Im InterviewJason Granet, BNY

„Die Fed muss wieder Liquidität zuführen“

BNY-CIO Jason Granet rechnet für 2026 angesichts fiskalischer Stimuli mit Rückenwind für die Märkte. Auch die Fed werde dem Rückgang der liquiden Reserven innerhalb des Finanzsystems gegensteuern.

„Die Fed muss wieder Liquidität zuführen“

Im Interview: Jason Granet

„Die Fed muss wieder Liquidität zuführen“

Chief Investment Officer von BNY mahnt knappe Reserven innerhalb des Finanzsystems an – Makro-Unterstützung für Rally um künstliche Intelligenz

Jason Granet rechnet für 2026 angesichts fiskalischer Stimuli mit Rückenwind für die Märkte. Auch die Federal Reserve werde Unterstützung liefern, nachdem die liquiden Reserven innerhalb des Finanzsystems auf einen kritischen Punkt zugesteuert seien. In Europa sieht der Investmentchef von BNY relative Chancen.

Herr Granet, der Finanzmarkt-Boom um künstliche Intelligenz hält nun seit drei Jahren an – doch Investoren werden skeptischer. Wie lange können sich die massiven Ausgaben der Tech-Riesen für Chips und Dateninfrastruktur noch fortsetzen?

Anleger sollten die KI-bezogenen Investitionsausgaben nicht isoliert betrachten. Denn diese finden in einem ökonomischen Umfeld statt, das wachsende Unterstützung liefert. Die Verabschiedung des Haushaltspakets von US-Präsident Donald Trump, der „Big Beautiful Bill“, im Sommer bringt ins neue Jahr hinein zwei wichtige Effekte mit sich: Fiskalische Stimuli und Steuererleichterungen für Unternehmen. Zudem senkt die Federal Reserve die Zinsen und dürfte den Märkten damit zusätzlichen Rückenwind verleihen.

Funktionieren die Ausgabenrechnungen rund um KI also nur, solange ausreichend fiskal- und geldpolitische Unterstützung vorhanden ist?

Nein, aber die technologischen und makroökonomischen Wirkkräfte auf den Markt lassen sich eben nicht ganz voneinander trennen. Wie bei jedem technologischen Investment werden sich einige der in KI gesteckten Mittel als gut investiert und andere als weniger gut angelegt herausstellen. Doch wir befinden uns in vielen Sektoren in einer frühen Phase, in der sich das ganze Potenzial erst grob abzeichnet. Ich denke, die großen Investitionsausgaben können sich fortsetzen, aber sie werden sich auf eine größere Zahl an Branchen und Unternehmen verbreitern.

BNY hat künstliche Intelligenz als erste große Bank innerhalb der eigenen Operationen eingesetzt. Welchen Beitrag kann der Finanzsektor noch zum KI-Boom liefern?

Ich kann da wirklich nur für uns selbst sprechen. Wir haben das Motto „KI für jedermann, jederzeit, für alles“ ausgerufen. Unsere unternehmenseigene KI-Plattform Eliza haben wir in die Hände aller Mitarbeiter gelegt, und wir beobachten fast eine universale Adoption. Gerade erst haben wir zudem angekündigt, dass wir die Gemini-Modelle von Google in unsere In-House-Plattform integrieren, die einerseits als Chatbot im Kundendienst agiert und es Mitarbeitern andererseits ermöglicht, Tools für spezielle Anwendungen zu entwickeln. Trotz all dieser Aktivität beginnen wir wohl erst, das volle Potenzial zu begreifen. Unser Haus mag bei der Adoption recht weit vorne stehen, das bedeutet aber auch, dass andere Banken bei der Anwendung noch viel Raum haben. Und das ist eben nur ein Teil der Wirtschaft. In fünf bis acht Jahren wird sich die Art, wie wir arbeiten, merklich anders anfühlen.

Die zirkulären Finanzierungsstrukturen innerhalb des KI-Ökosystems wecken aber Sorgen davor, dass sich eine Blase gebildet hat. Inwieweit teilen Sie diese Befürchtungen?

Da bleibe ich bei meinen Leisten. Ich bin kein Aktienanalyst, konzentriere mich nicht auf eine Auswertung der Finanzen dieser Einzelunternehmen, sondern will aus der Makro-Perspektive auf das Thema blicken. Da zeigt sich eben, dass ein gewaltiger Strom an Investitionen in den Sektor fließt. Die fiskalische und monetäre Unterstützung ist stark, und dieser Flut hebt viele Boote.

Sie haben gesagt, die Investitionsausgaben für KI verbreiteten sich künftig auf mehr Unternehmen und Sektoren. Doch Aktienindizes wie der S&P 500 und Nasdaq 100 sind extrem kopflastig. Inwieweit kann sie die Verbreiterung also auf Marktbewertungen und Mittelflüsse übersetzen?

Die Konzentration innerhalb der Indizes ist definitiv ein wichtiger Gradmesser dafür, wie breit die Stärke einer Volkswirtschaft wirklich verteilt ist. Natürlich fließen Mittel momentan vor allem einer bestimmten Gruppe an Werten zu. Doch die Unternehmen, die an der Speerspitze des KI-Booms stehen und Innovation vorantreiben, schaffen Werkzeuge, die dann auch für alle anderen verfügbar werden. BNY ist selbst ein gutes Beispiel für einen Profiteur dieser Entwicklung: Wir sind keine Top-fünf-Tech-Firma, aber wir haben Zugang zu ihren Technologien und rüsten damit unsere Mitarbeiter aus, was unsere Organisation stärkt. Über die Zeit dürfte diese Diffusion auch an den Finanzmärkten stärker sichtbar werden.

Zugleich nehmen die Sorgen um die Unabhängigkeit der Fed zu. Wie wirkt sich das auf Ihre Investitionsentscheidungen im US-Anleihemarkt aus?

Das Faszinierende ist ja, dass sich die Renditen in den mittleren Laufzeiten trotz all des Lärms um die Nachbesetzung des Fed-Vorsitzes und die Entwicklung von Arbeitsmarkt und Inflation in einer bemerkenswert engen Spanne halten. Seit Monaten liegen die Markterwartungen für die effektive Fed Funds Rate Ende 2026 zwischen 2,9 und 3,15%. Das lässt darauf schließen, dass Investoren derzeit durch die politische Debatte hindurch auf ökonomische Fundamentaldaten blicken. Die Spannung zwischen einer Eintrübung am Arbeitsmarkt und einer hartnäckigen Inflation ist real, und der jüngste Shutdown der US-Regierung hat es erschwert, Daten zu interpretieren. Und dennoch hat sich der mittelfristige Ausblick der Marktteilnehmer nicht stark bewegt. Gibt es keine großen negativen Überraschungen, dann dürften sich die Zinserwartungen weiter entlang dieses Pfads entwickeln.

Im Gegensatz zur Fed will die Bank of Japan die Zinsen erhöhen. Japanische Investoren sind aber unter den größten Gläubigern der Treasury. Was bedeutet die Diffusion in der globalen Geldpolitik mit Blick auf Kapitalflüsse?

Die Geldpolitik in den USA und Japan ist schon häufiger auseinander gelaufen, das ist nicht so ungewöhnlich. Grundsätzlich sollte die geldpolitische Lockerung in den USA Unterstützung für die Märkte liefern. Reserven innerhalb des Finanzsystems steuern auf ein Level, auf dem die Fed wieder Liquidität zuführen muss. Dass der Übernachtzins Sofr mitunter über der Zielspanne für die Federal Funds Rate liegt, lässt schon auf eine gewisse Knappheit schließen. Die Fed hat bereits den Ankauf von Staatsanleihen im Nettovolumen von 40 Mrd. Dollar pro Monat aufgenommen, um die Geldmarktkonditionen zu managen. Wir erhoffen uns mit Blick ins neue Jahr noch mehr Aufschluss über die Strategie der Notenbank.

Anleihekäufe durch Notenbanken könnten sicher für Entspannung am Treasury-Markt sorgen...

Die signifikanten fiskalischen Zwänge, die große Nationalstaaten wie die USA, Japan, Großbritannien, Deutschland und Frankreich zu spüren bekommen, sind bemerkenswert. Es sind also mehr qualitativ hochwertige Staatsanleihen auf dem Markt, für die es infolge des Bilanzabbaus der Notenbanken weniger Nachfrage gibt. Im Zusammenspiel mit der geldpolitischen Entwicklung ergibt sich daraus eine global konsistente Entwicklung: Die Zinsen am langen Ende der Kurve steigen schneller als die am kurzen Ende. Ich gehe davon aus, dass sich dies fortsetzt.

Treasuries spielen eine zentrale Rolle im globalen Finanzmarkt. Doch politische Streitigkeiten um Budgets und die Schuldenobergrenze werfen wiederholt ihren Schatten auf das Staatsanleihesegment. Wie vertrauenswürdig ist der Emittent USA noch?

Ein großer Teil der globalen Investment-Flüsse berührt BNY, rund 20% der weltweit investierbaren Assets laufen zu unterschiedlichen Zeitpunkten über unsere Plattform. Durch unser iFlow-Tool können wir die aggregierten Mittelflüsse über die Zeit auswerten – und die Daten zeigen eine anhaltend starke Teilnahme am US-Markt, ungeachtet der politischen Schlagzeilen. Die Vereinigten Staaten stellen weiterhin die globale Reservewährung, schon allein deshalb verabschieden sich die Investoren nicht aus dem Markt. Natürlich kann sich die Bepreisung der Anleihen aber ändern. Angesichts der geldpolitischen und fiskalischen Entwicklungen verlangen Investoren höhere Laufzeitenprämien.

Wie dürfte sich das auf den Markt für Unternehmensanleihen auswirken?

Die Spreads am Credit-Markt sind eng und die Nachfrage ist im zu Ende gehenden Jahr stark ausgefallen. Ich bin zuversichtlich, dass dieser starke Appetit anhält und die Kreditbedingungen robust bleiben.

Drohen die KI-Hyperscaler mit ihrem massiv steigenden Finanzierungsbedarf nicht den Markt zu überfordern?

Bis jetzt ist es für diese Unternehmen überhaupt kein Problem, ihre Anleihen am Markt zu platzieren. Es handelt sich hier generell ja um Emittenten hoher Bonität. Auch wenn diese ihre Emissionen ausgeweitet haben, halten sich die Spreads doch im engen Rahmen.

Inwieweit sind Sie besorgt über die Verschiebung von den öffentlichen in die Private Markets und den resultierenden Verlust an Transparenz?

Mit unserem Investmentportfolio nehmen wir nicht an den Private Markets teil, aber ich kann aus der Makro-Perspektive darüber sprechen. Ich denke in Bezug auf den Credit-Markt generell nicht in Kategorien wie Public versus Private – mich interessiert die Kreditqualität. Wie sehen die Bilanzen von Schuldnern aus, werden Investoren und Gläubiger adäquat für die Risiken kompensiert, die sie eingehen? Das sind die entscheidenden Fragen. Beide Märkte sind stark gewachsen, und das ist grundsätzlich erst einmal gut. Ob sie gute Investments bereithalten, hängt nicht von irgendwelchen Labels ab, sondern von den Fundamentaldaten.

Zuletzt haben allerdings spektakuläre Insolvenzen wie der Kollaps von First Brands für Unruhe gesorgt. Sehen Sie strukturelle Probleme im Credit-Markt?

An den Märkten wird es immer Turbulenzen geben. Dass bestimmte Unternehmen mit ihren Geschäftsmodellen scheitern, ist nicht neu. Genau deshalb ist es aber so wichtig, die Cashflows und Schuldentragfähigkeit von Unternehmen sowie das konjunkturelle Umfeld genau im Blick zu behalten. Aktuell sehen die Fundamentaldaten, darunter auch eine trotz hartnäckiger Inflation vergleichsweise robuste Verbraucherstimmung, positiv aus. Einzelne Credit-Events signalisieren aus meiner Sicht keine strukturelle Verschiebung.

Die Musik an den Märkten spielt weiterhin in den USA. Kann Europa für internationale Investoren künftig wieder attraktiver werden?

Es gibt immer Gelegenheiten, mit Investitionen in Staatsanleihe-Emittenten hoher Bonität relative Wertschöpfung zu erzielen. Es ist richtig, dass die USA heute Technologieführer sind, aber schauen Sie sich nur die extrem starke Performance des japanischen Marktes im vergangenen Jahr an. Geldpolitische Veränderungen können schnell Einfluss auf den Relative Value von Investments entwickeln. Wenn die EZB 2026 die Zinsen anhebt, wird das die Bewertungen über verschiedene Märkte hinweg verändern. Mit Blick auf unser europäisches Portfolio werden wir diese Entwicklungen sehr eng verfolgen.

Das Interview führte Alex Wehnert.