Umfrage der Börsen-Zeitung

Wenig Liquidität: Institutionelle Investoren raten von 24-Stunden-Handel ab

Die Handelszeiten an den deutschen Börsen sind bereits deutlich ausgeweitet worden. Wäre 24/7 denkbar? Lieber nicht, sagen institutionelle Investoren und warnen vor Liquiditätsengpässen.

Wenig Liquidität: Institutionelle Investoren raten von 24-Stunden-Handel ab

24-Stunden-Handel stößt auf große Widerstände

Institutionelle Investoren sehen zahlreiche Probleme bei verlängerten Zeiten – „Diskussion ist stark Retail-getrieben“

Mögliche Marktverwerfungen, technische und organisatorische Hürden, höhere Kosten sowie ein rigides deutsches Arbeitsrecht. Die von der Börsen-Zeitung befragten Fondsgesellschaften und Vermögensverwalter lehnen einen 24-Stunden-Aktienhandel ab. Es gibt jedoch Ausnahmen.

Von Daniel Schnettler und
Werner Rüppel, Frankfurt

Von 9.00 bis 17.30 Uhr, montags bis freitags, am Wochenende wird geruht. So sieht eine Arbeitswoche in Deutschland aus – auch für die Beteiligten im Xetra-Handelssystem der Deutschen Börse. Doch manchen Anlegern ist das nicht genug. Sie würden am liebsten 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche handeln, mindestens aber werktags rund um die Uhr. Ein schneller Trade vorm Zubettgehen? Kein Problem. Oder doch. Institutionelle Investoren warnen vor den Folgen.

„Unser Hauptanliegen an die Börsenplätze ist es, möglichst viel Liquidität zu möglichst geringen Kosten anzubieten“, sagt Werner Eppacher, Global Head of Trading der DWS. „Wir sind skeptisch, ob längere Handelszeiten einen signifikant positiven Einfluss auf diese Zielfunktion haben. Europa ist bereits jetzt die Region, deren Handelszeiten sich mit den wichtigsten asiatischen und amerikanischen Börsenplätzen überschneiden.“ Will sagen: Europas Anleger haben auch heute schon zu regulären Handelszeiten die Möglichkeit, auf praktisch alle relevanten Entwicklungen auf der Welt zu reagieren. Oder sie weichen direkt auf andere Börsenplätze auf dem Globus aus.

Ähnlich wie Eppacher äußern sich alle von der Börsen-Zeitung befragten Fondsgesellschaften und Vermögensverwalter. Sie lehnen den 24-Stunden-Handel unisono ab – vor allem mit Blick auf die Liquidität. „Es besteht das Risiko, dass die gleichzeitige Marktteilnahme weiter sinkt und starke Kursausschläge in den illiquiden Randzeiten den Markt destabilisieren“, warnt Eppacher. Eric Böss, Global Head of Trading bei AllianzGI, verweist zudem auf veraltete Abwicklungsstrukturen, die schon jetzt mit dem Handelsaufkommen zu kämpfen hätten. „Findet ein Handel von Aktien 24 Stunden, also kontinuierlich statt, fehlen Phasen zum Abgleichen und Verbuchen gänzlich.“

Vorstoß in den USA

Doch woher kommt der Gedanke, 24 Stunden zu handeln? Die großen US-Börsenbetreiber Nasdaq und Nyse hatten angekündigt, vermutlich schon im kommenden Jahr an Werktagen einen Rund-um-die-Uhr-Handel einzuführen. Das hatte auch hierzulande eine Diskussion ausgelöst. „Die Europäer sind gut beraten, den USA nicht blind nachzueifern“, sagt Michael Barsuhn, Head of Trading bei Flossbach von Storch. Denn die Liquidität im US-Markt sei insgesamt deutlich höher. „Das liegt unter anderem am deutlich stärkeren Retail-Anteil von 20 bis 25 Prozent. In Europa sind es nur knapp 5 Prozent.“

In Europa sei die Diskussion vor nicht allzu langer Zeit sogar in die entgegengesetzte Richtung gelaufen, erläutert Barsuhn. So hätten die Briten in Corona-Zeiten diskutiert, die Handelszeiten wieder einzuengen, um die Liquidität zu erhöhen und Angebot und Nachfrage besser in Einklang zu bringen. „Die Skandinavier haben ihre Handelszeiten verkürzt.“ Die jetzige Diskussion sei stark Retail-getrieben. „Der Privatanleger will auch nach Feierabend Orders ausführen.“

Problem langer Handelszeiten

Viele deutsche Regionalbörsen und außerbörsliche Handelsplattformen haben ihre Zeiten über die Jahre schon deutlich ausgeweitet, von frühmorgens bis spätabends. Beim Handelshaus Lang & Schwarz können Anleger im sogenannten Tradecenter sogar ein paar Stunden am Samstag und Sonntag handeln. Lang & Schwarz wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern, wie der Handel in diesen Randzeiten abläuft.

Die langen „Öffnungszeiten“ an den Börsen bergen jedenfalls reichlich Fallstricke. Für Investoren ist es wichtig, beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren die Handelskosten möglichst niedrig zu halten. Und hier gilt das Eisbergprinzip – sprich wie bei einem Eisberg, der sich ja zum größten Teil unter Wasser befindet, ist der größte Teil der Handelskosten nicht auf den ersten Blick sichtbar.

Denn Gebühren für den An- oder Verkauf machen nur den kleineren Teil der Handelskosten aus. Viel wichtiger ist eine hohe Liquidität in einem gehandelten Wertpapier und möglichst enge Geld-Brief-Spreads, also Handelsspannen. Wobei sich immer die Frage stellt, für welche Zahl an Aktien ein Spread gut ist.

Ist die Liquidität in einem Wertpapier hoch und die Spreads niedrig, sind auch die Handelskosten relativ gering. Dies ist zum Beispiel hierzulande in der Regel zu den Kernzeiten des Xetra-Handels der Fall. Außerhalb dieser Kernzeiten ist zu beobachten, dass die Spreads bei Aktien meist größer sind, und dass größere Orders nur zu höheren Kursen bei einem Kauf, oder eben zu niedrigeren Kursen bei einem Verkauf bedient werden können. Dies führt mithin zu extrem hohen Handelskosten.

Bei der Deutschen Börse läuft der mit Abstand größte Teil des Kassahandels über das Xetra-System mit seinen vergleichsweise engen Handelszeiten. Im Juli betrug das Volumen hier rund 133 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Bei der „Schwester“ Börse Frankfurt waren es 4 Mrd. Euro. Dort wird von 8.00 bis 22.00 Uhr gehandelt. „Bei entsprechendem Bedarf würden wir die Handelszeiten weiter verlängern“, erklärt ein Sprecher der Deutschen Börse.

Futures und Krypto handeln lange

Die Börsenbetreiber haben durchaus Erfahrungen mit sehr langen Handelszeiten gesammelt – allerdings abseits von Aktien. „Viele Aktienindexfutures und Währungen handeln bereits 20 und mehr Stunden an fünf Tagen die Woche“, erläutert AllianzGI-Experte Böss. Er geht davon aus, dass es in naher Zukunft auch für Aktien entsprechende Handelsmöglichkeiten geben wird. „Denn wo Nachfrage vorhanden oder vermutet wird, wird es über kurz oder lang auch ein Angebot geben – ob dies nun sinnvoll ist oder nicht.“

In einem Feld ist 24/7-Handel bereits länger Realität: bei Kryptowährungen. Trading-Chef Barsuhn von Flossbach von Storch sieht das aber nicht als schlagendes Argument für erweiterte Handelszeiten in anderen Anlageklassen: „Man sieht, dass sich das Volumen in den Kernzeiten konzentriert. 24-Stunden-Handel ist also ein Service, der gar nicht so viel genutzt wird.“

Für Börsenbetreiber und außerbörsliche Handelsplätze ist es eine einfache Rechnung: Wenn sie den Handel von Wertpapieren in einem Zeitraum anbieten, indem Wettbewerber ein solches Angebot nicht haben, kann dies zu zusätzlichen Umsätzen führen. Dem stehen erhebliche Kosten und ein höherer organisatorischer Aufwand gegenüber. Schließlich braucht es mehr Menschen, die die Systeme steuern und überwachen und bei Fehlfunktionen eingreifen.

Der Nutzen längerer Handelszeiten für die Anleger sei begrenzt, vor allem am Wochenende, sagt Götz Albert, CIO bei Lupus alpha. Bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen gebe es in dieser Zeit kaum Nachrichten. „Lediglich außergewöhnliche Nachrichtenereignisse könnten einen Handelsbedarf auslösen.“ Dagegen sieht er die Gefahr „einer weiteren Beschleunigung und Verfügbarmachung spekulativer Aktivitäten rund um die Uhr, was insbesondere für Privatanleger zu einer höheren Risikoneigung führen könnte.“