GELD ODER BRIEF

Lockheed Martin im Bann der Glaskugel

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 16.6.2017 Ende Mai fand in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad eine äußerst seltsame Zeremonie statt, deren Bilder um die Welt gingen. Mehrere Staatsoberhäupter standen in einem abgedunkelten Raum...

Lockheed Martin im Bann der Glaskugel

Von Dieter Kuckelkorn,FrankfurtEnde Mai fand in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad eine äußerst seltsame Zeremonie statt, deren Bilder um die Welt gingen. Mehrere Staatsoberhäupter standen in einem abgedunkelten Raum zusammen und legten ihre Hände auf eine von innen erleuchtete Glaskugel. Einer der Staatschefs war der amerikanische Präsident Donald Trump, ein anderer der saudische König, dessen Regime Trump und der amerikanischen Rüstungsindustrie gerade gigantische Aufträge in Aussicht gestellt hatte. Weniger das ungewöhnliche Spektakel, aber umso mehr die Großaufträge kamen bei Anlegern, die ihr Auge auf Rüstungsaktien geworfen haben, sehr gut an. Die Kurse von Rüstungsaktien zogen noch einmal kräftig an, nachdem sie bereits seit dem Wahlsieg Donald Trumps kräftig zugelegt hatten. So hatte der S & P-500-Branchenindex Verteidigung seit dem 8. November noch einmal 15 % hinzugewonnen, obwohl er sich im gesamten Jahresverlauf 2016 bereits fest gezeigt hat.Aktuell haben die Aktieninvestoren noch einmal ein wenig draufgelegt. So ist die Aktie des größten amerikanischen Rüstungskonzerns, Lockheed Martin, am 26. Mai auf ein Allzeithoch von 284 Dollar geklettert. Danach gab es zwar leichte Gewinnmitnahmen, sodass der Titel aktuell mit rund 280,53 Dollar notiert. Seit Jahresanfang steht aber nach wie vor ein Kursanstieg von mehr als 12 % zu Buche und auf Sicht von einem Jahr hat sich der Titel um stolze 17 % verteuert. Neue ZeitenDer Konzern gilt als einer der Hauptnutznießer der neuen Zeiten in Washington und insbesondere der hervorragenden Beziehungen zu Saudi-Arabien. Insgesamt stellten die Saudis Aufträge für US-Konzerne im Volumen von mehr als 350 Mrd. Dollar über eine Laufzeit von 10 Jahren in Aussicht. Auf die Rüstungsbranche entfallen davon Aufträge über rund 110 Mrd. Dollar, wobei Lockheed Martin immerhin rund 28 Mrd. Dollar für sich beanspruchen kann – so viel wie kein anderer US-Rüstungskonzern. Das Unternehmen erhält also quasi einen warmen Regen aus der Arabischen Wüste.Saudi-Arabien ist damit der mit Abstand größte ausländische Kunde der US-Rüstungsindustrie. Zu erwarten ist aber, dass auch aus anderen Quellen noch reichlich Gelder in die Kassen der Branche fließen werden. Denn seit der Wahl Trumps haben die internationalen Spannungen deutlich zugenommen. Der neue Präsident hat entgegen seinen Versprechungen im Wahlkampf das US-Engagement in internationalen Konflikten noch einmal deutlich hochgefahren und die Beteiligung der USA an regionalen Kriegen keinesfalls aufgegeben. Dies gilt nicht nur für Syrien, sondern beispielsweise auch für Nordkorea. Und im Südchinesischen Meer haben sich mittlerweile die Spannungen zwischen den USA und China deutlich verschärft, seit die USA immer öfter Kriegsschiffe und Flugzeuge in die Nähe von China beanspruchter Inseln entsenden. Außerdem sehen sich Nato-Mitglieder vor allem aus Osteuropa von einem militärisch wieder erstarkten Russland bedroht. Dies alles spricht dafür, dass in den nächsten Jahren die Rüstungsausgaben der USA als auch der US-Verbündeten steigen werden. Und da ist es für Lockheed Martin beispielsweise ein großer Vorteil, dass der Konzern mit der F-35 Lightning II nicht nur das derzeit einzige in Produktion befindliche Kampfflugzeug der fünften Generation der westlichen Welt im Angebot hat, sondern mittlerweile auch viele andere Technologien offerieren kann – von Küstenkampfschiffen über Kampfhubschrauber bis hin zur Abwehr von Interkontinentalraketen.Die Ertragslage war zuletzt nicht schlecht. Im ersten Quartal wurde mit einem Ergebnis je Aktie von 3 Dollar die Konsensschätzung von 2,76 Dollar deutlich übertroffen. Allerdings blieben die Erlöse mit 11,06 Mrd. Dollar (+ 6,6 % gegenüber Vorjahr) hinter den Erwartungen von 11,26 Mrd. Dollar zurück. Das Management rechnet für 2017 jetzt mit einem Ergebnis je Aktie zwischen 12,15 Dollar und 12,45 Dollar, was übrigens eine Reduzierung der bisherigen Prognose (12,25 bis 12,55 Dollar) darstellt.Insgesamt sind die Analysten daher eher skeptisch. Von insgesamt 23 Banken, die von Bloomberg erfasst werden, raten nur zehn zum Kauf der Aktie. 13 Häuser empfehlen ihren Kunden lediglich, die Aktie im Portfolio zu halten. Immerhin aber gibt es derzeit keine Verkaufsempfehlung. Kurspotenzial sehen die Analysten indes kaum. Laut Bloomberg liegt das durchschnittliche Zwölf-Monats-Kursziel der Analysten bei 289,38 Dollar. Bezogen auf den aktuellen Kurs der Aktie wäre dies ein magerer Anstieg von gerade einmal 3 %.Dies liegt unter anderem daran, dass die Aktie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Analystenerwartungen für die kommenden zwölf Monate von 22,2 keinesfalls billig ist. Die positiven Aussichten für das Unternehmen und die Branche sind somit zu einem großen Teil bereits eingepreist. Technologische RisikenAußerdem gibt es für Rüstungskonzerne wie Lockheed große technologische Risiken, die schnell zu hohen finanziellen Belastungen führen können. So zweifeln viele Branchenbeobachter daran, ob die F-35 angesichts zahlreicher technischer Unzulänglichkeiten jemals ein Kampfflugzeug sein wird, das seinen nagelneuen russischen und chinesischen Opponenten wie der Sukchoi PAK FA (T-50) und der Chengdu J-20 ebenbürtig ist. Dies stellt zukünftige Absatzerfolge des Megaprojekts in Frage. Erst im April hieß es, dass die Flugtests der F-35 ein Jahr länger dauern werden und mindestens 1 Mrd. Dollar mehr kosten. Auch ein Verteidigungsministerium wie das Pentagon mit mehr als 700 Mrd. Dollar Budget hat angesichts seiner globalen Ambitionen kein Geld zu verschenken. Zwar wird das Pentagon Lockheed Martin niemals pleitegehen lassen. Ob die Rüstungsprojekte für die Lockheed-Aktionäre zum warmen Geldregen werden, kann derzeit aber wohl höchstens der Blick in eine Glaskugel enthüllen.