Im InterviewSean Hagerty und Sebastian Külps, Vanguard

„Für uns ist Deutschland der am schnellsten wachsende Markt in Europa“

Sean Hagerty, Leiter von Vanguard Europe, und Sebastian Külps, Leiter von Vanguard Deutschland und Nordeuropa, im Interview der Börsen-Zeitung über die Strategie von Vanguard in Deutschland, Gebühren, Active ETFs und zu hohe Provisionen hierzulande.

„Für uns ist Deutschland der am schnellsten wachsende Markt in Europa“

Im Interview: Sean Hagerty und Sebastian Külps, Vanguard

„Deutschland wird immer wichtiger“

Die Leiter von Vanguard über hohe Zuflüsse, Active ETFs und zu hohe Provisionen hierzulande

Sean Hagerty, Leiter von Vanguard Europe, und Sebastian Külps, Leiter von Vanguard Deutschland und Nordeuropa, im Interview der Börsen-Zeitung über die Schließung von Vanguard Direkt, die Strategie von Vanguard in Deutschland, Gebühren, Active ETFs und zu hohe Provisionen hierzulande.

Herr Hagerty, Herr Külps, warum haben Sie Ihre Selbstentscheiderplattform Vanguard Invest in Berlin im November 2023 schon wieder geschlossen?

Hagerty: Es war für uns keine einfache Entscheidung. Wir haben die Situation betrachtet und waren auf der einen Seite sehr erfreut, dass deutsche Anleger insgesamt mehr unserer ETFs gekauft haben als jemals zuvor. Allerdings wurden diese Käufe vor allem über andere Plattformen getätigt und nicht über Vanguard Invest.

Als wir mit der Planung für Vanguard Invest in Deutschland gestartet sind, war das Umfeld ein wenig anders: Es gab weniger und vor allem teurere Plattformen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, was wir als eine positive Entwicklung für die Anleger betrachten. Gleichzeitig machte es dadurch immer weniger Sinn, eine eigene Plattform zu betreiben. Nach gründlicher Betrachtung sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es im Interesse unserer Anleger ist, mit anderen Plattformen Partnerschaften einzugehen, statt unsere eigene zu betreiben.

Külps: Diese Partnerschaften haben wir zuletzt stark intensiviert, wir wollen unsere Produkte so gut verfügbar wie möglich machen. Und wir haben nach neuen Partnern geschaut, bei denen deutsche Anleger unsere Produkte kostengünstig erwerben können – mit Erfolg.

Ist Deutschland anders als andere Märkte? Ein Vanguard-Invest-Pendant gibt es ja auch in anderen Ländern.

Hagerty: Wir bieten es in drei Ländern an: in den USA, UK und Australien. Die einzelnen Länder sind verschieden. Für uns sind die Net Returns der Investoren entscheidend: Wie können wir Anlegern helfen, einen besseren Return zu erzielen? Hier spielen Gebühren eine wichtige Rolle. Die Gebühren sind in Deutschland zuletzt noch weiter nach unten gekommen. In den anderen Märkten sind die Gebühren der Plattformen noch relativ hoch, verschiedene Märkte haben unterschiedliche Strukturen. Am deutschen Markt ist es für uns effektiver, mit Partnern zusammenzuarbeiten.

Wie wichtig ist der deutsche Markt für Vanguard?

Hagerty: Er ist für uns sehr wichtig und wird immer wichtiger. Für uns ist Deutschland der prozentual am schnellsten wachsende Markt in Europa. Daher haben wir unsere Bürofläche in Frankfurt verdoppelt und vergrößern hier unser Team. Das Büro in Berlin schließen wir mit der Einstellung von Vanguard Invest.

Külps: Wir haben ein zunehmendes Wachstum der Nettozuflüsse in jedem Jahr gesehen, seit wir in den deutschen Markt 2017 eingetreten sind. Wir haben unseren Marktanteil bei ETFs und passiven Anlagen mit jedem Jahr gesteigert. Die Ergebnisse liegen über unseren ursprünglichen Plänen.

In Europa liegt der Marktanteil von Vanguard bei ETFs aber nur bei 7%.

Külps: Wir haben in kurzer Zeit unseren Marktanteil von 4% auf 7% in Assets under Management gesteigert und der Trend der Mittelzuflüsse liegt weiterhin deutlich über 7%. Das ist sehr positiv. Wir gewinnen also stetig Marktanteile und in wenigen Jahren wird unser Marktanteil in Europa deutlich höher liegen. In Deutschland haben wir 30 Mrd. Dollar Assets under Management und mehr als eine Million Privatanleger, die in Vanguard-Fonds und -ETFs sparen.

Warum hat iShares in Europa bei ETFs einen Marktanteil von 46% und Sie nur von 7%? In den USA ist Vanguard viel größer.

Hagerty: Ein Grund ist, dass die Struktur der Märkte unterschiedlich ist, zudem sind wir erst viel kürzer am Markt. In den USA sind es mehr private Anleger, die ETFs besitzen. In Europa hat sich der ETF-Markt zunächst mehr über institutionelle Anleger entwickelt. Aber hier sind wir weniger aktiv, wir sind sehr fokussiert auf den Endanleger.

Unser Marktanteil steigt, sobald mehr individuelle Anleger am Kapitalmarkt teilnehmen. Unser Wachstum ist auch darauf zurückzuführen, dass mehr private Investoren selber in ETFs investieren. Wir glauben, dass der ETF-Markt in den nächsten zehn Jahren weiter substanziell wachsen wird, weil der Handel zunehmend online möglich ist. Immer mehr Menschen realisieren, wie wichtig niedrige Kosten und breit gestreute Investments sind. Das Problem ist High Cost Investing, ob aktiv oder passiv.

Sie bieten in Europa derzeit nur 32 ETFs an, das ist eher wenig.

Külps: Wir haben in der Tat ein sehr komprimiertes ETF-Angebot. Das machen wir sehr bewusst, weil wir nur Produkte an den Markt bringen wollen, die Endanleger dazu nutzen können, um langfristig wetterfeste Portfolios aufzubauen, zum Bespiel für den Ruhestand. Das ist wirklich unser Kernfokus. Wir versuchen nicht alles für alle zu sein, vermeiden Nischenprodukte und gehen keinen kurzfristigen Trends nach.

Bieten Sie keine neuen Produkte an?

Külps: Wir legen auch neue Produkte auf, aber aufgrund unserer Philosophie eben weniger als unsere Konkurrenten. Wir haben zuletzt neue Produkte in den Bereichen Bereich Fixed Income, ESG und Multi-Asset aufgelegt. Wir haben eine relativ kleine und auch junge Produktpalette, die aber erfreulich wächst. In diesem Jahr werden wir voraussichtlich mehrere neue Produkte begeben.

Hagerty: Wir experimentieren nicht mit dem Geld anderer Leute. Daher haben wir hohe Hürden für neue Produkte. Für die meisten Anleger ist Investieren eher konfus und kann kompliziert sein. Wir denken, das muss nicht sein. Daher fragen wir uns, wie können wir proaktiv die Komplexität und die Kosten des Investierens senken, damit das Ganze für den individuellen Anleger besser abschätzbar ist.

Werden die Gebühren für ETFs weiter fallen?

Hagerty: Unsere Gebühren sind ohnehin niedrig. Wir haben diese bei Auflage auf einem sehr wettbewerbsfähigen Niveau festgelegt. Sie können mit Vanguard-ETFs ein anständiges global diversifiziertes Portfolio mit laufenden Kosten von 0,13 oder 0,14% pro Jahr bauen. Unsere Preise sind sehr wettbewerbsfähig, insbesondere im Vergleich zu dem, was ein Endinvestor in Deutschland potenziell für die Geldanlage zahlt. Die Gesamtinvestitionskosten liegen hier laut einer Vanguard-Studie bei rund 2,35%, was unseres Erachtens und auch im europäischen Vergleich viel zu hoch ist.

Külps: Unsere Kosten werden aber über die Zeit noch fallen, wenn wir Skaleneffekte an unsere Kunden weitergeben. Das haben wir in Europa bewiesen, wir haben die Gebühren mehrfach gesenkt, und wir werden sehen, welche Gelegenheiten sich ergeben, die Kosten weiter zu senken.

Was halten Sie von Active ETFs?

Hagerty: Aktive ETFs sind eine gute Entwicklung, weil ETFs eine effiziente Struktur sind. Vanguard hat in den USA aktive ETFs aufgelegt, in Europa noch nicht. Wir schauen immer auf die Strategie. Wenn wir denken, es ist die richtige aktive Strategie und ein ETF ist die richtige Hülle, dann werden wir auch in Europa einen aktiven ETF begeben. Das ist durchaus nicht ausgeschlossen.

Woran arbeiten Sie bei Vanguard noch gerade?

Külps: In den USA und UK sehen wir einen wachsenden Trend in Richtung Lösungen. Bei Beratern werden Investment-Management-Fähigkeiten an Assetmanager wie uns abgegeben. Wir erwarten, dass dieser Trend für uns auch stärker in Kontinentaleuropa wird. Neu ist, dass wir auch hier unsere Modellportfolio-Kapazitäten, also unsere Investmentlösungen, ausbauen. Wir schauen, wie wir diese auch im deutschen Markt implementieren können. Wir haben verschiedene Papier-Modellportfolios, die über unsere Website zugänglich sind. Und wir sind dabei, Modellportfolien auch für einzelne Kunden anzupassen, das ist etwas, was wir entwickeln und in Deutschland in der nahen Zukunft ausrollen.

Hagerty: Finanzberater waren früher Stock Pickers, dann wurden sie zu Fund Pickers. Was wir nun global sehen, ist, dass Finanzberater mehr zu Financial Coaches werden. So bauen sie weitgehend indexorientierte Portfolios, weil sie wissen, sie bekommen dort den entsprechenden Return. Und wo sie wirklich Mehrwert schaffen können, das sind Dinge wie Behavioral Coaching, Steuerplanung oder Financial Planning. Modellportfolios werden langfristig die Erträge bringen, welche Investoren erwarten, da sie sehr effizient sind. Die Entwicklung geht vom Produkt zum Portfolio.

Und wie verändert sich der Vertrieb?

Hagerty: Anleger waren es gewohnt, dass Produkte an sie verkauft werden. Jetzt gibt es eine große Veränderung: Anleger kaufen Produkte in Eigenregie. Anleger interessieren sich und verstehen immer mehr, was sie kaufen. Daher sind ETF-Sparpläne so populär geworden.

Külps: Wir hatten in Europa und in Deutschland sehr traditionelle Vertriebswege. Die Digitalisierung verändert auch in der Finanzindustrie den Vertrieb. Die Entstehung der ETFs und die neuen Technologien haben einen neuen Kanal für Anleger eröffnet, bei denen sie zu einem guten Preis und gleichzeitig bei hoher Transparenz Zugang zu Finanzprodukten erhalten. Mehr und mehr Anleger kaufen ETFs und schauen nach Informationen über die Märkte und erhalten diese über digitale Kanäle. Wir stehen in Deutschland am Anfang dieser Entwicklung, aber wir sehen es als positiv, dass immer mehr Menschen den Zugang zu den Kapitalmärkten finden.

Und bei Beratern?

Külps: Bei Beratern ist es nicht anders. Wir helfen Beratern dabei, wie sie Kunden am besten mit Best-Practice-Ratschlägen beraten können. Dieses Programm, unsere 360 Beraterakademie, werden wir ausbauen. Wir werden ihm bald einen neuen Namen geben und wir werden noch mehr Funktionen für Berater anbieten.

Wird die ETF-Industrie in Europa weiter wachsen?

Hagerty: Das Wachstum wird sich noch beschleunigen. Denn die europäischen Anleger beginnen immer mehr zu realisieren, wie wichtig es ist, ihre finanzielle Zukunft in ihre eigenen Hände zu nehmen. Und wenn sie das tun und sich informieren, dann stellen sie fest, dass ETFs für sie großartige Produkte sind mit leichtem Zugang, niedrigen Kosten und breiter Diversifikation. Und mit wenigen Klicks können sie ein effizientes Portfolio für sich selbst bauen. Berater werden wiederum erkennen, wie eine ganzheitliche Beratung Mehrwert schafft, während Endkunden ein Portfolio mit breit gestreuten Indexfonds kaufen.

Külps: Immer mehr Deutsche legen an den Kapitalmärkten an. Und die Disziplin in den ETF-Sparplänen überzeugt mich, dass deutsche Anleger lernen. Aber es gibt noch viel zu tun. Deutsche sparen prozentual mehr von ihrem Nettogehalt als alle anderen in Europa, aber die Deutschen bauen viel langsamer Wohlstand auf. Wir sind tolle Sparer, aber keine guten Investoren. Wir haben auch nur rund 18% der Bevölkerung, die bereits investiert sind. Das ist noch eine große Lücke im Vergleich zu anderen Märkten, insbesondere im Vergleich zu UK oder den USA. Wenn wir mehr Leute in den Kapitalmarkt bekommen und diese sehen, wie der Kapitalmarkt für einen arbeiten kann, um langfristig Wohlstand aufzubauen, dann gibt mir das große Zuversicht, wohin der ETF-Markt noch wachsen kann.

Ist der deutsche Fondsmarkt zu sehr provisionsgetrieben?

Hagerty: Wir haben seit unserem Marktstart in Deutschland 30 Mrd. Dollar Assets under Management anvertraut bekommen, obwohl wir keine Provisionen zahlen. Es gibt Bewegung im Markt weg von Provisionen. Ein Grund, warum die Deutschen in der Vergangenheit so wenig an den Kapitalmärkten teilgenommen haben, ist, dass sie keinen guten Deal hatten: Wenn ich Gebühren von 235 Basispunkten im Jahr bezahlen müsste, hätte ich vielleicht mein Geld auch eher in Cash gehalten.

Külps: Wir sagen oft, es ist die deutsche Kultur, aber ich denke, die Industrie hat es auch nicht leicht gemacht, dem Kunden einen guten Net Return nach Gebühren zu geben. Kosten und Transparenz müssen sich verbessern. Die Endanleger nehmen dies wahr.

Was ist abschließend Ihre Botschaft?

Hagerty: Wir haben weiterhin großen Ehrgeiz, Anlegern in Deutschland zu helfen und bei ihnen bekannter zu werden, als Assetmanager mit nur einer Mission: Wir vertreten die Interessen aller Anleger und wir sind nur einem Ziel verpflichtet – dem Anlageerfolg unserer Kunden und Kundinnen. Und an unserem klaren Fokus wird sich nichts ändern.

Das Interview führte Werner Rüppel.