldt-Universität zu Berlin, einen M.Sc. mit Auszeichnung in Mathematik von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, einen M.Sc. in Software Engineering von der University of Oxford sowie einen PhD in Computing vom Imperial College London.

Dr. Ralf Schneider (62) ist seit 30 Jahren bei der Allianz, davon 28 Jahre als IT-Executive und hierbei 13 Jahre lang als Group CIO der Allianz Gruppe sowie seit Oktober 2023 als Allianz Senior Fellow für Cyber Security und Next Generation IT. In dieser Rolle verantwortet er strategisch alle Transformationsprojekte innerhalb der Allianz, die mit Cybersecurity, Innovation, KI oder Quantencomputern zu tun haben.