GELD ODER BRIEF

Fadenriss bei Gerry Weber

Von Annette Becker, Düsseldorf Börsen-Zeitung, 2.3.2018 "Gerry Weber enttäuscht" - Seit gefühlt drei Jahren ist das die Überschrift, die Analysten regelmäßig über das Research zur Aktie des einst so erfolgreichen Bekleidungsherstellers und...

Fadenriss bei Gerry Weber

Von Annette Becker, Düsseldorf”Gerry Weber enttäuscht” – Seit gefühlt drei Jahren ist das die Überschrift, die Analysten regelmäßig über das Research zur Aktie des einst so erfolgreichen Bekleidungsherstellers und -händlers schreiben. Kurz vor der Bilanzvorlage am Dienstag dieser Woche war wieder so ein Moment der Enttäuschung: “Aufsichtsrat beschließt neue Vorstandsstruktur und beauftragt den Vorstand mit der Erarbeitung eines Performanceprogramms zur nachhaltigen Steigerung der Profitabilität”, hieß es wenige Tage vor dem Bilanztermin. Mitgeliefert wurde ein erster Ausblick auf den neuen Turnus, der im Oktober angelaufen ist. Erneut erwartet das Unternehmen das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) nur in einer Spanne zwischen 10 und 20 Mill. Euro. Analysten hatten dagegen im Schnitt mit einem Ebit von etwa 35 Mill. Euro kalkuliert. Jörg Philipp Frey von M.M. Warburg brachte seinen Unmut sogleich auf den Punkt: Faktisch würden auch im neuen Turnus nur 10 Cent je Aktie verdient, zum dritten Mal in Folge! Doch es sollte noch schlimmer kommen. Denn Gerry Weber hat im abgelaufenen Turnus nicht nur im operativen Geschäft enttäuscht, sondern unterm Strich auch einen Verlust ausgewiesen. Die Folge: Die Aktionäre gehen für 2016/17 leer aus. Kampf um SDax-VerbleibDrei Wochen zuvor hatte der Modekonzern, der weiter um den “Klassenerhalt” im SDax bangen muss, mit ernüchternden Zahlen auf vorläufiger Basis aufgewartet. Diese wurden am Dienstag dieser Woche bestätigt. Aus Sicht der Analysten besonders bitter: Das neue Performanceprogramm, bei dem der Fokus auf den Bereichen Beschaffung, Produktentwicklung und Sortimentsgestaltung sowie auf der fortgesetzten Modernisierung der Kernmarken liegen soll, ist noch nicht ausgearbeitet. Zwar taxiert der Vorstand den mit den neuen Maßnahmen in Verbindung stehenden Sonderaufwand auf 6 bis 10 Mill. Euro. Genaueres soll aber erst im Sommer feststehen. Erst im abgelaufenen Turnus hatte Gerry Weber hinsichtlich der Restrukturierungsaufwendungen danebengelegen – aus budgetierten 6 Mill. Euro waren am Ende 9,6 Mill. Euro geworden. Die direkte Kursreaktion auf die Botschaften hielt sich am Dienstag in Grenzen. Das lag aber einzig daran, dass die Aktie ihr Abwärtspotenzial inzwischen weitgehend ausgeschöpft zu haben scheint. Das spiegelt sich auch in den Analystenmeinungen, auch wenn keiner der neun Analysten, die seit Jahresbeginn eine Einschätzung abgaben, die Aktie zum Kauf empfiehlt. Weiter wie bisherEinzig Laura Cherdon von Independent Research nahm die Bilanz zum Anlass, ihre Empfehlung von Halten auf Verkaufen zurückzustufen. Zugleich kappte sie das Kursziel von 9,60 Euro auf 7 Euro. Dem neuen Restrukturierungsprogramm schenkt Cherdon wenig Vertrauen, nicht zuletzt, weil dem Vorläuferprogramm “Fit4Growth”, das 2016/17 abgeschlossenen wurde, nur mäßiger Erfolg beschieden war. “Die nun vorgestellten Eckpunkte stellen u. E. weitestgehend eine Weiterführung der bisherigen Maßnahmen dar, die wir angesichts des enttäuschenden 2016/17 als nicht zielführend werten”, heißt es. Auch M.M. Warburg kürzt das Kursziel von 11 auf 8 Euro, belässt die Einstufung jedoch auf Halten. Volker Bosse von Baader Helvea bestätigt die Verkaufsempfehlung mit einem unveränderten Kursziel von 7 Euro. Insgesamt stehen vier Halteempfehlungen fünf Verkauf- oder Reduce-Einschätzungen gegenüber. Die Kursziele variieren dabei zwischen 5 Euro (Hauck & Aufhäuser) und 10 Euro (Bankhaus Lampe). Kerngeschäft darniederDas Kerngeschäft mit den Marken Gerry Weber, Taifun und Samoon liegt weiter darnieder, und eine baldige Erholung ist nicht in Sicht, auch abzulesen an der zuletzt deutlich gesunkenen Bruttomarge. Im Retailsegment der Kernmarken wurde im abgelaufenen Turnus ein operativer Verlust von 11 (i.V. – 31) Mill. Euro gezeigt. Die Marke Hallhuber konnte die Bruttomarge im abgelaufenen Turnus dagegen ausbauen. Für die Rückkehr in die schwarzen Zahlen reichte das jedoch nicht, auch wenn der operative Segmentverlust auf 2,5 (- 4,5) Mill. Euro eingegrenzt wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass auch bei der Ende 2014 erworbenen Retailmarke Hallhuber der Umsatz auf vergleichbarer Fläche zurückging. Im Wholesale-Segment wurden immerhin 24 Mill. Euro verdient, auch wenn das fast 2 Mill. Euro weniger waren als im Vorjahr. Eine rein digitale MarkeAngesichts der ungelösten Probleme mit den Kernmarken erstaunt, dass die Westfalen jetzt eine neue Marke lancieren, die ausschließlich online vertrieben wird und bis auf Weiteres nicht mit dem Konzern in Verbindung gebracht werden soll. Die neue Marke GR[8]FUL ist als Premiummarke konzipiert, mit der Gerry Weber die qualitätsbewussten 40- bis 55-jährigen Kundinnen ins Visier nimmt. Der Vertrieb erfolgt ausschließlich digital über die eigene Website, aber auch über Online-Shops von Facheinzelhandelspartnern wie Breuninger und Engelhorn sowie über externe Plattformen wie beispielsweise Amazon und About You. Die neue Marke erhöht die Komplexität in der Beschaffung, werden für die neue Marke doch zwangsläufig höherwertigere Stoffe und Accessoires benötigt. Dabei soll doch im Einkauf die Effizienz erhöht werden. Zugleich redet der Vorstand der engeren Verzahnung der Vertriebskanäle das Wort, um dann mit einer rein digital vertriebenen Marke an den Start zu gehen. Entsprechend groß ist die Skepsis bei Analysten. Frey von M.M. Warburg sieht die Einführung der neuen Marke denn auch als Beleg dafür, dass das Kerngeschäft unter der Marke Gerry Weber dauerhaft beeinträchtigt bleibt. Verständlich ist der Ansatz einzig unter dem Aspekt, dass Gerry Weber das Online-Geschäft schneller ausbauen will. Denn obgleich sich der Online-Umsatz der Kernmarken im abgelaufenen Turnus um fast 13 % und von Hallhuber um gut 14 % erhöhte, beläuft sich der E-Commerce-Anteil am Konzernumsatz auf nicht einmal 6 %. Die Rückkehr auf einen nachhaltig profitablen Wachstumskurs im Geschäftsjahr 2018/19 bleibt vorerst nur ein vages Versprechen. Zu Recht wirft Frey daher die Frage auf, ob 2018 für Gerry Weber als weiteres Jahr des Übergangs zu sehen ist oder als neue Normalität.