Digitale Assets

Kryptowährun­gen im Ausverkauf

Die Furcht vor einer noch kontraktiveren Fed-Geldpolitik setzt den Kryptomarkt unter Druck. Zudem lasten Krisen bei Digital-Assets-Dienstleistern auf dem Investorensentiment.

Kryptowährun­gen im Ausverkauf

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Krypto-Investoren stehen vor einem Scherbenhaufen. Denn angesichts der um sich greifenden Risikoscheu an den globalen Finanzmärkten wächst der Druck insbesondere auf spekulativ geprägte Digital-Assets gewaltig. Die Gesamtmarktkapitalisierung aller umlaufenden Cyberdevisen fiel am Montag dementsprechend erstmals seit Februar 2021 wieder unter die Marke von 1 Bill. Dollar. Die führende Kryptowährung Bitcoin sackte auf der Handelsplattform Bitstamp bis auf 22694 Dollar ab – dies bedeutete einen Rücksetzer von 19% gegenüber dem Vortag und zugleich den niedrigsten Stand seit Dezember 2020.

Die Nummer zwei des Segments, Ether, brach zeitweise um mehr als 22% ein – bei kleineren Cyberdevisen wie Avalanche oder Polygon fielen die Verluste teilweise noch höher aus. Und auch die Kurse von Firmen, die am Kryptomarkt aktiv sind, brachen ein. Die MicroStrategy-Aktie, die aufgrund der großvolumigen Bitcoin-Investitionen des Unternehmen als Stellvertreter-Investment für die größte Digitalwährung gilt, stürzte im frühen Handel in New York um 28% ab und steuerte auf den größten Tagesverlust seit 2002 zu.

Die am Freitag veröffentlichten US-Inflationsdaten trübten das ohnehin schon angeschlagene Anlegersentiment dabei noch einmal erheblich ein. Die Teuerung in den Vereinigten Staaten hatte im Mai mit 8,6% die Erwartungen von Ökonomen und Analysten übertroffen und den höchsten Stand seit 40 Jahren markiert. Dies weckt bei Investoren Befürchtungen, wonach die Federal Reserve ihren kontraktiven Kurs noch deutlich verschärfen könnte. Bereits in der vergangen Woche hatte die Europäische Zentralbank ihre erste Zinserhöhung seit elf Jahren angekündigt. Der Liquiditätsentzug an den Märkten trifft Kryptowährungen besonders hart, da die Anleger in diesem Umfeld Risiko-Assets aus den Depots werfen.

Für Cyberdevisen wird dabei erneut die verstärkte institutionelle Präsenz im Segment zum Verhängnis, die Krypto-Enthusiasten einst so stark herbeigesehnt hatten. Denn Institutionelle handeln nicht ideologisch, sondern passen ihre Portfolios entsprechend der Marktentwicklung und Risikoneigung an, wie Analysten betonen. Damit verhielten sich Bitcoin & Co. stärker wie traditionelle Assets, wobei die Kursausschläge aufgrund der vergleichsweise geringen Größe und Liquidität des Krypto-Markts heftiger ausfielen.

Krisen bei Dienstleistern

Außerdem entstehen wiederholt Belastungen durch Krisen bei Digital-Assets-Dienstleistern. So löste der Lending-Anbieter Celsius Network mit der Ankündigung, Auszahlungen von und Überweisungen über seine Plattform aussetzen zu müssen, eine am Montag Investorenpanik aus. Der Krypto-Token des Unternehmens halbierte seinen Wert binnen einer Handelssitzung. Die Mitteilung über den Abhebungsstopp erfolgte nur einen Tag, nachdem Celsius-Chef Alex Mashinsky entsprechende Spekulationen über den Kurznachrichtendienst Twitter dementiert hatte.

Beim Krypto-Lending verleihen Investoren ihre digitalen Assets an Marktteilnehmer, die kurzfristig auf der Suche nach großen Volumen an Cyberdevisen sind, und erhalten darauf hohe Renditen – auf Plattformen wie Celsius werden beide Gruppen zusammengebracht. Der Kryptoverleih gehört zum Bereich des dezentralen Finanzwesens (DeFi).

Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, klassische Finanzkonzepte mit Distributed-Ledger-Technologien zu verbinden und zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken abzulösen. Dabei helfen Smart Contracts, also Computerprotokolle, die Verträge abbilden sowie Transaktionen dezentral und automatisiert ausführen können. Aus Smart Contracts mit DeFi-Bezug sind seit Anfang Mai mehr als 110 Mrd. Dollar abgeflossen. Das Volumen des Krypto-Kapitals, das in solchen Protokollen liegt, beläuft sich laut der Plattform DeFi Llama auf nur noch 85,6 Mrd. Dollar.

Der Abhebungsstopp bei Celsius beschädigt das Investorenvertrauen in dezentrale Anwendungen laut Analysten erheblich – dabei hatte es zuletzt bereits schon enorm unter den Turbulenzen am Stablecoin-Markt gelitten. Denn diese Krypto-Token, die eigentlich Wertstabilität gewährleisten sollen und häufig an den Dollar gekoppelt sind, gelten als integraler Bestandteil des DeFi-Trends – auf Lending-Plattformen bringen sie oftmals horrende Renditen ein. Der algorithmische Stablecoin TerraUSD (UST) hatte seine Bindung zum Greenback Anfang Mai indes vollständig verloren und wird nun im Zuge eines Wiederaufbauplans für die zugehörige Blockchain effektiv begraben.

Der UST-Crash traf auch Bitcoin hart, weil die Organisation hinter dem Stablecoin großvolumige Reserven in der Cyberdevise hält und diese in dem Versuch, das eigene System zu stabilisieren, anzapfen musste. Noch stärker betroffen ist indes Ether, gilt die Blockchain hinter der zweitgrößten Cyberdevise doch als wichtigste Infrastruktur für das dezentrale Finanzwesen. So liegen 64% des in DeFi-Protokollen gespeicherten Krypto-Kapitals auf Ethereum. Wie stark sich die Stimmung innerhalb des Netzwerks verschlechtert hat, wird auch am an Ether angebundenen Stablecoin Lido Staked ETH ersichtlich: Dieser notiert mit einem deutlichen Abschlag zum Basiswert, nachdem der Großinvestor Alameda Research in der vergangenen Woche Token im Wert von 1,5 Mrd. Dollar abgestoßen hatte.

Die Analysten des Brokers Oanda bezeichnen die Gemengelage als perfekten Sturm am Kryptomarkt. Nun sind Digital-Assets-Dienstleister da­rum bemüht, die durch den aktuellen Crash entstandenen Scherben zusammenzukehren. DeFi-Anbieter wie BlockFi, Tron und Tether versichern via Twitter, dass ihre Operationen normal liefen. Und der Lending-Anbieter Nexo will nach eigener Aussage sogar die Assets des angezählten Wettbewerbers Celsius kaufen. Ob dies die Nerven der Investoren beruhigen kann, ist laut Analysten jedoch fraglich – Oanda sieht durchaus die Gefahr eines Bitcoin-Absturzes unter die Marke von 20000 Dollar.

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