GELD ODER BRIEF

Mit ProSiebenSat.1 im falschen Film

Von Joachim Herr, München Börsen-Zeitung, 20.10.2017 Es läuft nicht so gut für ProSiebenSat.1. Aktionäre, die seit dem Aufstieg in den Dax vor eineinhalb Jahren dabei sind, fühlen sich wie im falschen Film: Die Aktie verlor seitdem ein Drittel...

Mit ProSiebenSat.1 im falschen Film

Von Joachim Herr, MünchenEs läuft nicht so gut für ProSiebenSat.1. Aktionäre, die seit dem Aufstieg in den Dax vor eineinhalb Jahren dabei sind, fühlen sich wie im falschen Film: Die Aktie verlor seitdem ein Drittel ihres Werts. Ein wesentlicher Grund: Im Fernsehgeschäft liegt das Unternehmen zwar weiterhin vor der RTL-Gruppe. Doch es verliert Anteile im Zuschauer- und Werbemarkt, während der Konkurrent aufholt. Die Geschäftszahlen für das vergangene Quartal veröffentlicht ProSiebenSat.1 am 9. November. Schon Ende August warnte der Konzern in Unterföhring bei München jedoch davor, dass der Umsatz im TV-Segment von Juli bis September um einen mittleren einstelligen Prozentwert sinken wird – wegen schwächerer Werbeerlöse.Es war bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass die Prognosen für den Werbemarkt und den eigenen Werbeumsatz gekappt wurden. Da wichtige Werbekunden wie Konsumgüterkonzerne ihre Budgets kürzen und große Agenturen eine Flaute beklagen, war das keine riesige Überraschung. Allerdings hatte sich der Vorstand von ProSiebenSat.1 nur vier Wochen zuvor noch optimistischer geäußert. Und der Rivale RTL Deutschland konterte mit der Erwartung, dass seine TV-Werbeumsätze im dritten Quartal um 3 % wachsen werden. RTL kommt besser anSo drängt sich die Frage auf: Leidet ProSiebenSat.1 unter internen Problemen? Oder handelt es sich eher um eine strukturelle Marktschwäche, der RTL ein Schnippchen schlagen kann? Tatsache ist, dass die RTL-Gruppe mit ihrem Programm derzeit besser als der Rivale im Publikum ankommt, vor allem in der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen. Ein Beispiel ist der Erfolg der “Höhle der Löwen” auf dem Sender Vox – eine Unterhaltungsshow, in der sich Unternehmensgründer präsentieren. Das spricht für die erste These. Ein Argument für die zweite ist, dass sich immer mehr Zuschauer von Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Prime unterhalten lassen.Die Aktienanalysten von Berenberg erkennen allerdings Anzeichen, dass sich das TV-Werbegeschäft bis Jahresende erhole. Große Kunden wie Henkel, Unilever, Danone und Reckitt Benckiser hätten angedeutet, in der zweiten Jahreshälfte mehr auszugeben – auch weil sie neue Produkte auf den Markt bringen wollen. Zudem gewannen die Analysten nach Gesprächen mit Agenturen und Werbekunden den Eindruck, dass nicht mit einem dauerhaften Verschieben des Geschäfts von ProSiebenSat.1 zu RTL zu rechnen sei.Die Deutsche Bank berichtete in dieser Woche sogar von einer plötzlichen Erholung der für das vierte Quartal gebuchten Werbung auf den Sendern von ProSiebenSat.1. Dennoch hielt sie an der Einstufung “Halten” fest und senkte das Kursziel von 36 auf 34 Euro.Berenberg reduzierte es wegen geringerer Gewinnaussichten von 44 auf 42 Euro. Vom aktuellen Wert blieben aber immerhin noch rund 12 Euro Luft nach oben. Deshalb lohnt sich aus Sicht der Analysten ein Kauf des Titels, der zudem nach der Warnung vor niedrigeren Werbeerlösen und dem Absturz Ende August überverkauft sei. Sie argumentieren auch damit, dass das Niveau auf dem zuletzt vor drei Jahren erreichten Tiefpunkt liege. Dabei habe das Unternehmen seitdem das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen um 30 % gesteigert und sein Geschäft stärker diversifiziert.Ebenfalls optimistisch blickt die britische Bank HSBC auf ProSiebenSat.1: Die niedrigen Erwartungen des Marktes seien im dritten Quartal erfüllt oder übertroffen worden. Im Schlussabschnitt dieses Jahres würden die gesenkten Konsensschätzungen komfortabel erreicht. Auch die HSBC empfiehlt, die Aktie zu kaufen, und steckt das Kursziel auf 35 Euro. Mehr Dynamik in SichtWeniger zuversichtlich äußern sich dagegen Independent Research und UBS. Beide Häuser stufen den Titel mit einem Kursziel von 32 Euro “neutral” beziehungsweise mit “Halten” ein. Die Dynamik sollte zwar wieder anziehen, aber die Bedingungen im Werbemarkt blieben herausfordernd, lautet die Einschätzung der Schweizer Bank.Mehr Dynamik im Unternehmen und für den Kurs erhoffen sich die Aktionäre von einer neuen Konzernstruktur, die der Vorstand auf dem Kapitalmarkttag am 6. Dezember vorstellen will. Zu erwarten ist, dass das Fernsehgeschäft mit der Internet-Unterhaltungssparte (Digital Entertainment) zusammengelegt wird. Davon erhofft sich der Vorstand nach zwei bis drei Jahren “nennenswerte Kostensynergien”. Außerdem holt er nach, was andere Medienkonzerne schon vorgemacht haben.Zudem regt das Management an der Börse die Fantasie an mit der Idee, für die Programmproduktion und den Online-Handel Partner als Co-Investoren ins Boot zu holen. Auch über eine Börsennotierung wird nachgedacht. Für die letzte Variante halten die Analysten von Berenberg das Geschäft mit der Produktion von Inhalten allerdings für zu klein. Angesichts stolzer Marktpreise von Vergleichsportalen für Verbraucher wie Moneysupermarket.com und Gocompare.com in Großbritannien vermuten sie aber, dass ein Börsengang von Verivox gut aufgenommen würde. Seit zwei Jahren hält ProSiebenSat.1 80 % der Anteile an dem Internetunternehmen, das auch dank der Fernsehwerbung kräftig wächst. Wackliges Dax-MitgliedBisher hat sich die Aussicht auf Neues jedoch kaum im Aktienkurs niedergeschlagen. Seit dem Absturz Ende August auf ein Niveau von 28 Euro legte der Titel gerade einmal 8 % zu. ProSiebenSat.1 muss um die Mitgliedschaft im Dax bangen. Die Marktkapitalisierung des Streubesitzes von knapp 7 Mrd. Euro übertreffen gleich acht Unternehmen im MDax (ohne Airbus): Den größten Vorsprung hat die Deutsche Wohnen mit ihren 13 Mrd. Euro. Im TecDax liegt Wirecard mit 9 Mrd. Euro vor dem Fernseh- und Internetkonzern.Im Vorteil zu diesen Konkurrenten ist ProSiebenSat.1 dank eines höheren Handelsumsatzes der Aktie. Deshalb blieb der Wert nach dem 5. September im deutschen Börsenoberhaus. Da hatte die Deutsche Börse zuletzt die Zusammensetzung ihrer Indizes überprüft. Die nächste Stunde der Wahrheit steht am 5. Dezember an – einen Tag vor dem Kapitalmarkttag von ProSiebenSat.1.