Geld oder Brief

Chinas Bankenprimus ICBC kriegt schwere Breitseite verpasst

Chinas führende Großbank ICBC wird an der Börse geknüppelt. Analysten bei Goldman Sachs haben mit kritischen Fragen zum Risikoprofil ein kleines Erdbeben ausgelöst.

Chinas Bankenprimus ICBC kriegt schwere Breitseite verpasst

Chinas durchweg staatskontrollierte Großbanken produzieren in der Regel wenig Schlagzeilen und sind auch eher selten ein Aufregerthema am Finanzmarkt. Zuletzt allerdings sorgen sie für mächtig Gesprächsstoff in der Anleger-Community, allen voran der Marktführer Industrial and Commercial Bank of China (ICBC). Es geht um die Frage ob die an der Börse notorisch schwach bewerteten chinesischen Großbanken vom Staat zusätzliche Lasten zur Konjunkturrettung aufgebürdet bekommen, die ihr Risikoprofil weiter verschlechtern.

Spielverderber Goldman

Derzeit sieht man klare Versuche des Pekinger Machtapparats, eine kritische Auseinandersetzung mit Schwachstellen der heftig stotternden Konjunktur in der Öffentlichkeit zu verhindern und negative Aktienmarkteinschätzungen zu unterbinden. Ein böser Analystenbube aus dem Hause Goldman Sachs scheint die Spielregeln missachtet zu haben und wagte sich Anfang Juli mit einer prägnant formulierten Einschätzung zu neuen Risiken im chinesischen Bankensystem hervor. Die Analyse gipfelte in einer eher selten vorkommenden Verkaufsempfehlung für ICBC und zwei weiterer chinesischer Großbanken.

Zum einen werden die Großbanken bei den in eine Krise geratenen heimischen Immobilienentwicklern immer mehr zu neuen Finanzierungsaufgaben herangezogen, die zu einer Stabilisierung des Immobilienmarktes beitragen sollen. Zum anderen scheinen sie vom Staat dazu verpflichtet worden zu sein, den teilweise in einer prekären Verschuldungslage steckenden Lokalregierungen mit extrem langlaufenden Krediten zu laxen Konditionen zur Hilfe zu eilen.

Verschuldungsdrama

Die Solvenz der Lokalregierungen mit ihren für Intransparenz berüchtigten Finanzierungsvehikeln ist ein echtes Reizthema. Hier hat man mit einer Schuldenproblematik in abenteuerlichen Dimensionen zu tun. Nach konservativer Schätzung belaufen sich die Schulden der Local Government Financing Vehicles (LGFV) auf umgerechnet rund 8 Bill. Euro.

Wenn die Bankriesen hier stärker vor den staatlichen Karren gespannt werden, um Finanzierungsprobleme auf der Lokalregierungsebene zu lösen, wirft dies verständlicherweise Fragen zu den Folgewirkungen für ihr Ertragsprofil und die Solidität ihrer Bilanzen auf. Die Goldman-Experten haben dies zum Anlass genommen, einmal kritisch zu hinterfragen, ob Chinas führende Banken bei diesen Herausforderungen Abstriche auf Ebene der Dividendenausschüttungen machen müssen, um ihre Kapitaldecke zu schonen. Das ist ein heißes Thema für “Value-Investoren”.

ICBC hat in den letzten Jahren eine Ausschüttungsquote bei etwa 30% beibehalten und angesichts der schwachen Marktbewertung zuletzt auf eine extrem hohe Dividendenrendite von gut 9%. Durchschnittlich verzeichnet man etwa 7% Dividendenrendite auf die im MSCI China Index vertretenen chinesische Banktitel.

Das Sell-Rating in Verbindung mit der ketzerischen Dividendenfrage hat seine Wirkung auf die von Chinas Konjunkturmisere sowieso verunsicherten Investoren nicht verfehlt und einen kräftigen Abverkauf bei Bankenaktien nach sich gezogen. Das wiederum hat den Parteiapparat mächtig aufgescheucht.

Chinas Staatsmedien, allen voran die führende Finanztageszeitung Security News, lancierten prompt eine massive Kampagne, um den negativen Bankenreport zu diskreditieren und die Anleger zum Schnäppchenkauf mit Bankaktien zu ermuntern. Gleichzeitig wurde Druck auf andere Analysten erhöht, sich dem Urteil nicht anzuschließen und es mit optimistischeren Ausblicken für ICBC & Co. wieder zu korrigieren.

Schwerer Sell-off

Trotz aller Schützenhilfe hat sich die ICBC-Aktie von dem Schock bislang nicht erholt. Der Kurs liegt bei gegenwärtig 3,61 HK-Dollar gut 15% unter dem Niveau zu Anfang Juli und gegenüber dem 52-Wochenhoch im Mai bei 4,73 HK-Dollar fast 24% eingebüßt. Der der Abstand zum Ende Oktober verbuchten 52-Wochentief bei 3,36 HK-Dollar, das gleichzeitig das niedrigste Kursniveau seit der globalen Finanzkrise von 2008/2009 markierte, beträgt jetzt nur noch 7%.

Goldman Sachs steht mit seinem Sell-Rating für ICBC mittlerweile allein auf weiter Flur. Die China-Teams anderer führender Investmentbanken, darunter zuletzt Citibank und UBS, haben es sich nicht nehmen lassen mit milderen Einschätzungen zu ICBC nach außen zu treten. Dabei kommt man zum Schluss, die möglichen Belastungen der Institute aus Unterstützungsleistungen gegenüber der Immobilienbranche und den Lokalregierungen das Dividendenniveau nicht in akute Gefahr bringen werden.

Tatsächlich gibt es eine einleuchtende Begründung für diese Sichtweise, die allerdings nichts mit Bankbilanzen zu tun hat. Eine geschmälerte Dividende würde dem Haupteigner der größten Banken des Landes, nämlich der Zentralregierung, ebenfalls geringere Zuflüsse bescheren. Daran hat Peking in der gegenwärtig angespannten Budgetsituation kein Interesse.

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Von Norbert Hellmann, Schanghai