Polens Börse profitiert von Europakurs
Aktienmärkte
Polens Börse profitiert von Europakurs
Aktienmarkt hat seit Jahresbeginn um 30 Prozent zugelegt – Enge Verbindungen zu Deutschland – Regierungspläne könnten Rally aber schon bald beenden
Polen gilt schon lange als Wirtschaftswunder. Mitunter wird der östliche EU-Markt jetzt sogar mit Deutschland verglichen . Die Börse spiegelt diesen Erfolg wider. Nun geht aber die Sorge vor einem Rückschlag um.
Von Sebastian Becker, Warschau
Polen wird schon seit Jahren regelrecht mit Lob überschüttet. „Polen ist das neue Deutschland“, sagte Peter Bosek, Vorstandschef der Erste Group Bank. „Die Wachstumslokomotive Europas“ oder „Der unentdeckte Superstar unter den Börsenmärkten“ sind weitere Superlative in der Presse, die offenbar kein Ende finden. Ein Grund: Die solide Wirtschaftsentwicklung, die in den vergangenen 20 Jahren im Prinzip keine Rezession ausgewiesen hat. Dies gilt als wichtigste Erfolgsgeschichte in der EU.
Und auch der Kapitalmarkt GPW hat sich entsprechend entwickelt. Der polnische Leitindex WIG20 zeigt sich seit Jahresbeginn mit einer Steigerung um 30% auf mehr als 2.800 Punkte stark. Zum Vergleich: Der Dax verzeichnet ein Plus von knapp 20%, der Dow landet bei +7%.
BIP wächst
„Die GPW ist einer der besten Kapitalmärkte der Welt im Jahr 2025“, sagt deren Chef, Tomasz Bardziłowski, der Börsen-Zeitung. „Das Wirtschaftswachstum nach 1990 war beeindruckend und hat in den letzten Jahren nicht nachgelassen – das reale BIP wächst weiterhin mit etwa der doppelt so hohen Rate wie der Durchschnitt der EU“, sagt er.
Polen nähere sich allmählich dem Durchschnittsniveau des BIP pro Kopf in der EU – im Jahr 2024 werde dieser Wert fast 80% des europäischen Durchschnitts erreichen. Dies entspreche nahezu einer Verdopplung im Vergleich zur Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Milliarden freigeschaltet
„Der WIG20 wurde von den Bank- und Energiesektoren angetrieben: PKO BP, Pekao und Orlen verzeichneten Anstiege von 20 bis 30%, da sie von hohen Zinsspannen profitierten“, nennt Marcin Materna, Head of Research der Bank Millennium (BM), der Börsen-Zeitung einen Grund für die Entwicklung.
„Darüber hinaus gab es niedrige Bewertungen – das Kurs-Gewinn-Verhältnis für Unternehmen im WIG20 lag im Durchschnitt bei 9 bis 10, was im Vergleich zum DAX (15) oder S&P 500 (20) günstiger ist“, erklärt er. Zusätzlich habe es großzügige Dividenden gegeben: „Die Unternehmen an der GPW zahlten 2024 rekordverdächtige 80 Mrd. Złoty aus (19 Mrd. Euro) aus, was Rentenfonds und institutionelle Investoren angelockt hat“, so Materna, der noch auf einem wichtigen politischen Aspekt hinweist: „Endlich ist auch wieder der Optimismus nach dem Regierungswechsel im Jahr 2023 zurückgekehrt – die proeuropäische Koalition hat Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds freigeschaltet, was das Image Polens als stabilen Markt verbessert hat“, sagt der Analyst.
Regierungswechsel beflügelt
Hintergrund: Brüssel hatte zwischenzeitlich wichtige Mittel für Polen eingefroren, weil die nationalkonservative Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) europäische Grundsätze nicht eingehalten hatte. Die EU hatte den Wiederaufbaufonds für Länder eingerichtet, um unter anderem Schäden zu mildern, die durch die Coronakrise entstanden waren.
Im Prinzip hat die Partei dem Finanzplatz allerdings gar nicht so viel geschadet, auch wenn die anhaltend negative Presse im westlichen Ausland dort für einen riesigen Imageschaden Polens insgesamt gesorgt hatte. Doch die polnische Börse hat sich davon weitgehend unbeeindruckt gezeigt und die Entwicklung der internationalen Handelsplätze nachgezogen.
mBank im Aufwind
Aus deutscher Sicht ist die Commerzbanktochter mBank besonders wichtig. Die Aktie hat in den vergangenen sechs Monaten rund 16 bis 17% auf Werte um 860 Złoty oder 202 Euro zugelegt.
Mit knapp 3% ist ihr Anteil am WIG20 zwar nicht hoch. Doch hat sie für die Commerzbank ein nennenswertes Gewicht. Die polnische Tochter arbeitet zwar grundsätzlich profitabel, hat aber in den vergangenen Jahren immer wieder Rückstellungen für Hypothekenkredite in Franken bilden müssen. Hier wird die mBank mit Verbraucherklagen konfrontiert. Auf diese Weise hat der polnische Durchschnittsverbraucher direkten Einfluss auf die Commerzbank und damit auch auf den Dax ausgeübt.
Zudem besteht über die mBank eine direkte politische Verbindung zwischen Deutschland und Polen, die bisher kaum jemand wahrgenommen hat. Denn nach wie vor hält der deutsche Staat zwischen 12 und 13% der Anteile an der Commerzbank. Die Bundesregierung beeinflusst somit über die mBank indirekt den polnischen Aktienmarkt. Etwas Pikant: Die Warschauer Börse wird wiederum vom polnischen Staat kontrolliert.
Darüber hinaus sind aus deutscher Sicht auch die Handelsaktien bedeutsam, die 22% am WIG20 ausmachen. Auch hier steckt viel deutsches Kapital, selbst wenn es nur indirekt ist. Denn Lidl und Kaufland, die dort zwar nicht notiert sind, stellen bedeutende Akteure am Lebensmittelhandel in Polen dar und beeinflussen so mittelbar den polnischen Aktienmarkt.
Rückschläge drohen
Allerdings drohen dem Markt Rückschläge – und die haben ihren Ursprung in der Politik. Das Wirtschaftswachstum mag zwar stabil sein. Doch sieht sich der polnische Staat mit gravierenden Haushaltslöchern konfrontiert. Das Defizit und die Staatsfinanzen sind ein zunehmendes Problem. Und gerade die Banken, die eine wichtige Säule der Börse sind, sollen nach dem Willen der Regierung dafür herhalten, die Finanzen des Staates zu verbessern.
„Die Pläne zur Erhöhung der Bankensteuer auf 30% sowie die mögliche schwierige Zusammenarbeit zwischen Regierung und Präsident scheinen die Popularität der Börse unter ausländischen Investoren zu beenden“, befürchtet BM-Chefanalyst Marcin Materna. „Die Ankündigungen des Finanzministeriums zur Erhöhung der Körperschaftsteuer für den Bankensektor haben bereits Panik ausgelöst – der WIG-Banken ist einmal an einem Tag um über 10% gefallen, und das Kapital fließt in sicherere Märkte“, so der Chefanalyst.
Darüber hinaus gibt es ein strukturelles Problem. Denn grundsätzlich konzentriert sich die Warschauer Börse mit einer aktuellen Marktkapitalisierung von 2,2 Bio. Złoty oder 516 Mrd. Euro auf ihren regionalen Markt. Von den 402 gelisteten Unternehmen stammen 384 Firmen aus Polen, der Rest sind Ausländer.
Die Steigerung der Börse wurde zu einem wichtigen Teil über das solide Wachstum der eigenen Wirtschaft ermöglicht. Und die hängt wiederum stark am deutschen Außenhandel. Deutschland ist zudem faktisch der größte Investor. Durch diese enge Verzahnung beider Volkswirtschaften wäre es langfristig sinnvoll, dass die GPW verstärkt Aktien mit deutschem Kapital hereinholt. Allerdings berühren sich das deutsche und das polnische Börsenmilieu bislang eher wenig. „Es gibt polnische Bluechips im Freiverkehr“, sagt ein Sprecher der Deutschen Börse.
Unabhängig davon zeigt sich Analyst Materna für die Entwicklung der GPW skeptisch: „Die Herausforderungen im Jahr 2025 sind real und könnten den Enthusiasmus dämpfen.“ Der anhaltende Konflikt in der Ukraine und die Spannungen mit Russland erhöhen seinen Aussagen zufolge die Risikoaufschläge.
Zinssenkungen angekündigt
Die Notenbank habe weitere Zinssenkungen angekündigt, was die Margen der Banken und die Gewinne der Unternehmen senken werde. Analysten der Finanzzeitung „Parkiet“ schätzten, dass dies das Wachstum des WIG20 auf 10 bis 15% verlangsamen könnte. „Der Erfolg ist fragil“, sagt er. Ausländische Investoren, die das Wachstum angetrieben haben, könnten sich schnell abwenden, wenn sie keine weiteren Reformen sehen, befürchtet er.
„Leider ist es nur schwer zu erwarten, dass die Warschauer Börse in der gegenwärtigen Situation weiterhin einer der attraktivsten Investitionsstandorte bleibt, wie es in der ersten Hälfte des Jahres 2025 der Fall war“, glaubt der Fachmann.