Geld oder BriefModerna

Meistgeshortete Aktie im S&P 500 leidet unter US-Impfpolitik

Der einstige Corona-Gewinner Moderna steht an der Börse schwer unter Druck. Eine Neufokussierung soll mittelfristig den Befreiungsschlag bringen.

Meistgeshortete Aktie im S&P 500 leidet unter US-Impfpolitik

Geld oder Brief

Schwächelnde Moderna lockt Shortseller

Von Alex Wehnert, New York

Moderna nimmt derzeit eine wenig begehrte Spitzenposition ein. Denn die Aktie des Impfstoffentwicklers ist seit Ende September das am stärksten leerverkaufte Papier im S&P 500, wie Auswertungen des Analysehauses S3 Partners zeigen. Insgesamt haben Shortseller zwischen Anfang Januar und Ende der vergangenen Handelswoche nicht realisierte Gewinne von 622 Mill. Dollar in dem Titel angehäuft. Bisher hat die Aktie im laufenden Jahr mehr als 40% ihres Werts eingebüßt und ist wieder auf Kursniveaus abgerutscht, die sie zuletzt vor Ausbruch der Corona-Pandemie markiert hatte.

Die Analystenstimmung ist ebenfalls nicht gerade überschwänglich. In der Datenbank des Dienstleisters Refinitiv stehen den vier Kaufempfehlungen ebenso viele „Verkaufen“-Vota gegenüber, darunter ein „Strong Sell“-Rating. Unterdessen raten 16 Analysten dazu, den Titel zu halten. Dass das durchschnittliche Kursziel mit 37,32 Dollar gegenüber den zuletzt markierten Niveaus ein Aufwärtspotenzial von nahezu 50% impliziert, führen Beobachter vorrangig darauf zurück, dass einige Investmenthäuser ihre Prognosen nicht schnell genug an die Talfahrt der Aktie angepasst haben.

Impflust der Amerikaner sinkt

Der dramatische Absturz ist auf eine mangelnde Impflust der Amerikaner zurückzuführen. Als Moderna 2021 in den S&P 500 aufstieg, waren die auf mRNA-Molekülen basierenden Vakzine der Bostoner eins der zentralen Mittel zur Bekämpfung der globalen Seuche. Die US-Regierung lenkte gewaltige Fördermittel an das Unternehmen, um den Impfstoff schnell zur Marktreife zu bringen, und kaufte Moderna hunderte Millionen Dosen ab. Auch die Europäische Kommission wurde zum Großkunden und war seinerzeit für 32% des Umsatzes des Biotech-Pioniers verantwortlich.

Für den französischen Vorstandschef Stéphane Bancel war seine Beteiligung plötzlich mehrere Milliarden Dollar wert, nachdem die Marktkapitalisierung durch die Decke schoss. Seither hat sich der Börsenwert von zeitweise über 200 auf nunmehr unter 10 Mrd. Dollar reduziert. Moderna, deren operative Marge einst sogar die von Warren Buffetts Konglomerat Berkshire Hathaway in den Schatten stellte, ist seit 2023 nicht mehr profitabel. Die jährlichen Erlöse sind gegenüber 2021 zuletzt um 80% gefallen.

Denn wie die Investmentbank Jefferies in einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Analyse errechnet hat, ist die Zahl der Amerikaner, die sich gegen das Corona-Virus impfen lassen, gegenüber dem Vergleichszeitpunkt 2024 zuletzt nahezu um ein Viertel zurückgegangen. Die Entwicklung hat sich unter US-Präsident Donald Trump verstärkt, da insbesondere sein Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. den Healthcare-Sektor durchrüttelt.

„Gefahr für die Gesundheit“

Letztgenannter Politiker verbreitet wiederholt impfkritische Falschinformationen. Bereits im Juni entließ er alle 17 Mitglieder eines Gremiums, das die für die Kontrolle von Infektionskrankheiten zuständige Behörde CDC zu Vakzinen berät. Der Minister warf ihnen Interessenskonflikte vor und berief neue Berater – viele davon gelten als Verschwörungstheoretiker, die Impfstoffe als schädlich einstufen. Zwei Monate nach der Rochade schränkte Kennedy die Empfehlungen der Regierung für Covid-Impfstoffe ein.

Nicht nur Demokraten im Kongress bezeichnen Kennedys Politik als „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ – auch an der Wall Street werden kritische Stimmen laut. So forderten die Analysten von Cantor Fitzgerald bereits Ende März eine Absetzung des Gesundheitsministers. Zuvor hatte Kennedy den Rücktritt des FDA-Offiziellen Peter Marks erzwungen, der für die Regulierung von Impfstoffen zuständig war.

Bekenntnis von Trump

Die Biotech-Strategen von Cantor Fitzgerald sprachen von einer „Attacke auf die Wissenschaft“. Es stünden durch Kennedys Politik nicht nur Pharma-Gewinne auf dem Spiel, sondern auch Menschenleben. Trump gab im September indes ein klares Bekenntnis zu seinem Gesundheitsminister ab, als er bei einem gemeinsamen Auftritt im Weißen Haus nicht nur vor dem Einsatz des Schmerzmittels Tylenol in der Schwangerschaft warnte, sondern auch empfahl, Kindern die Vakzine gegen Masern, Mumps und Röteln getrennt zu verabreichen. Dies, obwohl in den Vereinigten Staaten ebenso wie im Rest der Welt Kombinationsimmunisierungen gegen die drei Krankheiten üblich sind und Ärzten in der Regel gar keine separaten Impfstoffe zur Verfügung stehen.

Moderna will sich gegen die adverse Kapitalmarktstimmung stemmen. Mitgründer und Chairman Noubar Afeyan betonte gegenüber der „Financial Times“ zuletzt, die hohe Leerverkaufsaktivität beeinflusse das Unternehmen nicht in seinen Entscheidungen. Stattdessen geht der Verwaltungsratsvorsitzende in die Offensive: Die Menschen hätten aus den Augen verloren, dass sie eine potenzielle Infektionsquelle für andere darstellten. Wer sich nicht impfen lasse, sei „kein unschuldiger Zuschauer, sondern ein Täter“.

Trendwende angepeilt

Moderna, die aufgrund ihrer bisher engen Fokussierung auf Impfstoffe nach Ansicht von der Investmentbank William Blair kein gutes Akquisitionsziel für einen großen Pharmakonzern darstellt, will Tore zu neuem Wachstum aufstoßen. So sollen ausgeweitete Verkäufe in Märkte abseits der USA das nötige Cash generieren, um die Forschung an der Anwendung von mRNA-Technologie gegen Krebs voranzutreiben.

Mit den Ergebnissen zum dritten Quartal überraschte Moderna zuletzt bereits positiv, der Umsatz ging weniger stark zurück als befürchtet und der Verlust reduzierte sich gegenüber den ersten neun Monaten 2024 deutlich. Mit den angekündigten radikalen Kostensenkungen kommt das Unternehmen nach eigenen Angaben schneller voran als erwartet, zugleich hat das Management die Prognose für die Entwicklung der Cash-Reserven aufgehellt. Dennoch zweifeln Investoren daran, dass Moderna wie angekündigt bis 2028 wieder schwarze Zahlen schreibt. Jedes Signal in die andere Richtung dürfte Shortsellern neuen Rückenwind verleihen.