Handelschaos macht Hongkong zum Kapitalmagneten
Handelschaos macht Hongkong zum Kapitalmagneten
Festlandanleger greifen immer beherzter zu – Bullenmarkt stößt an seine Grenzen – Unternehmensgewinne auf dem Prüfstand – Bankaktien als Bollwerk
Hongkongs Bullenmarkt ist der Hingucker für globale Investoren, die sich einer schleichenden Diversifikation weg vom Geschehen an den US-Börsen verschrieben haben. Seit April läuft eine imposante Rally, die von reichlichen Kapitalzuflüssen genährt wird. Weiteren Fortschritten sind allerdings enge Grenzen gesetzt.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
China-Aktien mit Notierung in Hongkong und damit bester Zugänglichkeit für internationale Anleger gehen als die großen Gewinner der von Donald Trump mit dem Liberation Day losgetretenen handelspolitischen Chaos hervor. Nach einem denkbar schweren Schock zu Aprilbeginn hat sich der Hongkonger Leitindex Hang Seng rasch gefangen und legt seitdem eine lediglich von Mini-Korrekturen unterbrochene Rally hin, mit der man sich von führenden Börsenplätzen in Amerika, Asien und Europa deutlich abhebt.
CSI 300 abgehängt
In der ersten Aprilwoche fiel der Hang Seng nach imposanter Rally im Zusammenhang mit Chinas Avancen beim KI-System DeepSeek unvermittelt wieder auf den Stand zu Jahresbeginn zurück. Danach aber konnten Trumps Strafzollattacken vom Liberation Day dem Sentiment in Hongkong nichts mehr anhaben. Binnen vier Monaten zog das Leitbarometer um 27% an, und befindet sich knapp unterhalb der 25.000er Marke nahe an einem Vierjahreshoch. Im Vergleich dazu ist die Performance der sogenannten A-Aktien auf dem chinesischen Festland wesentlich bedächtiger. Der CSI 300 Index für die Blue Chips an den Börsen in Schanghai und Shenzhen macht seit April zwar ebenfalls stetige Avancen, kommt aber für das Kalenderjahr lediglich auf ein Plus von knapp 8%.
Kapitalflüsse machen die Musik
Eine so deutliche Überperformance von H-Aktien gegenüber Festlandwerten hat man schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Eine Erklärung dafür findet sich in Kapitalstrombewegungen, die Trumps Attacken auf das globale Handelssystem nach sich ziehen. Sie scheinen das Marktsentiment stärker zu beeinflussen, als der eigentliche ökonomische Impact von höheren Zollraten auf einzelne Volkswirtschaften. In China sind die Kapitalflussbewegungen im Zuge einer Schwächephase des chinesischen Yuan besonders prononciert.
HK-Dollar ist Trumpf
Institutionelle und private Anleger verlagern ihr Interesse auf chinesische Werte mit alleiniger oder paralleler Notierung in Hongkong und damit der Denomination im eng an den US-Dollar gebundenen HK-Dollar. Chinesische Unternehmen wiederum trachten bei gedämpften Expansionsaussichten im eigenen Land und Druck auf Lieferketten nach ausländischen Direktinvestitionen mit Schwerpunkt in Südostasien und Europa. Das wird durch eine Kapitalaufnahme im frei konvertiblen HK-Dollar erleichtert und bringt den Finanzplatz Hongkong ebenfalls ins Spiel.
Welle von Neuemissionen
Am Primärmarkt kommt zu einer Welle von Neuemissionen mit Initial Public Offering (IPO) und Zweitlistings chinesischer Firmen, mit denen die Hong Kong Exchanges (HKEX) vorbei an den New Yorker Börsen wieder auf den Spitzenplatz im globalen Finanzplatzranking rückt. Im Sekundärmarkt treibt der Einsatz von Festlandinvestoren, via des Handelsverknüpfungssystems Stock Connect für Engagements in H-Aktien, die Handelsvolumina steil in die Höhe. Über die „Südschiene“ des Stock Connect sind binnen sieben Monaten netto 880 Mrd. HK-Dollar (112 Mrd. Dollar) geflossen. Das ist bereits mehr als das Gesamtvolumen des vergangenen Jahres.
Deflationskummer
Liquiditätsseitig scheint das Bettchen gemacht. Fragen stellen sich allerdings zur Ertragsqualität. Das Gros der im Hang Seng vertretenen Titel wird in den kommenden zwei Wochen über die Ergebnisse des zweiten Quartals berichten. Einen ernsten Sorgenfaktor gibt Chinas latente Deflationstendenz ab. Der Konsumpreisindex klebt an der Nulllinie, während ein deutlicher Abschwung bei den Erzeugerpreisen, zunehmend negativ auf die Entwicklung der Industriegewinne abfärbt. Fundamentalfaktoren lassen die Marktprognostiker vorsichtig werden. Die Konsensschätzung für den Hang Seng zum Jahresende liegt bei etwa 26.000 Punkten. Das würde eine gezügelte Avance von nur noch etwa 4% bedeuten.
BYD auf der Verliererstraße
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Autobranche. Eine haarsträubende Preissenkungsschlacht unter Chinas E-Auto-Hersteller zeugt von Überkapazitätsproblemen und bedroht die Profitabilität im Sektor. Der Marktführer BYD verliert an Umdrehungen und muss um sein Absatzziel für 2025 bangen. Eine aggressive Preissenkungsrunde im Mai hat BYD sowohl bei der Pekinger Regierung wie auch bei den Anlegern in Misskredit gebracht. Am 23. Mai wurde ein Allzeithoch bei 159 HK-Dollar markiert. Seitdem hat die BYD-Aktie völlig entgegen dem Markttrend fast 30% eingebüßt.
Großbanken gefragt
Als regelrechtes Bollwerk erweisen sich indes Finanzwerte, mit den im Hang Seng stark vertretenen chinesischen Großbanken. Sie locken Value-Investoren mit großzügig steigenden Dividenden, zu denen sie Chinas Finanzregulatoren verpflichtet haben. Der Hang Seng Mainland Banks Index steht nahe am Allzeithoch. Da chinesische Versicherungskonzerne ihre gestiegene Aktienallokation vornehmlich den Banken zukommen lassen, rechnen die Experten mit weiteren kräftigen Bewertungsfortschritten.