GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (152)

Auf Animal Spirits folgt breite Konjunkturerholung

Börsen-Zeitung, 16.1.2021 Die im Dezember begonnenen Impfungen in der entwickelten Welt geben den Hoffnungen auf eine Rückkehr zu einer Normalität im Laufe des neuen Jahres einen realen Boden. Damit einhergehend sollte die Weltwirtschaft 2021 mit...

Auf Animal Spirits folgt breite Konjunkturerholung

Die im Dezember begonnenen Impfungen in der entwickelten Welt geben den Hoffnungen auf eine Rückkehr zu einer Normalität im Laufe des neuen Jahres einen realen Boden. Damit einhergehend sollte die Weltwirtschaft 2021 mit rund 5 % – nach einer Kontraktion des globalen BIP 2020 von rund 4 % – expandieren. Zudem sind mit einer Einigung beim Brexit und einem kleinen Nachfolgekonjunkturpaket in den USA zwei signifikante Risikofaktoren verschwunden. Im Fahrwasser dieser Konjunkturerholung, welche durch die “Blue Wave” nochmals verstärkt wird, dürften auch die Verbraucherpreise in einigen Regionen moderat steigen. Dennoch werden die Wintermonate mit anhaltenden Lockdowns insbesondere dem Dienstleistungssektor weiter zusetzen. Der Jahresstart wird für die Realwirtschaft partiell durch eine erneut rückläufige Wertschöpfung geprägt sein. Unter der Annahme, dass es zu keinen “Impfschocks” (Virusmutationen, weitreichende Produktions- und Lieferverzögerungen etc.) kommt, dürfte die Konjunkturerholung ab dem Frühjahr deutlich an Fahrt aufnehmen. Die enorme Unterstützung durch Geld- und Fiskalpolitik sollte dabei über 2021 hinaus anhalten. Die Mischung aus einer Belebung der Arbeitsmärkte, signifikanter Politikunterstützung und hohen Cash-Reserven von Finanzintermediären wird unseres Erachtens in einem erhöhten Risikoappetit münden. Vor diesem Hintergrund werden Animal Spirits die Märkte bereits im ersten Halbjahr teilweise deutlich beflügeln.Aus einer Asset-Allokations-Perspektive sind Perioden positiver Wachstums- und Inflationsveränderungen tendenziell durch eine Überrendite von Aktien und Rohstoffen im Vergleich zum Rentenuniversum geprägt, häufig bei gleichzeitiger Abwertung des US-Dollar. Zusätzliche Unterstützung erhalten Risiko-Assets durch eine Kombination aus negativen Realrenditen und den hohen Cash-Reserven von Investoren.Um die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen, werden die Zentralbanken auch 2021 dafür sorgen, dass die Realrenditen substanziell negativ bleiben. Vor dem Hintergrund der bereits adjustierten (Fed) respektive der noch anzupassenden (EZB) geldpolitischen Rahmenwerke dürften die impliziten Kontrollen der Renditestrukturkurven beiderseits des Atlantiks so lange unverändert bleiben, bis sich die Arbeitslosenquoten und die mittelfristigen Inflationserwartungen dem Vorkrisenniveau hinreichend angenähert haben.Wird die globale geldpolitische Ausrichtung anhand entsprechender Schlüsselfaktoren (Realrenditen der USA, China und EU, Geldmengenwachstum in China, US-Dollar) zusammengefasst, können die Variationen der Marktrenditen verschiedener Assets seit der großen Finanzkrise gut erklärt werden. Ökonometrische Prognosen der genannten Zeitreihen deuten auf eine weitere Verbesserung der geldpolitisch induzierten Finanzkonditionen hin. Niedrige respektive negative Realrenditen, eine abwertende US-Valuta und ein steigendes Geldmengenwachstum in China flankieren Aktien und führen zu einem Aufwärtsdruck bei Rohstoffen, gefolgt von einem moderaten – gleichwohl durch die Zentralbanken und globale strukturelle Faktoren (technologischer Fortschritt, Demografie, Globalisierung) limitierten – Aufwärtsdruck auf Bondrenditen. Luft für Anleihen wird dünnDurch Annahme eines Average-Inflation-Targeting-Regimes hat sich die Fed (die EZB dürfte mit einer ähnlichen Strategieanpassung im angebrochenen Jahr folgen) bereits dazu bekannt, steigende Verbraucherpreise länger zu tolerieren. Damit dürfte einerseits die Fed Funds Target Range bis weit über 2021 hinaus an der derzeitigen Zinsuntergrenze verharren und sollten andererseits die Anleihekäufe noch lange Bestand haben. Im Falle einer weiteren Abkopplung der US-Inflationserwartungen in Richtung Norden und einer damit einhergehenden höheren Laufzeitenprämie für Treasuries dürfte die Fed verstärkt am langen Ende zugreifen. Ähnlich operierte die US-Notenbank im Rahmen ihrer “Operation Twist” 2012/13, was letztlich insbesondere dem Momentum bei Aktien zuträglich war. Während die Benchmarkrendite jenseits des Atlantiks 2021 durchaus nochmals bis auf 1,20 % zeitweise “durchatmen” könnte, ist das Renditebild in der Eurozone, ausgehend von höheren Deflationsrisiken, ein differenziertes. Eine mehr als brüchige Preis-Phillipskurve sowie eine signifikant ausgeweitete Staatsverschuldung respektive länderspezifische Debt-Overhang-Szenarien (Italien, Griechenland) haben ein Krisenankaufprogramm seitens der EZB auf den Plan gerufen, das erst im Dezember des Vorjahres erneut aufgestockt worden ist. Sollte das neue Jahr impfbedingt zu Sell-offs bei EWU-Rates führen, dürfte die EZB umgehend eingreifen (implizite Zinskurvenkontrolle). Konkret erwarten wir, dass die zehnjährige Bundrendite 2021 durchweg in negativem Terrain bleibt, wobei wir nicht zuletzt mit Blick auf den großen Nachholbedarf beim privaten Konsum positive Inflationsüberraschungen Ende des Jahres (abseits von relevanten Basiseffekten zum Jahresbeginn) nicht ausschließen können. In diesem Fall erwarten wir die hiesige Benchmarkrendite bei rund -0,30 %. Nur im Falle von “Impfschocks” und/oder einer Zinssenkung der EZB erwarten wir eine moderate Bund-Rally ausgehend von jetzigen Niveaus. Abseits erneuter Verzögerungen beim European Recovery Fund erwarten wir eine leichte Fortsetzung der Einengungsbewegung bei EWU-Peripherie-Spreads. Mit Blick auf den Treasury-Bund-Spread halten wir eine zeitweise, marginale Ausweitung im zweiten Halbjahr für wahrscheinlich.Die begonnenen Impfungen sind der wichtigste Katalysator für eine globale Konjunkturerholung. Empirisch hat der Dollar in solchen Phasen tendenziell abgewertet. Zudem ist die US-Geldpolitik im Vergleich zu früheren Dekaden in der nun bevorstehenden wirtschaftlichen Expansionsphase länger expansiver. Unter der Annahme, dass die Biden-Administration den Kongress hinter sich hat, sollte die fiskalpolitische Flankierung noch stärker ausfallen. Damit sollte der moderate Abwärtstrend des Dollar intakt bleiben. Mit Blick auf die anstehende Conclusio der EZB hinsichtlich ihrer strategischen geldpolitischen Überprüfung sind Niveaus jenseits von 1,25 Euro bei dem Währungspaar sehr unwahrscheinlich. Denn: Die EZB dürfte der Fed nacheifern und das geldpolitische Gaspedal ebenfalls länger als jemals zuvor durchgedrückt halten. Dabei müssen die EWU-Währungshüter im Vergleich zu ihren US-Kollegen zudem deutlich höhere Deflationsrisiken berücksichtigen. Aktien-Rally geht weiterVor dem Hintergrund der deutlich gesunkenen Risiken durch Covid-19, was nicht zuletzt die hohen 2021er Schätzungen für die Gewinne je Aktie sukzessive realistischer macht, niedriger bzw. negativer Realrenditen sowie einer auskömmlich vorhandenen Liquidität dürften Aktien weiter performen. Unter Bewertungsaspekten ist die weiterhin hohe globale Aktienrisikoprämie positiv hervorzuheben. Ferner bewegen sich die Dividendenrenditen in den wichtigsten Märkten oberhalb der Renditeniveaus entsprechender Zinspapiere. Mit Blick auf die geringen Risiken von Steuererhöhungen (unter dem Duo Biden/Yellen wird es 2021 keine höheren Steuerbelastungen geben; im Gegenteil) und stärkerer Regulierung in den Vereinigten Staaten präferieren wir US-Aktien gegenüber ihren europäischen Pendants. Trotz höherer Gewinnerwartungen bei Letzteren sind politische Konflikte innerhalb der EWU, Strukturwandel bei Substanzwerten wie der Automobilbranche sowie höhere Euro-Dollar-Niveaus zudem eindeutig negative Faktoren für EWU-Titel. Insgesamt bevorzugen wir gegenüber den Industrienationen das Emerging-Market-Universum plus China. Unser Fokus liegt dabei auf der asiatischen Dekade. Neben dem Niedrigzinsumfeld in den hoch entwickelten Volkswirtschaften sind strukturelle Wachstumstrends hierbei die Treiber. Dass der Umsatz am chinesischen “Single’s Day” inzwischen um rund die Hälfte höher ausfällt als an allen relevanten amerikanischen Einkaufstagen zusammen, spricht anschaulich für sich. Zuletzt erschienen: Die technologisierte Welt als Anlagechance (151), Pictet Asset Management —-Daniel Winkler, Multi Asset Strategist bei H&A Global Investment Management