„Plötzlich scheint wieder alles möglich“
Von Andreas Hippin, London
Europäische Unternehmen, die einen Hybridbond begeben wollten, haben dafür zu Jahresbeginn beste Bedingungen vorgefunden. Das Emissionsvolumen belief sich auf mehr als das Doppelte des im Vergleichsmonat im Vorjahr erreichten Werts. HSBC war gleich bei fünf Transaktionen mit einem Volumen von insgesamt 5,35 Mrd. Euro mit von der Partie. Steigende Zinsen, volatile Märkte und Ängste, die Emittenten könnten die Anleihen nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt zurückzahlen, hatten 2022 die Stimmung belastet. In der Regel geschieht das zum ersten Call-Termin. Entsprechend groß war die Aufregung, als die Immobiliengesellschaft Aroundtown im Dezember vergangenen Jahres mitteilte, auf die Rückzahlung einer ewigen Anleihe im Januar zu verzichten.
„Wir waren überrascht, wie gut sich der Markt in den ersten Wochen des neuen Jahres entwickelt hat“, sagt Ingo Nolden, Co-Head of European Corporate Debt Capital Markets bei HSBC Continental Europe. „Im dritten und vierten Quartal herrschte noch depressive Stimmung, plötzlich scheint wieder alles möglich. Innerhalb von fünf oder sechs Wochen kamen sogar wieder Leute an den Markt, die High-Beta-Anleihen aufsammeln wollen.“ Man habe auch wieder vorrangige Anleihen mit „BBB−“-Rating platzieren können. „Bei einigen dieser Projekte haben wir bereits im Oktober mit der Vorbereitung angefangen, wollten aber damit nicht in 2022 an den Markt“, sagt Nolden. „Das zeigt, wie weit der Markt in diesem Jahr schon gekommen ist.“ Zwischen Eigen- und Fremdkapital angesiedelte Wertpapiere sind für deutsche Anleger nicht neu. Manche werden sich an die Genussscheine von Bertelsmann oder Drägerwerk erinnern. Linde gehörte bei der Begebung von Hybridbonds vor 20 Jahren neben Michelin zu den Pionieren. Die nachrangigen Anleihen haben äußerst lange oder unendliche Laufzeiten. Ihre Zinszahlung kann ausfallen oder verschoben werden – ein Blick in die Konditionen der Anleihe lohnt sich also unbedingt.
„Appetit ist weiter da“
„Der Appetit auf solche Produkte und diese Art von Risiko ist weiter da“, sagt Nolden. „Man sichert sich die höheren Renditen. Wenn man Hybridbonds kauft, dann bevorzugt aus sehr stabilen Branchen.“ Versicherer hätten immer das Problem, dass sie feste Verbindlichkeiten bedienen müssen. Das seien die Investoren, die Hybridbonds ansähen. Sie zögen Anleihen von Emittenten mit sehr gutem Rating vor, „aber wenn die vorrangige Anleihe keine Rendite liefert, sind sie bereit, in der Kapitalstruktur weiter nach unten zu wandern.“
HSBC platzierte im Januar Hybridbonds für die Energieversorger EDP (Portugal), Enel (Italien), Iberdrola (Spanien) und den Telekomkonzern Telefónica (Spanien). „Die Anleger halten 7 % für ein solides Investment-Grade-Unternehmen für ein gutes Angebot“, sagt Nolden. „Was wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, ist, dass die Anleger sehr diszipliniert sind, obwohl die Liquidität sehr groß ist.“ Warum HSBC so stark im Geschäft mit Hybridbonds ist? „Wir haben den Trend ganz gut vorhergesehen“, sagt Nolden. „In den vergangenen Quartalen haben wir viel Aufklärungsarbeit geleistet – mit Anlegern, mit Emittenten und ebenso mit Ratingagenturen.“
Die Konditionen seien immer noch gut für Emittenten. „Manche sagen allerdings Dinge wie: Ich würde nie etwas mit einer ‚7‘ im Kupon begeben“, sagt Nolden. „Aber wenn der Leitzins bei 4 % oder 5 % liegt, ist das immer noch ein ziemlich guter Deal.“ Denn schließlich könne man den Kupon eines Hybridbonds steuerlich geltend machen. Dadurch sinken unter Umständen die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten deutlich. Er habe den Eindruck, dass man diesen Aspekt etwas stärker hervorheben sollte, sagt Nolden. „Wenn man zum Beispiel CEO eines Energieunternehmens ist, hat man regulierte Cashflows und kann in einen Offshore-Windpark oder Ähnliches investieren. Wenn das Kapital dafür nicht 9 %, sondern 6 % nach Steuern kostet, ändert das die Rechnung und die Art, wie man für so etwas bieten kann.“
Er glaube nicht, dass die Rally so weiterlaufen und man Hybridbonds mit einem Kupon von 3 % sehen werde. Da gebe es einen natürlichen Boden. „Die Anleger können warten, weil sie wissen, dass noch eine Menge Refinanzierungen kommen werden“, sagt Nolden. „Im Moment ist die Frage für Senior wie Hybrid eher: Wie sieht der Preis für neue Schulden aus?“ Die vergangenen Tage hätten gezeigt, dass es dafür Grenzen gebe.
Großen deutschen Unternehmen wurden zuletzt am Bondmarkt höhere Prämien abverlangt. „Europäische, insbesondere deutsche Emittenten sollten aus unserer Sicht entspannter sein, was die Prämie angeht“, rät Nolden. Angelsächsische Firmen seien pragmatischer und stellten sich auf die Marktverhältnisse ein. Er würde sich mehr Nachfrage aus Deutschland wünschen, denke aber, deutsche Firmen verfügten über eine ziemlich gute Kapitalausstattung. „Es kommen Emittenten aus Frankreich, Italien, Portugal, die im vergangenen Jahr kaum eine Möglichkeit hatten, zu vernünftigen Kosten an den Markt zu gehen“, sagt Nolden. „Das gilt auch für britische Firmen für die volatile Zeit nach dem Mini-Budget. Die Deutschen müssen nicht an den Markt gehen, wenn die Sonne scheint.“
Aus Sicht des HSBC-Bankers sollte jeder Treasurer und CFO Hybridbonds auf der Liste haben, wenn sie über Finanzierungen nachdenken. Man könne eine Akquisition ganz oder teilweise damit finanzieren und die Verwässerung der Aktionäre vermeiden. Das Produkt sei auch sinnvoll, wenn man Eigenkapital auf Zeit haben wolle. Wenn man beispielsweise wisse, dass die Finanzkennzahlen nach einem Zukauf erst unter Druck stehen werden, aber nach der Integration mit Free Cashflow und einer Verbesserung der Kreditwürdigkeit rechne, könne man einen Hybridbond so strukturieren, dass man ihn nach fünf Jahren zurückzahlen könne, wenn Rating und Finanzkennziffern nicht mehr unter Druck seien. Das Produkt löst aber nicht alle Probleme: „Wenn das Geschäft den Bach hinuntergeht, hilft ein Hybridbond auch nicht, ganz abgesehen davon, ob man ihn überhaupt platzieren könnte.“