„Die Zweifel sind wie weggeblasen“
Im Interview: Christian Pecher
„Die Zweifel sind wie weggeblasen“
J.P. Morgan-Stratege sieht starke KI-Zahlen – Tech-Titel ziehen wieder an – Big Tech-Unternehmen im Vorteil – Konsolidierung könnte erst später eintreten
Der DeepSeek-Schock hat die Rally bei KI und Tech-Werten zunächst ausgebremst. Titel wie Microsoft oder Meta spürten zuletzt aber wieder Rückenwind. Aktienstratege Christian Pecher von J.P. Morgan AM erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, warum das so ist und wie es nun weitergeht.
Herr Pecher, Tech und KI-Werte sind schwach ins Jahr gestartet. Inzwischen liegen mit Meta, Microsoft und Nvidia aber zumindest drei der Magnificent-Seven-Werte wieder besser im Rennen als der S&P 500. Ist das eine Renaissance des KI-Hypes?
Ende Januar, Anfang Februar, nach dem DeepSeek-Schock, haben sich viele Investoren noch einmal mit den zugrundeliegenden Fundamentaldaten und Wachstumstreibern des Sektors neu vertraut gemacht und dabei den Glauben an das Wachstumspotenzial der Technologie wieder etwas zurückgewonnen. Wir haben aber tatsächlich auch eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse gesehen. Microsoft hat beispielsweise starke KI-bezogene Erträge in den jüngsten Quartalsergebnissen gezeigt, nachdem Anfang des Jahres noch Zweifel an den hohen Investitionen aufgekommen waren. Diese sind nach der Veröffentlichung der letzten Ergebnisse wie weggeblasen. Seit dem Liberation Day Anfang April haben wir hier wieder relativ gute Entwicklungen gesehen.
Dagegen ist Apple zuletzt etwas zurückgefallen, oder?
Apple hat einerseits das Potenzial, ein richtig großer KI-Gewinner zu werden, weil das Unternehmen eine wirklich große Userbase hat und damit die Möglichkeit, diese durch ihre Services und Apps zu bedienen. Vor allem wenn man sich die agentische KI anschaut, also „autonome Agenten“, die für den Benutzer automatisch Transaktionen tätigen, etwa Reisebuchungen. Diese ließen sich sehr gut in bestehende Anwendungen wie Siri integrieren, um die User-Bindung zum Smartphone noch zu verstärken. Andererseits ist die Firma sehr konservativ, was neue Applikationen angeht. Sie wollen nichts machen, was nicht Apple-spezifisch wirkt. Apple hat ja eine ganz eigene Kultur und ich glaube, nicht alles, was heute auf dem Markt ist, ist mit dieser Kultur vereinbar. Deswegen erscheint Apple etwas langsam, was die Anwendung von KI, Large Language Models (LLMs) und ähnliche Technologien angeht, auch wenn dies bereits in vielen Aspekten der Produkte integriert ist, etwa beim Batteriemanagement oder den Maps. Apple ist trotzdem immer noch relativ hoch bewertet vom Markt und muss viel tun, um diese Erwartungen zu erfüllen.
Ich habe in einer J.P.-Morgan-Analyse gelesen, dass anfängliche Gewinner im Laufe der KI-Entwicklung auch zu Verlierern werden könnten und heute noch kleine Nischenanbieter zu späteren Gewinnen. Auf welche KI-Titel setzen Sie aktuell?
Die langfristigen Gewinner stehen mit Sicherheit noch nicht fest. Aber es deutet sich schon an, dass die größeren Firmen bereits heute mit KI sehr gute Renditen erwirtschaften. Die Grundlage dafür ist vereinfacht gesagt, dass diese Firmen eine sehr große Nutzerbasis haben. Aufgrund der wirklich erheblichen Kapitalinvestitionsanforderungen bei KI braucht man diese große Userbasis, um die Kosten besser amortisieren zu können. Diese Firmen können durch kleine KI-getriebene Verbesserungen des zugrundeliegenden Produkts dem Benutzer einen größeren Mehrwert bieten und das auch monetarisieren.
Und kleinere Firmen?
Von kleineren Firmen, die das erfolgreich gemacht haben, haben wir bisher relativ wenig gesehen. Das eine Gegenbeispiel ist DeepSeek, wo eine relativ kleine Firma gezielt den Markt durcheinanderwirbeln konnte. Aber letztendlich basiert halt Vieles bei der Technologie von DeepSeek auf der Entwicklung von OpenAI und anderen Frontier LLM-Modellen. Und das Produkt ist nicht so skalierbar wie verschiedene andere. Die größeren Firmen haben dagegen bewiesen, dass sie allein durch ihre Größe eher dazu gewinnen als andere Firmen.
Ein anderes Beispiel sind die Halbleiterhersteller, Firmen wie Broadcom oder Marvell. Aber auch das sind ja keine kleinen Startups mehr, sondern heute bereits große Firmen. Ich glaube, dass wegen der riesigen Investitionen bei einer neuen Technologie nur sehr Wenige einer kleinen Firma vertrauen, bis sie sich etabliert hat. Da geht es schließlich um ein Investitionsvolumen von zehn, 20 oder 50 Mrd. US-Dollar im Jahr. Trotzdem werden wir mit Sicherheit noch Überraschungen in dem Markt sehen.
War das Aufkommen von DeepSeek so ein Moment, in dem sich Anleger die Frage gestellt haben, ob die großen US-Firmen überbewertet sind? Und wie stellt sich die Lage inzwischen dar?
Dieses Erlebnis hat wirklich Zweifel daran geweckt, ob die riesigen Investitionen in diese Rechner oder die Infrastruktur auch Ergebnisse erzielen werden. Das sind bei Unternehmen wie Meta, Microsoft oder Amazon netto ja 50, 60 Mrd. Dollar, die dort im Jahr investiert werden. Und dann ist da plötzlich ein kleines chinesisches Unternehmen, das praktisch ein ähnliches oder sogar besseres Ergebnis mit nur einem Bruchteil des Budgets erzielen kann. Das war eindeutig eine Überraschung, und es hat eine Weile gedauert, bis Analysten, Investoren und Anleger die Situation neu bewertet hatten. Aber DeepSeek hat auch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der KI geleistet und das Wachstum vielleicht sogar noch beschleunigt.
Wie meinen Sie das?
Die Erkenntnis, dass kleinere und günstigere Modelle für spezifische Anwendungsfälle entwickelt werden können, hat die Entwicklung vom reinen Modelltraining hin zur praktischen Nutzung von KI stark vorangetrieben. Dadurch hat der Markt für KI-Anwendungen deutlich an Dynamik gewonnen. Das war wie ein Katalysator für noch schnelleres Wachstum in diesem Bereich. Sinkende Technologiekosten führen zu einer schnelleren Verbreitung und Nutzung von Anwendungen. Was ursprünglich als Übergangsphase galt, erweist sich nun als Wachstumstreiber. Infolgedessen sind die Bewertungen der Branche wieder nach oben gegangen, und es herrscht mehr Optimismus, dass eine Konsolidierungsphase der KI-Industrie, die mit Sicherheit kommen wird, später als zunächst erwartet eintreten wird – vielleicht erst in zwei bis drei Jahren.
Nvidia konnte mit starken Zahlen die Märkte einmal mehr überzeugen. Waren die Anleger hier zuletzt etwas zu pessimistisch?
Nvidia hat in den letzten drei Jahren 360% zugelegt und dabei fast jedes Quartal die Erwartungen der Analysten übertroffen. Natürlich ändern sich da die Erwartungen und passen sich an. Ich glaube, viele erwarten, dass die Industrie nach dieser rapiden Wachstumsphase der letzten zwei, drei Jahre in eine Konsolidierungsphase kommen wird. Die ganzen Investitionen in die Infrastruktur müssen ja auch irgendwann mal verdaut werden. Und dann fangen die Firmen mit der Optimierung der Systeme an. Wann das genau passieren wird, ist schwer vorherzusagen. Aber je länger das nicht stattfindet, umso eher werden die Zahlen von Nvidia etwas pessimistischer gesehen.
Stromversorger, Computerspeicher, praktische Softwareanwendungen. Für welche Bereiche erwarten Sie in nächster Zeit Rückenwind durch KI?
Noch viel Rückenwind sehen wir auf der Stromversorger-Seite, besonders in den USA. Wir haben dort eine Industrie, bei der die Nachfrage in den letzten zwei Dekaden durch bessere Energieeffizienz eigentlich kontinuierlich nach unten gegangen ist. Mit der KI hat sich dieser Trend umgekehrt und wir sehen praktisch jedes Jahr 1, 2 oder 3% Wachstum beim Thema Energie.
Und wo noch?
Das Phänomen der starken Investitionen betrifft nicht nur KI-Modelle, sondern auch Rechenzentren. In diesen Sektor fließt zunehmend Kapital aus dem Private-Equity-Bereich. Viele US-Bundesstaaten bieten attraktive Standortbedingungen wie günstige Energie und gute Vernetzung, um Tech-Unternehmen und zukunftsträchtige Arbeitsplätze anzulocken. Dabei entstehen jedoch auch Überkapazitäten, denn der Bedarf verändert sich mit dem Übergang von der Trainings- zur Anwendungsphase von KI. Während beim Training der Standort der Rechenzentren kaum eine Rolle spielt, ist bei der Anwendung eine geringe Latenz entscheidend. Deshalb müssen Rechenzentren näher an großen Internetknoten etwa in Kalifornien, Texas oder bei Atlanta gebaut werden.
Daneben findet ein struktureller Wandel in der Speicherindustrie statt. Der Fokus verschiebt sich von Commodity-DRAM hin zu High-Bandwidth Memory, der insbesondere für spezialisierte Anwendungen wie Rechenzentren genutzt wird. Nur Hynix und Micron sind aktuell stark in diesem Segment aktiv und bis zu 18 Monate voll ausgebucht. Samsung versucht hier zu punkten, ist aber noch im Rückstand. Trotz der positiven Entwicklung sind viele Speicherfirmen noch günstig bewertet.
Was ist mit Festplatten?
In den letzten Jahren gab es im PC-Bereich einen Rückgang von Festplatten zugunsten von Flash-Speichern (SSDs). Western Digital und Seagate erleben nun eine gewisse Renaissance, weil Festplatten besonders im Serverbereich die kostengünstigste Lösung für langfristige Datenspeicherung bleiben. Der Bedarf an Speicherplatz in Rechenzentren wächst stark. Die Aktienkurse dieser Unternehmen spiegeln das teilweise schon wider, aber im Vergleich zum Tech-Sektor insgesamt sind sie noch günstig bewertet.
Wie sieht es bei Software aus?
Im Softwarebereich steht KI noch am Anfang. Die Fortschritte konzentrieren sich bisher auf Effizienzsteigerung bei der Softwareentwicklung. Größere Anwendungen auf der User-Seite sind bislang noch nicht in relevantem Umfang implementiert. In der Praxis helfen KI-Modelle zwar bereits bei Recherche und Prozessoptimierung, ersetzen aber noch keine Analysten oder Portfolio-Manager. Auf der Applikationsseite warten wir also noch auf den Durchbruch. Da gibt es auch noch Zweifel, wie das Businessmodell genau aussieht.
Sehen Sie auch in Europa Tech-Werte, die beim Konzert der Großen mitspielen können?
In Europa gibt es ausgezeichnete Technologieunternehmen, die im globalen Wettbewerb mitspielen können und die extrem wichtig für die Infrastruktur sind. Halbleiter-Equipment-Hersteller wie ASML oder Softwareunternehmen wie SAP. Auch Industriekonzerne wie Siemens nutzen KI zunehmend zur Automatisierung und haben durch Akquisitionen im Softwarebereich aufgeholt. Was Europa jedoch fehlt, sind die großen Plattformunternehmen mit massiven Nutzerzahlen, wie etwa Tencent oder Alibaba, die hohe KI-Investitionen amortisieren können. Dennoch gibt es in Bereichen wie Finanzdienstleistungen und Versicherungen viel Potenzial für KI-gestützte Effizienzgewinne. Unternehmen wie Deutsche Börse, Munich Re oder Allianz sind da sicher gut im Rennen. Ein Problem ist, dass viele europäische Talente von US-Firmen oder Universitäten abgeworben werden, weil sie dort bessere Bedingungen zur Gründung von KI-Unternehmen vorfinden und bessere Möglichkeiten, um Geld zu verdienen. Damit ist schwer zu konkurrieren.
Welche Unternehmen erzielen denn bereits heute oder in naher Zukunft signifikante Gewinne mit KI?
Facebook nutzt KI zur Optimierung seiner Empfehlungsalgorithmen, was zu einer längeren Nutzung und höherer Werbewirkung führt. Das hat sich in den letzten zwölf Monaten schon in steigenden Werbeumsätzen gezeigt, denn der Wert der Werbeplattform, die Meta den Kunden anbieten kann, hat sich durch KI gesteigert. Nvidia verdient natürlich stark durch den Verkauf von KI-Hardware. Microsoft, Amazon und Google profitieren über ihre Cloud-Infrastrukturangebote, aber da diese KI-Modelle anfangs hohe Investitionen erfordern, müssen die direkten Gewinne aus den Investitionen noch weiter wachsen. Es ist aber schon zu erkennen, dass die KI-Investitionen diesen Firmen künftig eine höhere Rendite bringen, sich also rechnen. Daneben arbeiten Unternehmen wie Salesforce, ServiceNow und auch Apple an Softwarelösungen mit KI-Agents. Ebenfalls eine spannende Sache, aber hier ist das Geschäftsmodell noch nicht richtig etabliert.
Zur Person: Christian Pecher, Managing Director, ist als Portfolio Manager in der International Equity Group von J.P. Morgan Asset Management tätig und Teil des Londoner Teams für globale Aktien. Er arbeitet bereits seit 1988 für das Unternehmen und war zuvor als Leiter des asiatischen Research-Teams in Tokio stationiert.
Das Interview führte Tobias Möllers. In voller Länge lesen Sie das Interview unter www.boersen-zeitung.de.