„Wir erwarten steigende Renditen für Bundesanleihen“
Im Interview: Christoph Rieger und Rainer Guntermann
„Wir erwarten steigende Renditen für Bundesanleihen"
Zinsexperten der Commerzbank über Platzierbarkeit von Euro-Staatsbonds, Rekordangebot von Bundespapieren 2026, Sell-America-Stimmung und Ratingrisiken
Mit einem steigenden Angebot an Bundesanleihen rechnen die beiden Zinsexperten der Commerzbank, Christoph Rieger und Rainer Guntermann, mit höheren Renditen der Bundesanleihen. Das Umfeld werde aber herausfordernder. Bislang konnten die Eurozonen-Länder Bonds gut platzieren. Das sollte anhalten.
Herr Rieger und Herr Guntermann, wie stufen Sie aktuell die Platzierbarkeit von langlaufenden Bundesanleihen ein?
Rieger: Das Umfeld ist herausfordernder geworden, da die Zinssenkungsfantasie verschwindet, während der Angebotsdruck bleibt und die Nachfrage nicht Schritt hält. Allerdings ist das ein globales Phänomen das zu strukturell steileren Kurven führt.
Und wie ist es aktuell um die Platzierbarkeit von Langläufern aus Eurozone-Staaten bestellt wie Frankreich, Italien, Spanien oder Österreich?
Guntermann: Sämtliche Märkte konnten bislang problemlos Papiere in allen Laufzeiten platzieren, teilweise mit beeindruckenden Orderbüchern. Interessant wird es, wenn die Primärmärkte nun nach der Sommerpause wieder anlaufen. Im Covered-Bond-Bereich etwa, der vorige Woche wieder mit zwei Euro-Benchmarkemissionen öffnete, zeigt sich bislang in den sehr niedrig gebliebenen Neuemissionsprämien, dass die Spread-Einengung der Sommermonate durch ausreichend Nachfrage auf den neuen Niveaus untermauert ist.
Sie rechnen 2026 wegen der Ausgabenerhöhungen des Bundes mit einem Rekordvolumen an Bundesanleihen. Wird das auch gut zu platzieren sein?
Rieger: Mit den ehrgeizigen Plänen für Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur ist klar, dass auch die Emissionsvolumina steigen werden. Daher dürfte das Emissionsvolumen von Bundesanleihen im nächsten Jahr auf rund 350 Mrd. Euro steigen, nach voraussichtlich 293 Mrd. Euro in diesem Jahr. Da die Haushaltsdefizite in den folgenden Jahren hoch bleiben, zeichnen sich für die Jahre nach 2026 weitere Emissionsrekorde ab. Grundsätzlich wird die Finanzagentur aber keine Probleme haben, den zusätzlichen Finanzierungsbedarf aufzunehmen, allerdings ist es auch eine Frage des Preises. Die Renditen 30-jähriger Bundesanleihen haben jüngst das höchste Niveau seit 2011 erreicht, und der Bund muss in diesem Laufzeitensegment eine deutliche Prämie über der Swapkurve bezahlen. Die Nachfrage nach sicheren und liquiden Anleihen dürfte zwar insgesamt hoch bleiben, allerdings zeichnet sich in manchen Segmenten ab, dass die Nachfrage nicht mit dem steigenden Angebot Schritt hält, etwa im ultralangen Bereich, zumal der Angebotsdruck ein globales Phänomen ist. Die Finanzagentur dürfte all das bei ihrer Emissionsplanung berücksichtigen. Außerdem kann sie auf flexible Finanzierungsinstrumente zurückgreifen. Dabei verleiht sie u.a. ihre Anleihen aus dem Eigenbestand am Repo-Markt, um kurzfristig erhöhten Finanzbedarf zu decken.
Wird sich der Bund dabei auf höhere Renditen einstellen müssen?
Guntermann: Mit steigenden Defiziten und Schuldenständen verlangen Investoren nicht nur für Bunds sondern für praktisch alle Staatsanleihen im Euroraum, in Großbritannien, den USA und Japan höhere Laufzeiten- und Risikoprämien. Bis Ende 2022 waren Anleger bereit aufgrund von Knappheiten eine Prämie von Bundesanleihen gegenüber der risikofreien Swapkurve zu zahlen. Bei zehnjährigen Laufzeiten hat sich diese Prämie, die in der Spitze bei 100 Basispunkten lag, jedoch vollständig verflüchtigt. Seit Ende letzten Jahres schwanken die zehnjährigen Renditen um das Swap-Niveau. Da der Zinszyklus der EZB wie wir glauben bereits ausgelaufen ist, bleibt das Abwärtspotenzial für die Swapsätze begrenzt. Mit dem steigenden Angebot an Bundesanleihen schlägt die Knappheitsprämie um. Hochwertige und liquide Anleihen sind im Überfluss vorhanden. Wir erwarten steigende Renditen für Bundesanleihen über alle Laufzeiten. Dabei dürften die Bundrenditen etwas schneller steigen als die Swapsätze, angeführt von Langläufern.
Und mit welcher Platzierbarkeit rechnen Sie im kommenden Jahr dann bei anderen Staaten der Eurozone? Gibt es da Kandidaten, die in Bedrängnis kommen könnten?
Rieger: Viele Euroländer dürften argumentieren, dass die höheren Renditen aufgrund der Finanzpläne der Bundesregierung ihre auskömmlichen Finanzierungsniveaus untergraben. Rufe nach neuen Gemeinschaftsschulden auf EU-Ebene werden lauter, dürften aber letztlich auf politischen Widerstand stoßen. Aufgrund der bislang soliden Risikostimmung, der gelockerten Geldpolitik und Spekulationen über mehr Gemeinschaftsanleihen haben sich die Renditen von Euro-Staatsanleihen immer weiter angenähert. So ist der Renditeabstand von zehnjährigen italienischen Staatsanleihen zu Bunds auf das niedrigste Niveau seit 2010 gefallen. In Frankreich rechnen wir sogar damit, dass der Renditeabstand zu zehnjährigen italienischen Staatsanleihen vollständig verschwinden wird. Der Großteil der Neuverschuldung muss jedoch von den Mitgliedstaaten gestemmt werden. Damit steigen die Ratingrisiken. Die deutschen Fiskalkennzahlen bleiben relativ betrachtet besser, so dass die Renditekonvergenz gegenüber Bunds vermutlich mit den Haushaltsplänen für 2026 auf den Prüfstand kommt. Wenn sich dann abzeichnet, dass die geldpolitische Lockerung der EZB vorbei ist, dürften die Renditeaufschläge tendenziell wieder etwas steigen. Probleme bei der Platzierung erwarten wir jedoch nicht.
Hat sich das Investorensentiment für Euro-Anleihen in diesem Jahr unter dem Einfluss des US-Zollstreits verändert? Immer wieder ist in diesem Zusammenhang von einer Abkehr der Investoren von US-Assets, speziell auch US-Treasuries, die Rede. Unterstützt das den Euro-Staatsanleihemarkt?
Guntermann: Europa möchte aus der „Sell America“-Stimmung Kapital schlagen. EZB-Präsidentin Lagarde betonte jüngst die Chance für Europa, den Moment des „globalen Euro” zu nutzen. Bislang gibt es aber noch keine harten Datenbelege für eine Rotation in Euro-Anleihen. Im ersten Quartal waren ausländische Investoren sogar erstmals seit 2022 wieder Nettoverkäufer von Bunds und an anderen EGB-Märkten kaum vertreten. Die jüngsten Daten des US-Finanzministeriums zu den internationalen Kapitalflüssen (TICS) zeigen, dass ausländische Netto-Portfoliozuflüsse im Juni von Aktien getragen wurden, wohingegen die Veränderungen bei den US-Treasury-Beständen sehr gering waren. Die Hoffnung, dass das „Sell America“ Sentiment den Euro-Staatsanleihen zugutekommt, hat sich somit bislang nicht bewahrheitet. Da wir damit rechnen, dass die US-Notenbank nächsten Monat eine weitere Zinssenkungsphase einleitet, während die EZB mit ihren Zinssenkungen durch ist, gehen wir davon aus, dass internationale Investoren in diesem Umfeld weiterhin in US-Treasuries investiert bleiben wollen.
Sind die Anleihen von EU, EIB und ESM das neue Safe Asset in Europa?
Rieger: Bundesanleihen werden ihren Status als sicherste Anlage im Euroraum nicht verlieren, auch wenn die Schulden weiter steigen und die Renditen im öffentlichen Sektor weiter konvergieren. Die etablieren Euro-Supras werden diese Rolle ebenfalls nicht übernehmen können, da ihre Garantiestrukturen entscheidend von den Beiträgen der starken Mitgliedsländer abhängig sind. Gleichzeitig reißen die Diskussionen über Eurobonds als einheitliches Safe Asset im Euroraum nicht ab. Allerdings liegt die EZB womöglich falsch, wenn die bemängelt, dass „das Angebot an hochwertigen Safe Assets hinterherhinkt”, um die internationale Rolle des Euro zu stärken. Zwar machen Staatsanleihen mit einem Rating von mindestens AA in der EU knapp 50% des BIP aus, in den USA hingegen über 100%. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass das zu einem Finanzierungsvorteil der USA beiträgt. Im Gegenteil. So zeigt sich am amerikanischen Markt, dass das US-Finanzministerium seit einiger Zeit einen erheblichen Aufschlag über den durchschnittlich erwarteten kurzfristigen Zinsen zahlen muss. Dieser Aufschlag könnte zwar noch höher ausfallen, wenn der Dollar seinen Status als Leitwährung verlieren würde. Die Prämie dürfte jedoch eindeutig mit dem Angebot zusammenhängen. Wir teilen somit nicht die weit verbreitete Ansicht, dass es dem Euro an Safe Assets mangelt. Investoren finden bereits jetzt eine Vielzahl liquider EGBs und EU-Anleihen über das gesamte Rating-Spektrum hinweg, und AA-AAA-Emissionen dürften in den kommenden Jahrzehnten kaum knapp werden.
Werden wir hinsichtlich der Absorptionsfähigkeit der Märkte ohne Kaufprogramme der EZB auskommen, oder müssen wir solche Programme einkalkulieren? Und was sind die Voraussetzungen dafür?
Guntermann: Die EZB-Bilanz bleibt ein wichtiger Faktor. Zwar schmilzt das Portfolio vorerst geräuschlos ab, da fällige Anleihen seit vorigem Jahr nicht wieder reinvestiert werden, und die Auswirkungen werden in den kommenden Jahren weiter nachlassen. Allerdings schätzen wir, dass im kommenden Jahr Bundesanleihen im Wert von rund 70 Mrd. Euro in den Portfolios der EZB fällig werden. Da der Bund diese Schulden nicht tilgt, sondern neu auflegt, müssen private Investoren gefunden werden. Die EZB wird der Finanzpolitik nicht mit einem neuen Kaufprogramm zur Seite springen. Die Hürden dafür sind sehr hoch. Eine quantitative Lockerung über Anleihekäufe wäre nur möglich, nachdem die Zinsen wieder ihre effektive Zinsuntergrenze erreicht haben und weiterhin Deflationsrisiken bestehen. Anderenfalls kann die EZB nur mit Anleihekäufen intervenieren, wenn die Finanzmarktstabilität gefährdet ist. Von beiden Szenarien sind wir momentan meilenweit entfernt.
Aber wie sieht es mit dem strategischen Anleiheportfolio aus, dass die EZB ab dem kommenden Jahr in Aussicht gestellt hat?
Rieger: Dieses Portfolio unter dem neuen geldpolitischen Rahmen erfüllt einen anderen Zweck. Anders als die bisherigen Kaufprogramme, die dazu dienten, Duration aus dem Markt zu nehmen, sollen hier Anleihen gekauft werden, um dem Markt strukturelle Zentralbankliquidität zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, dieses Portfolio wird nur sehr graduell anwachsen. Zudem rechnen wir frühestens in 2027 damit, nachdem die EZB zuvor strukturelle Langfristtender eingeführt hat.
Mit welcher Geldpolitik der EZB im zweiten Halbjahr rechnen Sie?
Guntermann: Die EZB scheint sich mit dem aktuellen Zinsniveau von 2% zunehmend wohlzufühlen, um auf mögliche Risiken vorbereitet zu sein. Daran dürfte sich nichts ändern, wenn die Inflation Anfang nächsten Jahres aufgrund von Basiseffekten vorübergehend unter 2% fällt. Wir haben daher jüngst die Erwartung einer weiteren Zinssenkung im September aufgegeben und gehen nun davon aus, dass sie den Einlagensatz mindestens bis Ende nächsten Jahres bei 2% halten wird. Allerdings dürfte die EZB die Tür für weitere Zinssenkungen nicht vollends verschließen. Noch weniger wahrscheinlich ist, dass die EZB proaktiv die Zinsen erhöhen wird, da wir davon ausgehen, dass die Fed die Zinsen bis weit ins nächste Jahr deutlich senken wird und der Euro unter Aufwärtsdruck bleibt, während die Zinslast bereits zum Problem vieler Staaten wird.
Und was erwarten Sie von der Fed?
Rieger: Der Druck auf die Fed, die Zinsen ab September zu senken, ist deutlich gestiegen. Wir erwarten ab dem kommenden Monat insgesamt sechs Zinssenkungen, so dass die Fed Funds Rate bis September nächsten Jahres auf 3% fallen dürfte, was immer noch leicht unter den aktuellen Forwards liegt. Mit den jüngsten schwachen Beschäftigungszahlen und den Abwärtsrevisionen für die Vormonate bröckeln die Argumente für weiteres Abwarten. Gleichzeitig hat der politische Druck und die damit einhergehende Erosion der Fed-Unabhängigkeit mittlerweile ein kritisches Niveau erreicht. Zwar glauben wir nicht, dass Trump Fed-Chef Powell vor Ablauf dessen Amtszeit im Mai nächsten Jahres entlassen wird. Wahrscheinlicher ist, dass Trump frühzeitig einen Nachfolger bekannt gibt und Powell für etwaige wirtschaftliche Rückschläge verantwortlich macht. Früher oder später wird die Fed jedoch anders aussehen. Der politische Druck auf das FOMC, seinem neuen, taubenhaften Vorsitzenden zu folgen, wird enorm werden. Da die konjunkturelle Unsicherheit voraussichtlich hoch bleiben wird, ist davon auszugehen, dass die meisten Mitglieder im Zweifel die Zinsen zu niedrig halten werden.
Wo sehen Sie die zehnjährige Bundrendite und die zehnjährige UST zum Jahresende 2025?
Guntermann: Wir rechnen mit zehnjährigen Bundrenditen von rund 2,7% zum Jahresende, also weiterhin nahe der aktuellen Niveaus. Da die Wachstumsrisiken aufgrund der Zölle hoch bleiben und die Inflation über den Winter voraussichtlich das EZB-Ziel unterschießt, dürften die Renditen bis zum Jahresende noch nicht nachhaltig aus der jüngsten Handelsspanne ausbrechen. Im kommenden Jahr erwarten wir weiter steigende Renditen am langen Ende. Zehnjährige Bundrenditen dürften auf über 3% steigen und 30-jährige Bundrenditen bei knapp 3,5% notieren. Denn die niedrigen Inflationserwartungen des Marktes dürften sich als zu optimistisch herausstellen und die Staatsverschuldung zu einem weiter steigenden Angebot an Bundesanleihen führen. In den USA dürften die Zinssenkungen der Fed einen deutlicheren Anstieg der Renditen am langen Ende verhindern. Die zehnjährige Rendite erwarten wir zum Jahresende bei 4,50%. Mit den erhöhten Inflationsrisiken und einer zunehmend politisierten Notenbank dürften die Marktteilnehmer eine höhere Laufzeitenprämie verlangen, so dass sich die Renditekurve von beiden Seiten versteilen dürfte.
Das Interview führte Kai Johannsen.