Philipp Sandner

„Ether erhält eine deflationärere Natur“

Der Kryptomarkt befindet sich inmitten technologischer Umbrüche. Gerade Ether gilt als Profiteur umfangreicher Updates – Blockchain-Forscher Philipp Sandner glaubt aber weiter an Marktprimus Bitcoin.

„Ether erhält eine deflationärere Natur“

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Der Kryptomarkt befindet sich in einer Phase tiefgreifender technologischer Umbrüche. Das Ethereum-Netzwerk etwa, das der zweitgrößten Cyberdevise Ether zugrunde liegt, hat im August eines der größten Updates seiner Geschichte erfahren. In dessen Zuge haben die Entwickler die Gebührenstruktur auf der Blockchain angepasst. „Die Transaktionskosten auf Ethereum sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich stark gestiegen“, sagt Philipp Sandner, Leiter des Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance & Management. „Grundsätzlich war dies erstmal ein Beweis dafür, dass das System tatsächlich in hoher Frequenz genutzt wird. Allerdings sind die Entwickler davon ausgegangen, dass die Adaption schneller voranschreiten und Ethereum effizienter werden dürfte, wenn die Gebühren sinken“, führt Sandner aus.

Ether wird deflationärer

Wer eine Transaktion über Ethereum abwickeln wollte, musste für die Bearbeitung bisher eine sogenannte variable „Gas Fee“ in Ether an die auf der Blockchain tätigen Miner entrichten. Diese wurde nun durch eine Basisgebühr ersetzt, zudem verbrennt das Netzwerk einen Teil der an die Miner entrichteten Ether-Einheiten. „Die Cyberdevise erhält dadurch eine deflationärere Natur als zuvor – aufgrund der Angebotsverknappung liegt es durchaus nahe, für weitere Preisaufschwünge zu argumentieren“, sagt Sandner.

In den kommenden Monaten sollen auf dem Netzwerk weitere Anpassungen folgen und der Konsensmechanismus, mit dem neue Ether-Einheiten generiert werden, auf das sogenannte Proof-of-Stake-Verfahren umgestellt werden. Dieses ist wesentlich weniger energieintensiv als die Proof-of-Work-Variante, auf die Bitcoin per Protokoll festgelegt ist. Krypto-Enthusiasten hoffen, dass Ether damit für institutionelle Investoren gangbarer wird, für die der Stromverbrauch Proof-of-Work-basierter Digitalwährungen schwierig mit ihren Nachhaltigkeitsstrategien vereinbar ist. Zudem kann Ethereum im Gegensatz zur Bitcoin-Blockchain mit Smart Contracts beschrieben werden. Dies sind Computerprotokolle, die Verträge abbilden sowie Transaktionen automatisiert und dezentral ausführen können.

Deshalb stellt Ethereum die wichtigste Distributed-Ledger-Technologie für das Trendthema des dezentralisierten Finanzwesens (DeFi) dar. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, auf zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken zu verzichten. Stattdessen soll eine offene, transparente und nutzergeführte Finanzinfrastruktur entstehen. In Smart Contracts mit DeFi-Bezug sind im laufenden Jahr gewaltige Mittel geflossen, was dem Kurs der Transaktionseinheit Ether zugutekommt.

Einige Marktteilnehmer glauben aus diesen Gründen daran, dass Ether zur größten Kryptowährung aufsteigen könnte – Sandner ist bezüglich einer solchen Wachablösung indes eher skeptisch. „Natürlich ist Bitcoin sehr stark auf seine jetzigen Funktionen und den Proof-of-Work-Mechanismus festgelegt, allerdings verfügt der Marktprimus auch über eine wesentlich höhere Systemstabilität als Ether“, sagt der Experte. Dies zeige sich auch daran, dass El Salvador Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel ge­macht habe und nicht Ether. In dem zentralamerikanischen Staat können seit Anfang September Einkäufe und Steuern in der Kryptowährung bezahlt werden.

„Die Problematik des hohen Stromverbrauchs bleibt in Bezug auf Bitcoin erhalten, allerdings wird durch das Beispiel El Salvadors auch der Mehrwert der Kryptowährung verstärkt in den Fokus rücken. Denn Bitcoin kann ein funktionierendes Finanzsystem bieten, wo bisher keines vorhanden war, und stiftet somit einen Nutzen für Millionen Menschen“, kommentiert Sandner. In El Salvador hätten bisher 1,1 Millionen Einwohner die neue Krypto-Payment-App installiert, was Möglichkeiten zu einer breiteren Adaption von Bitcoin unterstreiche. Gerade sogenannte Layer-2-Lösungen wie das Lightning Network, die sehr viel höhere Geschwindigkeiten für Transaktionen ermöglichten und somit die Grundlage für kommerzielle Anwendungen, bei denen Bitcoin im Mittelpunkt steht, bilden, könnten zur Skalierbarkeit beitragen.

Bitcoin und Ether entfernten sich zunehmend voneinander. Daher sei es wahrscheinlich, dass die bislang stark positive Korrelation zwischen den Kursen der Kryptowährungen auseinanderlaufe. „Das sind aber sehr langfristige Prozesse. Die Umstellung des Ethereum-Netzwerks wird insgesamt sicherlich zwei Jahre dauern. Der Korrelationskoeffizient zwischen den beiden größten Kryptowährungen dürfte in dieser Zeit von derzeit 0,8 –zeitweise über 0,9 – auf ein niedrigeres Niveau, vielleicht 0,6 sinken“, prognostiziert Sandner. Ganz auflösen werde sich die Korrelation aber wohl nicht.

Derweil seien die Unterschiede zwischen verschiedenen Cyberdevisen noch nicht im Mainstream angekommen. „Viele Menschen haben inzwischen von Bitcoin gehört und registriert, dass das Mining einen hohen Stromverbrauch aufweist, darüber hinaus gehen zahlreiche Spezifika aber völlig unter“, führt Sandner aus. Dazu zähle unter die Knappheit von Bitcoin – die führende Digitalwährung ist auf 21 Mill. Einheiten begrenzt, von denen die letzte 2140 geschürft werden soll – sowie Sinn und Funktionsweise von Smart Contracts, etwa auf Ethereum-Basis.

Allerdings könne die fortschreitende Regulierung digitaler Assets zu einer weiteren Adaption beitragen. „In Deutschland ist ja bereits sichtbar geworden, dass das im Juni verabschiedete Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren sowie das im Juli in Kraft getretene Fondsstandortgesetz im Frankfurter Finanzsektor in Sachen Blockchain zu mehr Verständnis und Engagement geführt haben“, sagt Sandner. Laut Fondsstandortgesetz dürfen offene inländische Spezial-AIFs nun bis zu 20% ihres Fondsvermögens in Kryptowährungen investieren. Langfristig dürfte dies laut Sandner zu größeren Mittelzuflüssen in Cyberdevisen führen. „Die Bemühungen der Finanzbranche in Bezug auf Blockchain werden sich noch einmal beschleunigen, sobald auf europäischer Ebene vermutlich Ende 2022 die Regulierung Markets in Crypto Assets (MiCA) in Kraft tritt“, betont der Wissenschaftler. Diese soll einen einheitlichen Rechtsrahmen für blockchainbasierte Assets schaffen.

Mit fortschreitender Dauer werden sich Blockchain-Akteure und das Kryptomining laut Sandner verstärkt professionalisieren, womit auch die Transparenz bezüglich des Stromverbrauchs und der Herkunft der genutzten Energie steige. Zudem trage das Verbot von professionellem Mining in China dazu bei, dass sich Bitcoin weiter dezentralisiere.

Cardano macht Druck

Zugleich werde die Interoperabilität von Assets zwischen verschiedenen Smart-Contract-fähigen Blockchains steigen. Zu diesen gehört inzwischen auch Cardano. Auf der Blockchain, die der drittgrößten Kryptowährung ADA zugrunde liegt, wurden im September Smart Contracts eingeführt. Marktteilnehmer mutmaßen, dass Cardano künftig sogar Ethereum Konkurrenz machen könnte. „Letztendlich dürfte Ethereum aber weiter die Nase vorn haben. Erstens sind auf dem Netzwerk mittlerweile zahlreiche Skalierungsmöglichkeiten entstanden, die nachweislich gut funktionieren. Zweitens gibt es auf Ethereum vielseitig einsetzbare Token wie den digitalen Dollar und Standardisierungsprozesse für Smart Contracts. Und drittens besteht dort bereits ein riesiges Ökosystem an Entwicklern, während eine vergleichsweise geringe Zahl Cardano programmieren kann“, führt Sandner aus.

Der Start der Smart Contracts auf Cardano ist tatsächlich ruckelig verlaufen, mehrere Entwickler dezentraler Anwendungen haben ihre Projekte zurückgezogen. Mut schöpfen können die Köpfe hinter Cardano laut Sandner indes dadurch, dass Ethereum ähnliche Kinderkrankheiten durchgemacht hat.

Bisher erschienen:

EU-Regulierung nimmt Gestalt an (21.9.)

Krypto-Investment über Bande (16.9.)

Wettstreit der Kryptowährungen (14.9.)