Uwe Rathausky

„Ende der Zinserhöhungen könnte 2023 erreicht sein“

Uwe Rathausky hält für möglich, dass das Ende der Leitzinserhöhungen im nächsten Jahr erreicht sein könnte. Der Gané-Vorstand bevorzugt Aktien von Unternehmen mit hoher Rohertragsmarge.

„Ende der Zinserhöhungen könnte 2023 erreicht sein“

Christopher Kalbhenn.

Herr Rathausky, wie sehen Ihre Erwartungen für die Inflations- und Zinsentwicklung aus?

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Notenbanken ihre Zinserhöhungsschritte mit einer sehr robusten und hartnäckigen Wortwahl versehen, was die Inflation betrifft. Dies ist notwendig, damit die Zinsschritte auch eine Wirkung im Markt erzielen können. Umgekehrt können die Notenbanken nach einigen resoluten Zinsschritten zu einer etwas wohlgefälligeren Tonart zurückkehren. Genau das ist in den letzten Wochen geschehen. Ein Großteil der Inflation ist nicht von der Nachfrageseite, sondern von der Verknappung des Angebots beeinflusst. Das macht es den Notenbanken zwar schwieriger, auf die Inflation einzuwirken, aber es sind bereits Entspannungstendenzen zu erkennen. Die Lieferketten stabilisieren sich, die Frachtraten sinken und die Rohstoffpreise gehen vielfach zurück. Ein Ende der Zinserhöhungen könnte im Verlauf des nächsten Jahres erreicht sein.

Wie weit kann es Ihrer Einschätzung nach noch gehen mit den Zinsen?

Zumindest in den USA wird schon von „Peak Inflation“ gesprochen. In Europa signalisieren die industriellen Vorerwerbspreise dagegen noch eine weitere Konsumenteninflation. Un­abhängig davon sind ausufernde Zinsanstiege nicht zu erwarten, weder in den USA noch in Europa. Einige südeuropäische Staaten können sich ein hohes Zinsniveau nicht leisten, weswegen die EZB bereits erklärte, nötigenfalls einzugreifen, sollten sich die Risikoaufschläge zu stark ausweiten. Damit hat sie im Grunde gesagt, dass sie bereit wäre, italienische Staatsanleihen zu kaufen, sollte das Renditeniveau zu weit steigen. Ein Leitzinsniveau von 5% wird es in Europa unseres Erachtens nicht geben. Und auch die USA müssen Vorsicht walten lassen. Zahl­reiche Schwellenländer sind sehr stark in US-Dollar verschuldet. Die USA werden keine neuen Staatsschuldenkrisen heraufbeschwören wollen.

Wie hoch könnten die Rendi­teniveaus von Staatsanleihen steigen?

Das ist schwer zu prognostizieren. Ihre Entwicklung hängt nicht nur von den Leitzinsen ab, sondern auch von Inflationserwartungen und dem Risikoappetit oder der Risikoaversion der Marktteilnehmer. Das können und wollen wir nicht prognostizieren. Wichtiger ist aus unserer Sicht etwas anderes. Die Bank für Inter­nationalen Zahlungsausgleich hat bereits im Jahr 2018 davor gewarnt, dass es weltweit einen hohen Anteil, nämlich fast 20%, sogenannter Zombie-Unternehmen gibt. Diese können ihre Zinsaufwendungen nicht durch operative Erträge erwirtschaften. Darin liegt ein großes Risiko. In den zurückliegenden Jahren profitierten solche Unternehmen von niedrigen Zinsen und dem Renditehunger der Kapitalmärkte in einem negativen Zinsumfeld. Jetzt trübt sich die Wirtschaft ein und die Quellen der Refinanzierung beginnen für sie zu versiegen. Die Ausfälle werden zunehmen, so dass es zu erheblichen Verwerfungen kommen kann. Daraus ergeben sich aber Chancen.

Worin bestehen diese Chancen?

Wir halten Staatsanleihen als Liquiditätsersatz, um in Unternehmensanleihen zu investieren, wenn unsere Renditeerwartungen erfüllt werden. Zuletzt haben wir zum Beispiel in eine bis zum Jahr 2027 laufende Anleihe der Lufthansa investiert. Die Rendite bis zur Fälligkeit beträgt 7% pro Jahr. Das Geschäftsmodell der Lufthansa ist für uns nicht gut genug, um in die Aktie zu investieren. Aber mit der jüngsten Kapitalerhöhung und der Rückführung der Staatsbeteiligung hat sich die Position der Gläubiger sehr gefestigt. Die Rendite liegt rund 500 Basispunkte über der Verzinsung einer deutschen Staatsanleihe mit gleicher Laufzeit. Das halten wir für sehr attraktiv.

Wie offen und liquide ist der Anleihemarkt?

Einige Emittenten haben in den letzten Wochen ihre Anleiheplatzierungen abgesagt, weil der Markt nicht mehr aufnahmebereit war. Teilweise müssen Emittenten deutlich höhere Zinsen bieten, als es ihre ausstehenden Anleihen auf der Zinsstrukturkurve signalisieren. Das zeigt, dass der Anleihemarkt derzeit etwas angeschlagen und fragil ist. Generell ist die Liquidität im Markt nicht die beste. Die EZB wird darauf sicherlich ein Auge haben, wenn es um weitere Zinsschritte geht.

Ist die jüngste Erholung der Aktienmärkte Ihrer Einschätzung nach eine Bärenmarkt-Rally? Oder haben wir das Tief bereits gesehen?

Die Antwort wäre ein Blick in die Glaskugel. Das kann man nicht prognostizieren angesichts der geopolitischen Unsicherheiten, zum Beispiel in der Ukraine oder in Taiwan. Ein Ausfall der Chipproduktion in ­Taiwan würde jedenfalls eine veritable Weltwirtschaftskrise zur Folge haben. Das wissen aber alle Parteien, weswegen eine weitere Eskalation nicht zu erwarten ist. Wir schauen lieber auf die einzelnen Unternehmen, ob sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen für den Konsumenten an Relevanz gewinnen, ob sie ihre Marktanteile ausbauen können oder ob sie über Preissetzungsmacht verfügen und Inflation überwälzen können. Für starke Unternehmen sind wirtschaftlich schwierige Zeiten gar nicht schlecht, weil sie sich in solchen Phasen einen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb erarbeiten können.

Auf welche Merkmale oder Kennzeichen achten Sie besonders?

Für uns ist zum Beispiel die Rohertragsmarge in Verbindung mit einer hohen Kapitalrentabilität wichtig. Die Rohertragsmarge ist ein guter Indikator für Preissetzungsmacht und die Qualität des Geschäftsmodells. Je höher, desto besser. Im Durchschnitt des MSCI-Welt-Index oder des Dax liegt sie bei ungefähr 40%. In unserem Portfolio haben wir teilweise Unternehmen mit Rohertragsmargen von 80% und mehr.

Können Sie Beispiele nennen?

Novo Nordisk ist ein gutes Beispiel. Der Weltmarktführer in der Medikation von Diabetes und Fettleibigkeit hat eine Marge von 84%. Beim Naturkosmetikhersteller L’Occitane beträgt sie 82%. Diese Unternehmen haben eine gewaltige Innenfinanzierungskraft. Und sie können die Teuerung leicht überwälzen. L’Occitane hat in diesem Jahr gleich zweimal die Preise um 5% angehoben, ohne an Kundennachfrage einzubüßen. Weitere Beispiele sind Microsoft und Apple. Die Abonnementpreise steigen und die Kunden nehmen es hin. Nicht die Inflation ist für diese Unternehmen der wichtigste Faktor. Schwerer wiegt zum Beispiel die Zero-Covid-Strategie in China. Der Anleger sollte sich aber von temporären Krisen und auch von Zinserhöhungsfragen nicht verrückt machen lassen. Für die besten Unternehmen der Welt spielt beides keine entscheidende Rolle.

Von welchen Unternehmen sehen Sie ab?

Problematisch sind energie- und kapitalintensive Unternehmen, noch dazu, wenn sie ihre Produktion in Europa haben. Wir meiden Aktien von Fluggesellschaften und Automobilherstellern, auch Unternehmen aus der chemischen oder der Schwerindustrie. Im Grunde alle anlagenintensiven Geschäftsmodelle, die viel Geld investieren müssen, nur um den Status quo aufrechtzuerhalten. Und wir meiden Unternehmen, die mit den Strukturumbrüchen und der Digitalisierung nur schwer Schritt halten können. Das gilt zum Beispiel für viele Banken. Apple hat mittlerweile sämtliche Lizenzen erworben, um künftig umfänglich Zahlungs- und Bankdienstleistungen anbieten zu können. Ich prognostiziere, wenn wir in fünf Jahren auf die Bankenbranche schauen, dann werden traditionelle Banken viele Marktanteile an Apple und an andere Unternehmen aus der Plattformökonomie verloren haben.

Das Interview führte