Blockchain

Die Tokenisierung als Chance für die Finanzmärkte

Das Entstehen attraktiver Sekundärmärkte für Security Tokens ist kein Selbstläufer. Die grundlegende Veränderung der Finanzwelt verspricht eine spannende Reise zu werden.

Die Tokenisierung als Chance für die Finanzmärkte

Wartet die Welt wirklich auf die Blockchain, um Wertpapierurkunden durch sogenannte Security Tokens zu ersetzen? Und wird die Tokenisierung von Assets den Finanzmarkt tatsächlich revolutionieren? Matthias Voelkel, COO der Börse Stuttgart, scheint dies zu bezweifeln, erklärte er doch jüngst in einem Interview mit der Börsen-Zeitung, dass die Pläne, BSDEX zu einem führenden Marktplatz für Security Tokens zu erweitern und umzugestalten, momentan nicht aktiv verfolgt würden.

Noch ist der Markt in der Tat sehr überschaubar, speziell im Vergleich zum über 1 Bill. Dollar großen Markt für Kryptowährungen. Doch die Marktkapitalisierung aller Security Tokens wächst rasant, hat sich seit Jahresanfang mehr als verdoppelt und lag im August erstmals bei über 1 Mrd. Dollar. Anders als beim Markt für Kryptowährungen ist dieses Wachstum nicht primär auf Kursgewinne zurückzuführen, sondern auf die wachsende Zahl auf der Blockchain abgebildeter Vermögenswerte.

Klare Regulatorik von Vorteil

Einer der Faktoren, die eine Entwicklung hierzulande bisher ausgebremst haben, war die unklare Gesetzgebung. Doch seit Juni 2021 besteht kein Zweifel mehr daran, dass Emittenten Wertpapiere auf der Blockchain begeben dürfen, ohne sich Sorgen über langwierige Sondergenehmigungen der Aufsichtsbehörde machen zu müssen. Mit dem vom Bundestag im Juni verabschiedeten Gesetz für elektronische Wertpapiere (eWpG) wurde ein gültiger Rechtsrahmen für Emissionen auf der Blockchain und ein Standard und Referenzpunkt für ähnliche Gesetzgebungen in anderen (europäischen) Jurisdiktionen ge­schaffen.

Die Emission auf der Blockchain wird zunächst für Fremdkapital (Schuldverschreibungen) ermöglicht, soll aber schon bald auf Anteilscheine für Investmentfonds ausgedehnt werden. Die Bundesministerien Justiz und Finanzen haben einen entsprechenden Entwurf einer Verordnung über Kryptofondsanteile (KryptofondsFAV) bereits vorgelegt.

Das Gesetz über elektronische Wertpapiere stärkt zudem die Rolle der Blockchain im Zusammenhang mit der Administration von Wertpapieren. Ein kryptografisches Register wie die Blockchain wird vom Gesetzgeber ausdrücklich als Möglichkeit etabliert, um Inhaber, Transaktionen oder Verfügungsbeschränkungen in Bezug auf die Wertpapiere zu dokumentieren und insoweit als Register zu fungieren. Dadurch kann die Administration für den Emittenten deutlich erleichtert beziehungsweise vergünstigt werden, erfüllt doch die Blockchain die technischen Anforderungen an die Führung des Kryptowertpapierregisters. Weitere Vorteile sind niedrigere Post-Trade-Kosten (Settlement und Verwahrung), die Handelbarkeit der Tokens sowie Transparenz und Einsehbarkeit des Registers für Dritte.

Die Schuldverschreibung mit festem Kupon als relativ einfach strukturiertes Wertpapier nimmt hierbei eine Sonderstellung ein und gilt als Einstiegswertpapier in die Welt der Tokenisierung. Sie wurde bereits in zahlreichen Pilotprojekten rein digital emittiert, unter anderem auch auf einer Blockchain beziehungsweise einem Kryptoregister. Die Bloxxon selbst hat Anfang des Jahres 2020 Deutschlands ersten SME-Bond (SME steht für Small and Medium Enterprise) auf der Blockchain realisiert und den Emittenten dabei unterstützt, In­vestments in Höhe von 2,3 Mill. Euro einzusammeln.

Dass es nicht bei Pilotprojekten bleibt, sondern mehr und mehr Finanzierungsplattformen auf die Tokenisierungslösung der Bloxxon umstellen – teilweise, ohne dies dem Endkunden gegenüber überhaupt anzupreisen – zeigt uns, dass es sich nicht mehr um das Ausprobieren eines Hypes handelt, sondern um die strategische Entscheidung für eine rein digitale Zukunft. Entsprechend rechnen wir damit, dass die Nachfrage nach tokenisierten Schuldverschreibungen im vierten Quartal 2021 sowie Anfang 2022 weiter steigen wird.

Insgesamt illustriert die Innovation in der Emissionsbranche einen interessanten Trend: Die Tokenisierung, wohlgemerkt auf einer öffentlichen, für alle zugänglichen und einsehbaren Blockchain, ist ein Teilprozess eines größeren Transformationsprozesses, nämlich der Digitalisierung der Finanzmärkte. Viele Experten rechnen damit, dass uns dieser Prozess über die 2020er Jahre und darüber hinaus begleiten wird – demnach ist es nicht mehr eine Frage, ob Apple-, Nvidia- und Daimler-Shares auf der Blockchain ge­handelt und übertragen werden, sondern nur wann. Je mehr einzelne Projekte erfolgreich umgesetzt werden, desto größer sind Market Cap und die damit einhergehenden „Netzwerkeffekte“ der Tokenisierung.

Diese Netzwerkeffekte bestehen konkret darin, dass Aktivitäten wie Handel und Leihgeschäfte durch die Anzahl und Vielfalt der handelbaren Instrumente befeuert werden. Somit steigt mit dem Emissionsvolumen und der Anzahl der emittierten Tokens zwangsläufig das Potenzial für Sekundärmärkte mit tiefer Liquidität, auf denen die neuen Tokens sieben Tage 24 Stunden lang gehandelt werden können. Dass wir nur am Anfang einer möglicherweise längeren Reise hin zu effizienten und liquiden Sekundärmärkten stehen und viele Arten von Wertpapieren (zum Beispiel Fondsanteilscheine, Aktien und Anleihen mit längerer Laufzeit) bisher nur ansatzweise vom Trend zur Tokenisierung erfasst sind, sollte uns optimistisch stimmen, dass der Trend nachhaltig ist.

Vielfältige Chancen

Betrachtet man die vielfältigen Chancen der Tokenisierung, ist die mögliche Interaktion zwischen Security- oder Wertpapiertokens auf der einen und Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum, Cardano etc. auf der anderen Seite eine der spannendsten Entwicklungen. Je weiter der Prozess voranschreitet, je einfacher ein Token von einem Blockchain-Protokoll auf ein anderes übertragen werden kann, desto größer ist das Potenzial einer Interaktion zwischen Kryptowährungen einerseits und digitalen Wertpapieren andererseits.

So könnte man sich etwa einen hybriden Stablecoin vorstellen, also einen Token, dessen Wechselkurs 1:1 an Dollar, Euro oder Yen gebunden ist und dessen Währungsreserve teils aus Schuldverschreibungen großer, vertrauenswürdiger Unternehmen besteht (etwa aus dem Dax) und teils aus Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethe­reum. Ebenso könnten Schuldverschreibungen eine Rolle in den Decentralized-Finance-Märkten spielen. DeFi-Märkte sind Applikationen auf einer Blockchain (häufig Ethereum), die einfachen und unbürokratischen Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Krediten, Sparplänen oder Zinserträgen versprechen, ohne eine zentrale In­stanz oder Aufsicht erforderlich zu machen.

So könnte sich in ein paar Jahren ein Konsument direkt Euro auf einem DeFi-Markt leihen und im Gegenzug dem Vertrag seine Schuldverschreibungstokens als Sicherheiten über-lassen. Die Besonderheit wäre, dass auf diesen Märkten erstmals ausreichend annähernd risikofreie Finanzinstrumente zur Verfügung stünden, ein Novum für ein Marktumfeld, das hohe Risikoaufschläge gewohnt ist.

Das Entstehen attraktiver Sekundärmärkte für Security Tokens hängt also von zahlreichen Faktoren ab: vom Vorhandensein moderner Handelsplätze mit ausreichender Liquidität, die an die wichtigsten Blockchain-Protokolle und Krypto-Börsen angebunden sind, von der Nachfrage nach reibungslosen und kosteneffizienten Tausch- und Leihgeschäften mit Security Tokens, von der Umsetzung relevanter Tokenisierungsprojekte in global führenden Unternehmen, von einer innovationsfreundlichen Gesetzgebung und Verwaltungspraxis und von der Ausdehnung der Gesetzgebung auf andere Wertpapier-Arten. Die Veränderung der Finanzwelt durch Tokenisierung hat zwar noch Hürden vor sich, aber die Reise bleibt spannend.

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