„Das Sentiment für Europa ist derzeit gut“
Im Interview: Bastian Gries
„Das Sentiment für Europa ist derzeit gut"
Experte für Unternehmensanleihen bei Oddo BHF: Fälligkeiten stützen den Markt – Starkes Aufkommen an Emissionen von US-Adressen
Bastian Gries, Experte für Unternehmensanleihen bei Oddo BHF, sieht den Euro-Firmenbondmarkt in guter Verfassung. Viele Unternehmen holen Emissionen derzeit nach. Der Markt nimmt die Emissionen derzeit gut auf. Aber in den nächsten Wochen sollte mit der Berichtssaison die Emissionstätigkeit nachlassen.
Herr Gries, Corporate Credit hält sich in diesen stürmischen Tagen gut. Woran liegt das?
Mit den Zollankündigungen am „Liberation Day“ kam es zu einer negativen Marktreaktion, d.h. einer Ausweitung der Spreads. Das entspannte sich wieder, weil es eine gewisse Deeskalationsentwicklung gab. Das dämmte dann auch die Volatilität ein. Hinzu kommt der fundamentale Aspekt, weil durch diese Deeskalation auch die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession wieder deutlich gesunken ist. Und auch wenn das globale Wachstum dieses Jahr etwas weniger stark ausfallen sollte als im Vorjahr – also leicht unterhalb von 3% –, geht der Markt zumeist von einer weichen Landung in den USA aus. Auch für die Eurozone werden positive Wachstumsraten erwartet. Das ist ein Umfeld, mit dem die globalen Kreditmärkte sehr gut umgehen können. Ein weiterer Aspekt betrifft insbesondere den Euro-Corporate-Bondmarkt. Es gibt hier große Sektoren wie Banken, Versorger, Immobilien oder Telekomunternehmen, die nicht direkt vom Zollstreit betroffen sind. Wir sehen hier eine relativ stabile Ergebnisentwicklung und von daher weniger direkten Einfluss auf die Unternehmen. Zudem funktioniert die Markttechnik gut, d.h. wir sehen einen sehr regen Primärmarkt, der neue Bonds sehr gut aufnimmt.
Es gibt auch sehr hohe Fälligkeiten. Stützt das den Markt zusätzlich?
Das hilft in der Tat. Dieses Jahr ist es aber so, dass wohl mehr emittiert werden wird, als an Fälligkeiten ansteht. Es gibt also positive Nettoneuemissionen. Das ist aber derzeit kein Problem für die Kreditmärkte, weil wir anhaltend positive Mittelflüsse in die Anlageklasse sehen. Die Nachfrage ist gut, sodass die Neuemissionen sehr gut aufgenommen werden. Diese Situation, dass die Nachfrage das Angebot mehr als kompensiert, sehen wir seit dem Regimewechsel im Zinsmarkt 2022 ungebrochen so. Trotz auch eines hohen Aufkommens an Neuemissionen bleibt der Markt sehr gut unterstützt, und die Spreads werden dadurch in keiner Weise beeinflusst.
Welches Volumen an Fälligkeiten steht in diesem Jahr in Europa an?
Für dieses Jahr werden etwa 500 Mrd. Euro an Fälligkeiten erwartet. Das sind ca. 50 Mrd. Euro mehr als 2024. Und das teilt sich in etwa 200 Mrd. Euro an Fälligkeiten im Bereich der Finanzwerte und 300 Mrd. Euro bei den Corporates auf.
Mit welcher Spread-Entwicklung rechnen Sie in den kommenden Wochen?
Wir erwarten, dass wir zunächst einmal in relativ engen Handelsbandbreiten der aktuellen Spreads bleiben werden. Die makroökonomischen Daten wirken marktunterstützend, da sie derzeit relativ gut ausfallen. Und solange das der Fall ist, insbesondere in den USA, sollte der Markt auch gut unterstützt bleiben. Damit verbunden sind ja derzeit auch weiter die Hoffnungen, dass es in dem globalen Zollstreit weiter zu Lösungen kommt und dass dann auch letztendlich der Wachstumsverlauf nicht zu sehr beeinträchtigt werden sollte. Mit Blick auf die Berichtssaison der Unternehmen sehen wir im Investment-Grade-Markt derzeit relativ wenig Störfeuer. Nach dem sehr hohen Emissionsaufkommen im Mai sollten mit Blick auf die anstehende Berichtssaison weniger Neuemissionen kommen, was den Markt auch noch einmal technisch unterstützen sollte.
Mai war ja ein Rekordmonat bei den Emissionen. Worauf führen Sie das in erster Linie zurück?
Das geht im Jahresverlauf in Wellen. Der Jahresbeginn ist häufig sehr aktiv, was Emissionen angeht. Und auch der Mai ist saisonal ein relativ aktiver Monat für Neuemissionen. Das fiel dieses Jahr etwas höher aus, was aber auch damit zusammenhängt, dass im April die Volumina etwas reduziert waren, aufgrund der heftigen Turbulenzen an den Märkten infolge des Zollstreits. Im Mai hat es dann Nachholeffekte gegeben, die die Unternehmen an den Markt zurückbrachten.
Ist in den kommenden Wochen bzw. Monaten mit einer stärkeren Liquiditätsbevorratung zu rechnen und dass Unternehmen deshalb weiterhin ihre Emissionen vorziehen werden?
Das ist wahrscheinlich ein Grund für die jüngst rege Emissionstätigkeit. Aufgrund der höheren Unsicherheit ziehen einige Unternehmen ihre Emissionstätigkeit vor. Bei den Unternehmen steht nun die Berichtsperiode an, die im Juli beginnt. Rund zwei Wochen sollte der Primärmarkt noch aktiver sein, dann sollte die Emissionstätigkeit saisonal bedingt, d.h. aufgrund der Blackout-Periode, abnehmen. Über die Sommermonate hinweg wird bekanntermaßen tendenziell weniger emittiert als im April und Mai.
Reverse Yankee Deals strömten ebenfalls ordentlich an den Markt. Rechnen Sie mit einem weiterhin guten Angebot von US-Firmen?
Momentan sehen wir in der Tat ein sehr, sehr starkes Aufkommen an Emissionen von US-Unternehmen im Euro. Das wird vermutlich auch erstmal anhalten, denn die Lage ist in Europa doch etwas klarer als in den USA, etwa bei der Geldpolitik. Es ist zwar unüblich, aber letztendlich ist der geldpolitische Zyklus in Europa dieses Mal weiter vorangeschritten als in den USA. Das heißt, wenn US-Unternehmen Anleihen im Euro emittieren, dann fallen die All-in-Funding-Costs hier geringer aus als in den USA. Und die makroökonomischen Auswirkungen des Zollstreits auf Europa müssen ja auch erst noch abgewartet werden. Rückenwind für die Eurozone gibt es aber auch durch das deutsche Fiskalpaket. Da sind auch perspektivisch höhere Ausgaben für Rüstung zu nennen. Das Sentiment für Europa ist derzeit gut.
Was spricht sonst noch für den Euro-Markt aus US-Firmensicht?
Viele große global agierende US-Unternehmen haben auch eine ausgeprägte Geschäftstätigkeit in der Eurozone und refinanzieren dann in diesem Währungsraum. Teilweise können Emissionen aber auch mit M&A-Aktivitäten zusammenhängen, die dann Funding-Bedarf mit sich bringen, zum Beispiel, wenn es hier zu Übernahmen gekommen ist. Ein weiterer Aspekt ist, dass große Unternehmen auch daran interessiert sind, eine diversifizierte Fremdkapitalstruktur vorzuhalten. Sie wollen auf eine breite Investorenbasis in verschiedenen Währungsräumen zugreifen können.
Hinzu kommt die Unsicherheit im Dollarmarkt in den USA, die US-Firmen auf in Euro denominierte Papiere ausweichen lässt. Und es besteht eine gute Nachfrage von Investoren, was sich Unternehmen dann gerne sichern.
Umgekehrt gehen aber auch europäische Firmen an den US-Markt. Worauf ist das zurückzuführen?
Die Situation ist hier ähnlich. Auch große europäische Firmen halten diversifizierte Fremdkapitalstrukturen vor und wollen eine breite globale Investorenbasis ansprechen. Hinzu kommt aber noch der Punkt, dass der Dollarmarkt noch deutlich größer ist als Euromarkt und daher auch eine deutlich höhere Markttiefe aufweist. Zudem haben auch die europäischen Unternehmen häufig einen großen Teil ihres Geschäfts im US-Markt und refinanzieren deshalb regelmäßig im Dollar.
Wie stufen Sie generell das Investorensentiment in Europa derzeit ein?
Verhalten positiv und eben kein Überschwang. Grundsätzlich ist der fundamentale Ausblick für den Kreditmarkt derzeit recht zufriedenstellend. Das Wachstumsumfeld ist mehr als ausreichend. Die Ergebnisse der Unternehmen fallen aus Kreditsicht im Schnitt relativ solide aus. Auf der anderen Seite bieten die Spreads aber auch relativ wenig Puffer für eine ausgeprägte Verschlechterung der Situation. Die Mittelzuflüsse unterstützen den Markt weiterhin. So lange wir keine deutliche Verschlechterung in den harten makroökonomischen Daten sehen, sollte der Markt gut unterstützt bleiben.
Und wie ist die Verfassung des europäischen High-Yield-Marktes einzustufen?
Grundsätzlich auch relativ solide. Die globalen Ausfallraten sind hier zuletzt auf 4,1% gefallen. Das ist etwas unter dem langfristigen Durchschnitt. Moody's geht im Kernszenario auch davon aus, dass die Ausfallraten über die nächsten Monate weiter fallen sollten in Richtung von 3,1%. Im Kernszenario erwartet Moody's auch keine Rezession für die USA. Das sollte den Markt unterstützen. Im Vergleich zu den Investment-Grade-Unternehmen sahen wir bei der Entwicklung der Unternehmensergebnisse aber eher durchwachsenere Resultate, zuletzt auch über diverse Sektoren verteilt. Einige Unternehmen leiden nunmehr unter Ergebnisrückgängen. Das hat jetzt noch kein dramatisches Niveau angenommen, ist aber in jedem Fall im Blick zu behalten. In der jetzigen Zyklusphase ist deshalb die Kreditselektion ganz entscheidend. Sofern sich das Umfeld nicht entscheidend durch den Handelskrieg verschlechtert, sehen wir auch bei High-Yield eher Spreads in den gegenwärtigen Handelsspannen.
Ist infolge des Handelskrieges mit einer erhöhten Zahl von Rating-Downgrades zu rechnen?
Der Ratingtrend im High-Yield-Markt ist momentan schon leicht negativ, d.h. wir sehen mehr Herab- als Heraufstufungen. Ob sich das von hier aus weiter beschleunigt, wird stark vom weiteren Wachstumsverlauf abhängen. Der negative Rating-Trend ist aber jetzt auch noch nicht besorgniserregend. Im Investment-Grade-Markt scheint der Ratingtrend eher stabil zu sein. Wir sehen nur vereinzelt Herabstufungen, zum Beispiel im Automobilsektor. Denn dort ist das wirtschaftliche Umfeld schon sehr herausfordernd für die Firmen.
Das Interview führte Kai Johannsen. Das vollständige Interview lesen Sie auf www.boersen-zeitung.de