InterviewJanet Wilkinson und Bryan Pascoe, ICMA

„Nachfrage der Investoren nach US-Staatsanleihen ist robust“

Der Anstieg der US-Schulden wird für Anleger ein immer wichtigeres Thema. Derzeit sieht die ICMA aber noch eine robuste Nachfrage nach US-Staatsanleihen.

„Nachfrage der Investoren nach US-Staatsanleihen ist robust“

Frau Wilkinson und Herr Pascoe, seit der ICMA-Konferenz im vorigen Jahr ist für die internationalen Anleihemärkte die zunehmende Emission von Staatsanleihen, aber auch von Anleihen anderer Emittenten, ein wichtiges Thema geworden. Sehen Sie dies bei der ICMA kritisch, oder werden die Märkte dies in den kommenden Jahren noch verkraften können?

Wilkinson: In den vergangenen zwölf Monaten ist die Emission von Staatsanleihen stark angestiegen. In Großbritannien und Europa wurden Staatsanleihen im Wert von fast 2 Bill. Euro brutto emittiert, was einem Anstieg von ca. 8% gegenüber dem vorherigen Zeitraum entspricht. Dieser Anstieg ist auf mehrere miteinander verknüpfte wirtschaftliche, steuerliche und geopolitische Faktoren zurückzuführen. Das sind die durch die Pandemie ausgelösten steuerlichen Anreize, anhaltende Haushaltsdefizite, höhere Zinssätze und Kosten für den Schuldendienst, der Bedarf an Umwelt- und Infrastrukturinvestitionen, Energiesicherheit und Verteidigungsausgaben, das schwache Wirtschaftswachstum sowie die quantitative Straffung und die verringerten Käufe der Zentralbanken. Die Zuversicht ist groß, dass dieser Anstieg der Emissionen aufgefangen werden kann, aber die Frage ist, zu welchem Preis und an welcher Stelle der Kurve.

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Also, zu höheren Kosten?

Wilkinson: Es ist wichtig zu wissen, dass die Renditekurven unabhängig von der Höhe der Renditen steiler geworden sind, da die Laufzeitprämien von einem sehr niedrigen Niveau aus angestiegen sind. Eine erhöhte Absorption wird also wahrscheinlich mit höheren Renditen korreliert sein. Trotz des steigenden Emissionsvolumens haben sich die Anleihe- und Repomärkte als widerstandsfähig erwiesen. Und das ist die Rolle, die die ICMA sowohl auf den Primär- und Sekundärmärkten als auch auf den Repo-Märkten spielt, um einen Rahmen für effizientes Funktionieren und kontinuierliche Liquidität zu schaffen. Der Schlüssel liegt in der Aufrechterhaltung gut funktionierender Primär- und Sekundärmärkte und der Vermeidung regulatorischer Beschränkungen, die unbeabsichtigt die Markttiefe beeinträchtigen könnten.

Viele Länder haben eine neue Verteidigungsagenda auf den Weg gebracht und in Deutschland gibt es auch eine neue Schuldenregelung. Sollte diese Belastung aus Sicht des Anleihemarktes kritisch gesehen werden?

Wilkinson: Die Verteidigungs- und Sicherheitsagenda und ihre Auswirkungen auf die Finanzmärkte sind ein zentrales Thema, das derzeit aufmerksam verfolgt wird. Steigende Verteidigungsausgaben erfordern eine kontinuierliche staatliche Finanzierung, wahrscheinlich über die Staatsanleihemärkte, und werden den allgemeinen Anstieg der Emissionen und den fiskalischen Druck noch verstärken. Wie bereits erwähnt, geht es aus Sicht der Kapitalmärkte weniger um den Zweck der Schulden als vielmehr um ihre Auswirkungen auf Finanzierungskosten, Laufzeitprämien, Liquidität und Nachhaltigkeit. Die Märkte werden transparente, glaubwürdige fiskalische Rahmenbedingungen verlangen. Entscheidend ist, dass die Infrastruktur der Anleihemärkte und die Koordinierung der Politik entsprechend angepasst werden – darauf richtet die ICMA ihre Aufmerksamkeit.

Wird der US-Schuldenaufbau und damit die Belastung des Anleihemarktes in den USA zu einem Problem für die Märkte, wenn sich z.B. immer mehr ausländische Investoren nach und nach aus dem Markt für US-Staatsanleihen zurückziehen?

Pascoe: Der Markt für US-Staatsanleihen spielt eine grundlegende Rolle für die globalen Kapitalmärkte, und jede strukturelle Veränderung der Nachfragedynamik wird genau beobachtet. Die Nachfrage ist trotz der Schlagzeilen und der Nervosität der Märkte in letzter Zeit insgesamt robust geblieben, aber wir sehen, dass der Anstieg der US-Schulden und die potenzielle Belastung der Anleihemärkte eine sehr reale Frage ist, die die Anleger beschäftigt. Sollte es zu einem anhaltenden Rückzug ausländischer Investoren kommen, würden wir wahrscheinlich eine größere Volatilität und einen Druck auf die Liquidität erleben. Aus diesem Grund werden Reformen wie der Vorstoß der SEC für ein zentrales Clearing von US-Staatsanleihen so intensiv diskutiert, und die ICMA ist eng in dieses Engagement eingebunden.

Können Finanzintermediäre außerhalb des Bankensektors, also Non-Bank Financial Institution NBFI, wie z.B. die Private Debt Markets, hier eine Rolle spielen?

Pascoe: Auf jeden Fall. Das Wachstum der privaten Schuldenmärkte und anderer Formen der Nicht-Banken-Intermediäre verändert die Marktstruktur und die Risikoübertragung. Die Hebelwirkung in diesen Sektoren kann Schocks verstärken, insbesondere in Stresssituationen. Aus diesem Grund hat sich die ICMA intensiv an den jüngsten Konsultationen des Financial Stability Board zum Thema Leverage und makroprudenzieller Rahmen für Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors beteiligt. Das Verständnis von Verflechtungen und Datenlücken ist für einen fundierten Regulierungsansatz unerlässlich. Es ist jedoch sehr wichtig, die kritische Rolle anzuerkennen, die NBFIs heutzutage auf dem Markt spielen, sowohl in Bezug auf die Nachfrage als auch auf die Bereitstellung von Liquidität, so dass der Markt gefördert und angemessen reguliert werden muss.

Brauchen wir eine stärkere Überwachung der privaten Schuldenmärkte?

Pascoe: Wir glauben eher an einen verhältnismäßigen, risikobasierten Ansatz als an eine pauschale Aufsicht. Insbesondere im Bereich der Privatkredite gibt es viele offene Punkte, und der Bereich wächst sehr schnell, mit erheblichen Verflechtungen mit anderen Marktteilnehmern und begrenzter Transparenz.

Die ICMA hat sich für eine länderübergreifende Koordination und die Nutzung bestehender Rahmenwerke eingesetzt, wo immer dies möglich ist, um Daten, Informationsaustausch und Koordination zu verbessern. Ziel sollte es sein, die Vorteile dieser Märkte – wie die Diversifizierung der Finanzierungsquellen – zu erhalten und gleichzeitig sicherzustellen, dass die systemischen Risiken angemessen überwacht werden.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der internationalen Finanzmärkte und Kapitalströme inmitten von Deglobalisierung, wirtschaftlicher Fragmentierung und geopolitischen Verschiebungen?

Wilkinson: Es handelt sich zweifellos um ein herausforderndes, aber auch spannendes Umfeld, das eine große Chance darstellt. Die Kapitalmärkte sind nach wie vor global vernetzt, und die grenzüberschreitenden Portfolioströme halten an, aber es gibt Verschiebungen bei den Kapitalströmen und eine Neubewertung der Risiken. Hier ist die ICMA als führender globaler Branchenverband so wichtig, um die langfristigen Investitionen und die Widerstandsfähigkeit der Kapitalmärkte zu unterstützen, zumal geopolitische Verschiebungen den Bedarf an diversifizierten Finanzierungsquellen und regionaler Finanzentwicklung erhöhen. Die globale Mitgliedschaft und Reichweite der ICMA – einschließlich der Arbeit in Asien, Afrika und dem Nahen Osten – spiegelt unsere Überzeugung wider, dass internationale Zusammenarbeit und Marktstandardisierung auch bei zunehmender Fragmentierung der Welt von entscheidender Bedeutung bleiben.

Was die Deregulierung und Vereinfachung betrifft, so bewegt sich die EU in Richtung Vereinfachung. Was halten Sie von dem Ansatz?

Pascoe: Wir begrüßen den breiteren Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und Vereinfachung. Die ICMA unterstützt seit langem Bemühungen, die Fragmentierung zu verringern und die regulatorische Kohärenz zu verbessern. Die Agenda der Spar- und Investitionsunion – SIU – und Initiativen wie das Omnibus-Paket für nachhaltige Finanzen sind Zeichen dafür, dass die Kommission auf das Feedback des Marktes reagiert. Die Umsetzung muss praktisch und verhältnismäßig sein. Vereinfachung ja, aber nicht auf Kosten einer wirksamen Aufsicht oder der Marktstabilität.

Wie sieht es im Vereinigten Königreich aus? Ist die Zusammenarbeit mit der Financial Conduct Authority – FCA – hier konstruktiver?

Pascoe: Der britische Regulierungsrahmen hat seit dem Brexit seinen eigenen Ansatz entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Marktintegrität liegt. In vielerlei Hinsicht ist die FCA nun in der Lage, einen flexibleren und agileren Ansatz zu verfolgen als ihre Pendants in der EU, und wir unterstützen eine Angleichung, wo immer dies möglich ist. Die ICMA führt einen konstruktiven Dialog mit der FCA und dem britischen Finanzministerium und unterstützt deren Bemühungen, bestimmte Regeln neu zu kalibrieren, wo dies sinnvoll ist. Wir arbeiten auch eng mit den britischen Behörden bei der Umsetzung von T+1 und der Reform der Transparenz des Anleihemarktes zusammen.

Wie sieht es mit Ihren Initiativen zum Aufbau von Kapazitäten in China aus?

Pascoe: Unser Engagement in China wird weiter vertieft. Wir sondieren Möglichkeiten mit Institutionen wie der Central University of Finance and Economics im Bereich der nachhaltigen Finanzausbildung und engagieren uns zunehmend in Brancheninitiativen zur Digitalisierung und Green Finance. China ist eine strategische Priorität für die ICMA, und wir sehen ein echtes Potenzial für den Austausch internationaler Best Practices und den Aufbau von Verbindungen zu globalen Märkten. Wir haben eng mit den Behörden sowohl auf dem Festland als auch in Hongkong zusammengearbeitet, um dies auf den Anleihe- und Repo-Märkten zu unterstützen.

Und wie sieht es in anderen Regionen aus?

Pascoe: Saudi-Arabien war in diesem Jahr ein wichtiger Markt. Die dortigen Behörden konzentrieren sich sehr stark auf die Entwicklung ihrer Anleihe- und Derivatemärkte, sowohl durch Gesetzesinitiativen als auch durch Veränderungen der Marktstruktur. Zu Beginn dieses Jahres haben wir eine große Veranstaltung in Riad abgehalten und arbeiten mit der Finanzakademie an maßgeschneiderten Ausbildungsprogrammen zum Aufbau von Kapitalmarktkompetenz zusammen. In Westafrika haben wir kürzlich eine hochkarätige regionale Veranstaltung abgehalten, die sich auf Innovation und nachhaltige Entwicklung der lokalen Anleihemärkte konzentrierte. Unsere Aufgabe dort ist es, die Marktentwicklung von Grund auf zu unterstützen und mit öffentlichen und privaten Akteuren zusammenzuarbeiten, um langfristige Finanzierungskapazitäten aufzubauen.

Im Interview: Janet Wilkinson und Bryan Pascoe

„Investorennachfrage nach US-Staatsanleihen robust“

ICMA Chair und CEO: Steigende Verteidigungsausgaben verstärken Druck bei Bond-Emissionen – Veränderte Marktstrukturen durch private Schuldenmärkte

Der US-Staatsanleihemarkt steht im Fokus der Investoren. Derzeit sehen Janet Wilkinson, Chair der International Capital Market Association (ICMA), und Bryan Pascoe, CEO der ICMA, aber noch eine robuste Nachfrage der Investoren. Privaten Schuldenmärkten kommt eine zentrale Rolle bei Finanzierungen zu.

Das Interview führte Kai Johannsen. Das vollständige Interview lesen Sie auf www.boersen-zeitung.de

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