Im GesprächCarsten Mumm, Chefvolkswirt Donner & Reuschel

Mumm sieht gute Anlagechancen in Schwellenländern

Carsten Mumm, der Chefvolkswirt von Donner & Reuschel, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung über Stress im Bankensystem, Fed und EZB und Gelegenheiten an den Aktienmärkten.

Mumm sieht gute Anlagechancen in Schwellenländern

Im Gespräch: Carsten Mumm

„Schwellenländer bieten gute Chancen“

Der Chefvolkswirt von Donner & Reuschel über Stress im Bankensystem, Fed und EZB und Gelegenheiten an den Aktienmärkten

Carsten Mumm, der Chefvolkswirt von Donner & Reuschel, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung über Stress im Bankensystem durch den Wechsel im Zinsregime, die Geldpolitik von Fed und EZB vor dem Hintergrund der hartnäckigen viel zu hohen Teuerung. Und welche Gelegenheiten sich an den Aktienmärkten bieten.

Von Werner Rüppel, Frankfurt

Sowohl in Europa mit der Credit Suisse als auch in den USA mit u.a. der SVB und First Republic sind zuletzt Banken in große Schwierigkeiten geraten. Einige Beobachter stellen eine sich ausweitende Bankenkrise fest und ziehen Analogien zur großen Finanzkrise 2008, als mit Lehman Brothers eine der größten Investmentbanken der Welt pleiteging. „Ich würde eher von Bankenbeben sprechen, in meinen Augen haben wir keine systemische Krise wie im Jahr 2008“, sagt Carsten Mumm, Chefvolkswirt von Donner & Reuschel, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Was wir aber gewiss haben, ist Stress im Bankensystem, resultierend aus einem Wechsel im Zinsregime. Dieser Wechsel hat Auswirkungen auf liquide und illiquide Assets, auf Private Markets und auch auf den Immobiliensektor.“ Der Stress im Bankensystem treffe nicht alle, aber bestimmte Institute. „In dieser Stresssituation hat es mit der SVB und der Credit Suisse die zwei schwächsten Glieder im Bankensystem getroffen“, sagt Mumm.

„Insgesamt stehen die Banken aber derzeit sehr viel besser da als 2008. Das Bankensystem hat sich sehr viel stabiler als damals erwiesen, auch weil die staatlichen Institutionen inklusive der Notenbanken eingegriffen haben und die richtigen Stützungsmaßnahmen ergriffen haben“, erläutert der Chefvolkswirt. „Damit wurde eine potenzielle Bankenkrise bereits im Keim erstickt, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus 2008.“ Jedenfalls seien die Notenbanken, die Aufsichtsbehörden und andere staatliche Institutionen wachsam und würden dafür sorgen, dass es keine große Finanzkrise wie 2008 und 2009 gebe. Vor der Presse habe Fed-Chef Jerome Powell nach der jüngsten Notenbanksitzung klargestellt, dass das Bankensystem stabil sei, doch vollführe die Fed eine Gratwanderung, bei der sie mit der Inflationsbekämpfung und der Sicherung der Finanzstabilität zwei teilweise konträre Zielsetzungen gleichzeitig erreichen müsse. „Der nach wie vor vorhandene Stress im US-Bankensystem wird auch durch weiter sinkende Einlagen bei Kreditinstituten deutlich“, erklärt Mumm.

Weitere Anhebung wahrscheinlich

Die EZB habe wie die Fed gerade ihre Leitzinsen um 25 Basispunkte angehoben, hätte aber nach Meinung von Mumm mit einem größeren Zinsschritt ein klareres Signal geben können, dass sie weiterhin mit aller Kraft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen möchte, um den noch immer deutlich zu hohen Inflationsdruck zeitnah abzumildern. „Angesichts der zuletzt wieder gestiegenen Inflationsraten in Italien, Spanien und Frankreich sowie der gerade erst einmal marginal gesunkenen Kerninflation in der Eurozone hätte sie die Argumente dafür auf ihrer Seite“, sagt Mumm. „Offensichtlich haben aber die Tauben im EZB-Rat einen größeren Zinsschritt verhindert. Damit bleibt eine weitere Zinsanhebung um mindestens 0,25 Prozentpunkte im Juni wahrscheinlich.

Hartnäckig zu hohe Inflation

Durch die Entscheidung, die Wiederanlage der im Rahmen des APP-Programms erworbenen Wertpapiere ab Juli komplett zu stoppen, werde die noch immer reichlich vorhandene Überschussliquidität im Eurosystem etwas schneller als bisher (um durchschnittlich knapp 30 Mrd. Euro monatlich anstatt wie bisher 15 Mrd.) abgebaut. Zudem werde die in den letzten Jahren massiv ausgedehnte EZB-Bilanz über die Rückzahlungen der langfristigen Ausleihungen an Banken in der Eurozone (TLTRO) – die nicht verlängert werden – bis zum Sommer um mehr als 2 Billionen Euro reduziert. Ein Problem in der Eurozone sei die hartnäckig zu hohe Inflation. „Die Teuerungsrate in der Eurozone wird zwar zurückgehen, dürfte aber zunächst noch relativ hoch bleiben, deutlich höher als das Zwei-Prozent-Ziel der EZB“, sagt Mumm. „Das Problem ist die hohe Kernrate. Die EZB hat sehr klar kommuniziert, dass die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale und eine höhere Teuerung infolge von steigenden Gewinnmargen für sie Probleme sind.“ Die Kernrate sei letztendlich schwer durchschaubar. „Aber solange die Inflation hoch ist und deutlich über dem Ziel der EZB liegt, brauchen wir über eine Leitzinssenkung der EZB gar nicht erst zu reden“, erklärt Mumm. Letztendlich bereite die überbordende Teuerung der EZB doch erhebliche Sorgen. „Hinsichtlich der Entwicklung der Leitzinsen ist die aktuelle Einschätzung der Märkte wahrscheinlich zu optimistisch“, meint Mumm.

Die steigenden Zinsen wirkten sich in der gesamten Volkswirtschaft aus. „So stiegen die Unternehmensinsolvenzen wieder und dürften auch weiter steigen“, sagt Mumm. „Dabei handelt es sich allerdings zu einem Gutteil um eine Normalisierung ausgehend von einem abnormal niedrigen Niveau. Gleichwohl gilt natürlich: Mit steigenden Zinsen werden die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen natürlich rauer. Die Folge ist durchaus eine gewisse Marktbereinigung.“

Wachstumsschub in Südostasien

Wichtig für die Entwicklung der Weltwirtschaft insgesamt, aber auch für die Perspektiven an den Wertpapiermärkten sei, was mit China passiere. „China wächst sehr sehr kräftig und dürfte auch in den kommenden Quartalen kräftig wachsen“, meint Mumm. „Insbesondere steht ganz Südostasien vor einem kräftigen Wachstumsschub. Hingegen verläuft das Wachstum in den Industriestaaten relativ blutleer.“ Investoren sollten dies nach Meinung des Volkswirts auch bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen. „Insbesondere die Aktienmärkte der Schwellenländer bieten wieder gute Chancen“, sagt Mumm. „Sie sind relativ niedrig bewertet und profitieren von der Wiederöffnung Chinas nach der Pandemie. Daher sollte man in den Schwellenländern engagiert sein.“ Eine Ursache für die derzeit schwächelnde globale Industriedynamik sei, dass das überraschend positive Wirtschafswachstum Chinas im ersten Quartal vor allem im Dienstleistungsbereich erzeugt wurde, während der Anteil der Industrieproduktion im Vergleich zu den Vorquartalen unterdurchschnittlich ausgefallen sei.

Bei US-Aktien sei hingegen Vorsicht geboten. „Denn durch die höheren Zinsen dürfte die US-Wirtschaft in eine Rezession rutschen“, so Mumm. „Auch sind US-Titel allgemein und US-Technologieaktien im Besonderen hoch bewertet.“ Diese Bewertung werde durch höhere Zinsen in Frage gestellt. Hinzu komme, dass auf Unternehmensseite in den USA die Refinanzierung von Kreditschulden deutlich teurer werde.

Langfristig auf Aktien setzen

Deutsche und europäische Aktien profitierten von ihrem zyklischen Charakter. „Auch besteht keine Gasmangellage wie noch vor Jahresfrist befürchtet. Hinzu kommt die konjunkturelle Besserung durch die Öffnung Chinas“, erklärt Mumm. Am deutschen Aktienmarkt sollten Anleger nach Meinung des Chefvolkswirts kurzfristig eher vorsichtig agieren. „Denn nach den deutlichen Kursgewinnen in den ersten Monaten des neuen Jahres ist jetzt eine Korrektur durchaus wahrscheinlich.“

Langfristig sollten Investoren aber durchaus auf Dividendentitel und insbesondere auch deutsche Aktien setzen. „Ein Rücksetzer in den nächsten Monaten könnte eine Einstiegsgelegenheit sein“, erklärt Mumm. „In einem inflationären Umfeld sind vor allem Real Assets gefragt. Diese tragen am besten dazu bei, reale Werte zu sichern.“