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Adesso plagen Wachstumsschmerzen

Das Wachstumstempo des IT-Dienstleisters Adesso ist rasant. Die Marge ist unter Druck geraten. Doch Analysten sind vom Potenzial des SDax-Wertes überzeugt.

Adesso plagen Wachstumsschmerzen

Das Tempo ist atemberaubend: Binnen vier Jahren hat der IT-Dienstleister Adesso den Umsatz auf 900 Mill. Euro im Geschäftsjahr 2022 verdoppelt. Der Konzern zählt damit zu den wachstumsstärksten Unternehmen der Dax-Familie. In diesem Jahr soll die Milliardengrenze überschritten werden. Die Dienste der Softwarespezialisten sind in verschiedenen Branchen gefragt – besonders erfolgreich war Adesso zuletzt im Versicherungssektor, der in Sachen Digitalisierung Gas gibt und viel Nachholbedarf durch teilweise Jahrzehnte alte IT-Systeme hat. Die Allianz und Bitmarck, der IT-Dienstleister der gesetzlichen Krankenkassen, zählen zu den zehn größten Kunden. Auch Sichtbarkeit und Wahrnehmung am Kapitalmarkt sind gestiegen: Seit gut einem Jahr gehört Adesso dem SDax an.

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IT-Dienstleister Adesso plagen Wachstumsschmerzen

Von Antje Kullrich, Düsseldorf

Die rasante Entwicklung hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Die Profitabilität kann derzeit mit dem Wachstum nicht Schritt halten. „Das schnelle Wachstum hat uns etwas Marge gekostet“, gab der Vorstand denn auch im Geschäftsbericht 2022 zu. Die Ebitda-Rendite sackte im vergangenen Jahr um ein Drittel auf 10,3% ab, auch wenn ein Erlös aus dem Verkauf einer früheren Tochter das Ergebnis im Vergleichsturnus 2021 aufgehübscht hatte. In diesem Jahr soll ein zweistelliges Margen-Niveau immerhin gehalten werden. Doch das erste Quartal begann ernüchternd: Die Ergebnisentwicklung blieb hinter den Erwartungen zurück, wie die Führung einräumte. Der Grund: Adesso hat das Personal vorsorglich stärker aufgestockt als ganz aktuell benötigt. Auch ein hoher Krankenstand im zurückliegenden viruslastigen Winter schlug direkt auf die Zahlen durch – denn die wegfallenden Stunden kranker Berater können den Kunden nicht in Rechnung gestellt werden.

Margendelle zu Jahresbeginn

Im zweiten Halbjahr will Adesso zur Aufholjagd ansetzen, wie der Vorstand auf der Hauptversammlung am Donnerstag betonte. Obwohl die Ebitda-Marge in den ersten drei Monaten nur 6,5% betrug, hält das Management die Jahresziele – ein Ebitda zwischen 100 und 110 Mill. Euro, was einer Marge von rund 10% entspricht – für erreichbar. Ein im Januar entdeckter Cyberangriff auf die Systeme von Adesso scheint indes glimpflich verlaufen zu sein. Es sei kaum materieller Schaden entstanden, betonte der Vorstand am Donnerstag auf der Hauptversammlung. Adesso sei versichert gewesen, in diesem Zusammenhang sei auch Unterstützung von Forensikern gekommen. Selbstkritik übte die Adesso-Führung an der Kommunikation – die hätte gegenüber den Kunden etwas schneller sein können.

Der Reputation von Adesso hat der Cybervorfall offenbar nicht geschadet. Die Auftragslage bezeichnete der Vorstand als vielversprechend.  Konzernchef Michael Kenfenheuer führte aus, dass es weitgehend gelungen sei, angesichts der Inflation höhere Tagessätze durchzusetzen.

Trotz der Wachstumsstory ist Adesso auch ein Dividendenwert. Kenfenheuer betonte auf der Hauptversammlung, Adesso habe für 2022 zum zehnten Mal in Folge die Ausschüttung erhöht. Allerdings ist die Dividendenrendite mit 0,6% sehr limitiert. Adesso schüttet nur 15% des Jahresüberschusses aus. Eigentlich sei Adesso ein Wachstumsmodell, argumentierte Finanzvorstand Jörg Schroeder. Mit Blick auf eine optimale Kapitalallokation erteilte er höheren Ausschüttungen eine Absage: „Wir haben den langfristigen Geschäftserfolg im Kopf.“

Als SDax-Wert ist das Research zu Adesso überschaubar. Allerdings sind sich die Analysten einig: Alle fünf haben die Aktie mit einer Kaufempfehlung versehen. Die Kursziele bewegen sich zwischen 180 und 230 Euro. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt auf Basis des für 2023 erwarteten Ergebnisses je Aktie bei knapp 20. Die jüngste Margenschwäche wird als temporär angesehen. Die aktuell hohen Personalkosten könnten sich als sinnvolle Investition in die Zukunft herausstellen. Denn IT-Fachkräfte sind bekanntlich stark nachgefragt. Adesso punktet als Arbeitgeber mit schon traditionell ersten Plätzen beim „Great Place to Work“-Ranking. Dazu passt, dass das Thema Personal demnächst auch prominenter im Vorstand vertreten sein wird. Zum 1. Juli zieht HR-Chefin Kristina Gerwert in den bislang rein männlich besetzten Vorstand ein.

Adessos Marktwert hat unter der Margendelle gelitten und liegt nach dem jüngsten Kursverfall bei etwa 730 Mill. Euro. Knapp die Hälfte der Aktien des IT-Dienstleisters befinden sich im Streubesitz. Großaktionäre sind bis heute die beiden Gründer Volker Gruhn (26,5%), der auch Aufsichtsratschef ist, sowie Rainer Rudolf (16,1%) als einfaches Mitglied des Kontrollgremiums. Der Unternehmer Ludwig Fresenius, Gründer der Hochschule Fresenius, besitzt einen Anteil von 9,4%.