Technische AnalyseEdelmetalle

Zurück in der Erfolgsspur?

Finden die Preise der Edelmetalle in die Erfolgsspur zurück? Dies fragt Jörg Scherer von HSBC Deutschland in seiner technischen Analyse.

Zurück in der Erfolgsspur?

Technische Analyse

Zurück in der Erfolgsspur?

Von Jörg Scherer *)

Seit dem Test des bisherigen Allzeithochs bei 2.072 Dollar befindet sich der Goldpreis im Korrekturmodus. Unter dem Strich stammen die Kursgewinne des Edelmetalls aus der guten Entwicklung des ersten Quartals – gewisse Parallelen zum Aktienmarkt sind also absolut vorhanden. Finden die Edelmetalle in die Erfolgsspur zurück? Ist Silber wieder eine spannende Anlagealternative? Wir begeben uns im Folgenden auf die Suche nach charttechnischen Antworten auf diese Fragen.

Zuletzt fand der Goldpreis auf Basis einer markanten Unterstützungszone bei rund 1.900 Dollar Halt. Auf diesem Level bilden die beiden Tiefs bei 1.893/1.884 Dollar einen potenziellen Doppelboden. Darüber hinaus verläuft hier auch die 200-Tages-Linie (aktuell bei 1.916 Dollar). Da auch der trendfolgende MACD jüngst ein neues Einstiegssignal geliefert hat, konnte das Edelmetall die beschriebene Bastion als Sprungbrett nutzen.

Doch nun steht das Edelmetall vor einer ersten Bewährungsprobe, denn mit dem Korrekturtrend seit Anfang Mai sowie dem ehemaligen Aufwärtstrend seit November 2022 (aktuell bei 1.941/1.956 Dollar) hat der Goldpreis ein echtes „charttechnisches Brett“ vor der Brust. Andererseits gibt es etwas zu gewinnen: Gelingt der Sprung über diesen Kreuzwiderstand, gewinnt das „Szenario Doppelboden“ deutlich an Konturen. Tatsächlich Realität würde es bei einem Spurt über die jüngsten Hochpunkte bei 1.983/1.987 Dollar werden. Eine erfolgreiche untere Umkehr würde wiederum ein Anschlusspotenzial von rund 100 Dollar eröffnen. Letztlich hält ein solcher Befreiungsschlag ein ausreichendes Kurspotenzial bereit, um die historischen Hochstände bei 2.070/2.072 Dollar ins Visier zu nehmen. In der Verknüpfung unterschiedlicher Zeitebenen sehen wir einen elementaren Vorteil der technischen Analyse. Genau diese methodische Vorgehensweise liefert aktuell einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn: Auf Wochenbasis bildet der Goldpreis derzeit eine klassische Keilformation aus. Oberhalb der angeführten Schlüsselzone bei rund 1.950 Dollar wäre dieses trendbestätigende Kursmuster nach oben aufgelöst. Ein Ausbruch aus dem beschriebenen Keil liefert damit möglicherweise einen frühen Hinweis auf die Ausprägung eines erfolgreichen Doppelbodens. 

Apropos Erkenntnisgewinn: Traditionell untersuchen wir auch zyklische Aspekte. Angelehnt an den US-Präsidentschaftszyklus haben wir deshalb analysiert, wie sich der Goldpreis typischerweise in US-Vorwahljahren entwickelt. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte greift dem Edelmetall ein deutlicher saisonaler Rückenwind unter die Arme. Im Durchschnitt beschert das Vorwahljahr Goldinvestoren ein deutlich zweistelliges Kursplus. Die Trefferquote lag in der Vergangenheit bei 69%, d.h., neun der dreizehn Vorwahljahre seit den 1970er Jahren konnte der Goldpreis mit Kursgewinnen beenden. Im Ergebnis stellt das Vorwahljahr unter saisonalen Gesichtspunkten den zweitbesten Teilabschnitt innerhalb des vier Jahre umspannenden US-Wahlzyklus dar.   

Nach diesen zyklischen Überlegungen wollen wir nun eine relative anstellen: Der Ratio-Chart zwischen dem Gold- und dem Silberpreis notiert mit einem Wert von 80 im historischen Kontext auf einem hohen Niveau. Es sind also 80 Feinunzen Silber nötig, um 1 Feinunze Gold zu erwerben. Gemessen an der Kurshistorie der letzten 35 Jahre scheint das „Gold des kleinen Mannes“ derzeit entsprechend günstig bewertet zu sein. Aus charttechnischer Sicht steht aktuell die Kreuzunterstützung aus diversen Hoch- und Tiefpunkten sowie dem Aufwärtstrend seit Februar 2021 bei rund 80 zur Disposition. Ein Bruch dieser extrem wichtigen Bastion würde den Grundstein für eine relative Silber-Outperformance legen.

Silber mit besonderen Kurschancen

Obwohl die relative Attraktivität des Silberpreises im Vergleich zum „großen Bruder“ absolut gegeben ist, sollten Anlegerinnen und Anleger zusätzlich den Abgleich mit dem konkreten Chartverlauf vornehmen. Zuletzt hat das Edelmetall zweimal die Glättungslinien der letzten 50 Wochen bzw. 200 Wochen (aktuell bei 22,89/22,46 Dollar) ausgelotet. Apropos gleitende Durchschnitte: Der kurzfristige hat den längerfristigen zuletzt von unten nach oben durchschnitten, wodurch ein sog. „golden cross“ entsteht. Überhaupt scheint der Silberpreis die beiden Glättungen aktuell als Sprungbrett zu nutzen. Die jüngsten Kursavancen halten zudem die Hoffnung auf Ausprägung einer langfristigen Korrekturflagge am Leben. In dieser Gemengelage definieren die oben genannten Hochs bei 26 Dollar das nächste Anlaufziel. Gelingt dem Edelmetall der Spurt über diese Hürde, kann die Kursentwicklung seit Sommer 2021 sogar als langfristige Bodenbildung interpretiert werden. Das wäre dann ein echter Befreiungsschlag, denn aus deren Höhe ergibt sich im Erfolgsfall ein rechnerisches Anschlusspotenzial von rund 8 Dollar. Langfristig also mehr als ausreichend, um die Mehrjahreshochs von 2020/21 bei 30 Dollar zu überspringen. Um diese Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren, gilt es in Zukunft, die eingangs angeführte 200-Wochen-Linie (aktuell bei 22,46 Dollar) nicht mehr zu unterschreiten. In der Summe trauen wir den Edelmetallen in den letzten Monaten des Jahres eine positive Überraschung zu.

*) Jörg Scherer ist Leiter der Technischen Analyse bei HSBC Deutschland.

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