Kapitalströme

Anleger schichten Milliarden nach Europa um

Investoren in Aktien und Anleihen scheuen zunehmend den US-Markt. Das spiegeln sowohl die Nettozuflüsse im ETF-Markt wie auch im Fixed Income-Bereich im bisherigen Jahresverlauf wider. Für einen Abgesang auf „American Exceptionalism“ ist es laut Franklin Templeton aber zu früh.

Anleger schichten Milliarden nach Europa um

Anleger schichten Milliarden nach Europa um

Nettozuflüsse in US-Assets fallen massiv ab – Schwacher Dollar und „nervöser Anleihemarkt“ nähren die Skepsis

Investoren in Aktien und Anleihen scheuen zunehmend den US-Markt. Das spiegeln sowohl die Nettozuflüsse im europäischen ETF-Markt wie auch im Fixed Income-Bereich im bisherigen Jahresverlauf, wie die DWS festgestellt hat. Der „schwächelnde Dollar“ vor allem nährt laut CIO Vincenzo Vedda den Sinneswandel der Anleger. Dagegen betont Franklin Templeton, für einen Abgesang auf „American Exceptionalism“ sei es zu früh.

Von Heidi Rohde, Frankfurt
und Alex Wehnert, New York

„Der rekordhohe Anteil der USA an der globalen Aktienmarktkapitalisierung war uns schon länger nicht mehr geheuer“, betont Vincenzo Vedda, Chief Investment Officer der DWS, gegenüber der Börsen-Zeitung. Aber mit dem Beginn von Trumps zweiter Amtszeit sei schnell klar geworden, „dass Anleger mit einer zu US-lastigen Portfoliogewichtung ein hohes Risiko eingehen.“ Das dämmert inzwischen immer mehr Investoren, wie die Mittelbewegungen bei europäischen ETFs und Anleihen erkennen lassen. Auf Basis der Marktbeobachtungen bis Mitte Mai zeigt sich, dass die Nachfrage nach „US-Core Equities“ im Vergleich zu 2024 deutlich nachgelassen hat. Während sie im Vorjahr noch 28% des Nettoneuaufkommens bei Ucits-ETF ausmachten, sind es in diesem Jahr bisher nur 7%. Trumps „erratischer Regierungsstil“, der bei Themen wie Zöllen, Steuern und Ausgaben „wenig Konsistenz“ zeige, schüttelt die Märkte zulasten von US-Anlagen, so Vedda.

Donald Trump schüttelt die Kurse weltweit immer wieder durch.
picture alliance / SvenSimon | Elmar Kremser/SVEN SIMON

Anleger diversifizieren ihre Portfolien und schichten insbesondere nach Europa um. Europäische Aktien hatten spiegelbildlich im vergangenen Jahr einen Anteil von 5% beim Nettoneuaufkommen in ETF. Aktuell sind es bisher rund 30%. Der Anstieg wird laut DWS vor allem durch Gesamteuropa, wo 19 Mrd. Euro hinflossen, und die Eurozone mit 9 Mrd. Euro getragen. „Außerdem auch durch deutsche Aktien mit 6,5 Mrd. Euro“, hebt der CIO hervor. Im Gesamtmarkt liegen Global Core Equities mit einem entsprechenden Zufluss von 19 Mrd. vorne, vor den wichtigen europäischen Aktien, in die bisher 11 Mrd. Euro investiert wurden.

„Die ohnehin schon rekordhohe Diskrepanz bei den Wertentwicklungen von Dax und S&P 500 nach vier Monaten wurde durch den schwachen Dollar noch verstärkt“, betont Vedda außerdem. Tatsächlich war die Schwäche des Greenback eine Hauptursache für die Verluste, die internationale Anleger im US-Aktienmarkt eingefahren haben, hatte zuletzt auch Jan Viebig, CIO bei Oddo BHF, gesagt. Denn den nach dem Liberation Day am 2. April ausgelösten Kurseinbruch hatte der S&P 500 zuletzt wieder wettgemacht. Er notiert auf dem Niveau von Jahresbeginn. Der auf Private Wealth Management registriert nach den Worten seines CEO Nicolas Chaput, ein wachsendes Interesse auch bei den US-Klienten an Deutschland und Europa“.

Strategie wird überprüft

Das bestätigt auch der US-Assetmanager Franklin Templeton gegenüber der Börsen-Zeitung. „Unsere Kunden sind mit Blick auf US-Aktien in den vergangenen Monaten sehr vorsichtig geworden“, sagt Marcus Weyerer, Direktor ETF-Investmentstrategie bei Franklin Templeton. Dies zeige sich nicht nur anhand der Mittelzuflüsse in US-Produkte, die deutlich niedriger ausfielen als während der Rekordrally des S&P 500 bis in den Februar, sondern auch in Gesprächen zur Anlagestrategie. „Das ist sicherlich der gestiegenen Volatilität an der Wall Street geschuldet – wie auch der Tatsache, dass die meisten Investoren mit US-Übergewichtung ins Jahr gegangen sind und nun umschichten“, führt Weyerer aus. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass das Interesse an Strategien mit Europa-Fokus gewachsen sei. So habe Franklin Templeton seit dem „Liberation Day“ Anfang April starkes Anlegerinteresse in ihren European Quality Dividend ETF verzeichnet. Die Nachfrage nach Werten mit konstant hohen Ausschüttungsquoten unterstreiche die zunehmend defensive Haltung im Markt.

Auch weitere große Asset-Manager sind dabei, ihre Anlagestrategie zu überprüfen, wie eine Umfrage von Bank of America im Mai laut Financial Times ergeben hat. Seth Bernstein, CEO von Alliance Bernstein, die 780 Mrd. Dollar under Management hat, sorgt sich demnach insbesondere um die wachsende US-Staatsverschuldung. Er hält es nicht für tragbar, wenn der Staat sich in diesem Tempo weiter verschuldet und „kombiniert mit unserer unvorhersehbaren Handelspolitik“ sollten sich Investoren überlegen, wie stark sie sich auf einen einzelnen Markt konzentrieren wollten. Auch die Caisse de dépôt et placement du Québec ließ vor kurzem wissen, dass sie das Gewicht der US-Anlagen von derzeit 40% in ihren Portfolios zugunsten von Großbritannien, Frankreich und Deutschland zurückfallen wolle. Die Volumina, die durch ausländische Investoren am US-Aktienmarkt und den Treasuries insgesamt bewegt werden, beliefen sich zuletzt auf 18 Bill. Dollar bzw. 7 Bill. Dollar, wie Metzler Capital Markets angibt.

Der „Exzeptionalismus“, der die US-Wirtschaft und den Aktienmarkt lange Zeit zu kennzeichnen schien und der an der Börse besonders in der Kursrally der sogenannten Glorreichen Sieben (Mag Seven) zu Ausdruck kam, wird von vielen Investoren inzwischen in Zweifel gezogen. Vedda weißt zwar daraufhin, dass der „US-Technologiesektor“ weiterhin „unglaublich starke Zahlen“ abliefere, aber am breiten Markt schlägt sich die von der US-Regierung insgesamt geschürte Unsicherheit immer stärker nieder.

Globalere Diversifizierung

Eine Verschiebung von Aktieninvestments nach Europa registriert auch Bernd Meyer, Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset bei Berenberg. „Nach Jahren der US-Fokussierung erkennen Anleger erneut die Vorteile einer globaleren Diversifikation, zumal mit weniger Globalisierung der Gleichlauf der Aktienregionen seit der globalen Finanzkrise bereits wieder abgenommen hat“, befindet der Experte. Er geht deshalb auch davon aus, dass „die jüngste Abschwächung des US-Dollars nicht als taktische Korrektur oder vorübergehende Abweichung interpretiert werden“ sollte, sondern eben die Folge der „strategischen Verlagerung der globalen Kapitalströme“ ist.

Diese Sicht wird gestützt durch die jüngsten Bewegungen im Fixed-Income-Bereich. US-Treasuries machten laut DWS im vergangenen Jahr 6% der Netto-Neugeschäftsaufkommens (NNA) im Anleihemarkt aus. Im laufenden Jahr hat sich dies auf 3% halbiert. Auf der anderen Seite sind europäische Anleihen stärker nachgefragt. Ihr NNA-Anteil stieg von 7% im Vorjahr auf jetzt 10%. Treiber seien sowohl Staatsanleihen (5,4 Mrd. Euro NNA) als auch Unternehmensanleihen (2,7 Mrd. Euro NNA).

Risiken eindeutig vorhanden

Indes ist es aus Sicht von Franklin Templeton verfrüht, die Ausnahmestellung der US-Wirtschaft und damit des Aktienmarktes in Zweifel zu ziehen. „Die Lage ist stark im Wandel, deswegen würde ich mich Abgesängen auf den ‚American Exceptionalism‘ auch zurückhalten“, betont Weyerer.

Gegenüber Europa seien die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer geopolitischen Ausnahmestellung und Innovationskraft strukturell im Vorteil, der amerikanische Kapitalmarkt sei noch immer der tiefste und liquideste der Welt. Die Risiken seien aber eindeutig vorhanden: Der Handelskrieg und die anhaltende Diskussion um die fiskalische und politische Stabilität Washingtons lasteten auf dem Vertrauen der Anleger, die von Präsident Donald Trump angestrebte Abwertung des Dollar mache US-Assets für internationale Anleger weniger attraktiv.

„Allerdings lohnt es sich, die nächsten drei bis sechs Monate abzuwarten – finden die USA und andere Länder im Zollkonflikt zu Verhandlungslösungen, sind auch innerhalb kurzer Zeit wieder bedeutende Aufwertungen des Dollar möglich“, sagt Weyerer. Auch könne die von Trump vorangetriebene Verlängerung umfangreicher Steuersenkungen positive wirken.

„Beunruhigend wäre es, wenn wir in einem halben Jahr noch immer die gleichen Diskussionen führen würden wie aktuell – sollten sich der globale Handel also in Richtung Merkantilismus bewegt haben und die Unabhängigkeit der Federal Reserve in noch größeren Zweifel geraten sein“, sagt der Franklin-Templeton-Stratege.

Anleger müssten aber auch bedenken, dass in den Vereinigten Staaten aufgekommene Turbulenzen Europa in der Vergangenheit zumeist verspätet und härter getroffen hätten – so geschehen nach der Finanzkrise 2008. „Der Dollar hat in den Jahren nach dem Crash aufgewertet, während Europa in die Euro-Schuldenkrise gestürzt ist“, führt Weyerer aus. Aus diesen Gründen zeichne sich noch keine „Zeitenwende“ mit einer dauerhaft stärkeren Umschichtung von US- hin zu europäischen Aktien ab.

Innerhalb des amerikanischen Anlageuniversums sei aber durchaus eine Verbreiterung des Investoreninteresses sichtbar. „Die großen Technologiewerte werden zwar wichtig bleiben, da der Boom um künstliche Intelligenz unserer Ansicht nach noch lange nicht an Schwung verliert“, sagt Weyerer. ETF-Investoren kämen ohnehin nur schwierig um die schwersten Werte des US-Markts herum. Doch das Gefälle zur zweiten Reihe innerhalb des S&P 500 schließe sich langsam. „Im Jahr 2023 haben die sogenannten Glorreichen Sieben 93% der Performance in der US-Benchmark ausgemacht, aber eben auch 93% des Gewinnzuwachs – nun ergeben sich bei den etwas kleineren Werten mehr Gelegenheiten“, unterstreicht Weyerer.

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