In Bedrängnis
swa Frankfurt
Als energieintensive Branche steht die Chemieindustrie in der Diskussion über mögliche Gasrationierungen an zentraler Stelle. Konzerne wie BASF haben bereits angekündigt, dass sie die Produktion drosseln müssen, wenn die Energiepreise rasant steigen oder Erdgas knapp wird. Die ganze Branche agiert in hoher Volatilität, kann ihre Kapazitäten aber in der Regel nicht immer schnell und flexibel anpassen, weil das Herunter- und Herauffahren großer chemischer Anlagen aufwendig und teuer ist. Die Chemieindustrie bezieht 15% des im gesamten Land benötigten Erdgases und nutzt Gas und Öl nicht nur zur Deckung ihres Energiebedarfs, sondern auch als Rohstoff für die Herstellung einer Vielzahl von Erzeugnissen.
Der deutsche Chemieverband VCI hatte jüngst mit Blick auf die Reduktion russischer Gaslieferungen an die Bundesregierung appelliert, die Lasten fair zu verteilen. Es müsse ein transparentes Verfahren entwickelt werden, das die unvermeidlichen Lasten so gerecht und erträglich wie möglich auf alle Gasverbraucher verteilt. Am 6. Juli zieht der Branchenverband nun Bilanz über die wirtschaftliche Entwicklung seiner Mitgliedsfirmen in den ersten sechs Monaten. VCI-Präsident Christian Kullmann, im Hauptberuf Evonik-Chef, wird dabei auch über die Umfrage in der Branche zur konjunkturellen Lage berichten. Beleuchten will der Manager nicht nur die aktuelle Situation in der Versorgung der Branche mit Erdgas, Thema ist auch die Bedeutung von Genehmigungsverfahren für die Resilienz der Energie- und Rohstoffversorgung.
Nach Beginn des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine hatte der VCI seine Jahresprognose Mitte März zurückgezogen und nach dem ersten Quartal keine quantitative Einschätzung für 2022 mehr gewagt. Die Perspektiven seien wegen steigender Energie- und Rohstoffkosten „zunehmend düster“, hieß es Ende Mai. Zudem drosselten industrielle Kunden wegen gestörter Lieferketten ihre Produktion und bestellten weniger Chemikalien. Ein Gasembargo oder ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland hätten zusätzliche verheerende Auswirkungen, warnte Kullmann damals. Am kommenden Mittwoch will der VCI eine Prognose für die Produktionsentwicklung 2022 vorlegen. Schon Ende Mai war signalisiert worden, dass 2022 das Produktionsniveau des Vorjahres kaum zu erreichen sein wird.
Der Umsatz der drittgrößten deutschen Industriebranche war in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres noch deutlich um 7,8% auf 66,3 Mrd. Euro geklettert. Hier schlugen sich deutliche Preiserhöhungen nieder. Die große Frage ist, in welchem Umfang die Chemieanbieter auch in den Monaten danach exorbitant steigende Energie- und Rohstoffpreise an Kunden weitergeben konnten und in welchem Ausmaß dies in Zukunft möglich sein wird. Die Produktion der Chemie ohne Pharma hatte sich im ersten Quartal bereits um 1,1% reduziert. Vor allem die Fein- und Spezialchemie habe unter Materialknappheit, Logistikproblemen und hohen Rohstoffkosten gelitten, hieß es damals.
Für einzelne Unternehmen gibt es durchaus positive Erwartungen aus den Researchabteilungen der Banken. So rechnet die Baader Bank für BASF mit einem Ergebnis im zweiten Quartal, das deutlich besser ausfällt als im Marktkonsens erwartet. Bis auf den Ordereingang aus der Automobilindustrie dürfte die Nachfrage nach Einschätzung der Analysten stark geblieben sein. Derzeit habe der Marktführer auch noch alle Anlagen in Betrieb.