Quartalsberichte werden zum Zankapfel
US-Börse fordert Abschaffung von Quartalsberichten
In Europa bereits eingeschränkte Reporting-Pflicht
xaw/das/hip/dz New York
In den Vereinigten Staaten gewinnt die Diskussion um einen Abbau von Berichtspflichten für Unternehmen an Fahrt. So stellt der Börsenbetreiber Long-Term Stock Exchange (LTSE) die seit über 50 Jahren gelebte Praxis infrage, gemäß der öffentlich gehandelte Gesellschaften vierteljährlich über ihre Finanzkennzahlen und Geschäftsentwicklung informieren.
Nach Insiderberichten haben Vertreter des Marktbetreibers ihren Vorschlag, die Zahl der verpflichtenden Zahlenvorlagen auf zwei pro Jahr zu reduzieren, zuletzt mit der SEC diskutiert. Der Regulator, der unter US-Präsident Donald Trump eine umfassende Deregulierung anpeilt, habe dabei ermutigende Signale gesendet. Nun plant die LTSE wohl eine Petition zur Abschaffung des verpflichtenden Quartalsberichts, zu der die SEC laut Wirtschaftskanzleien öffentliche Kommentare einholen dürfte.
Flucht aus den öffentlichen Märkten
Das Ziel des Vorstoßes: Ein Abbau bürokratischer Hürden und millionenschwerer Kostenbelastungen, die eine Börsennotiz für Unternehmen unattraktiv machten. In den USA waren laut dem Marktdatenanbieter Center for Research in Security Prices Ende Juni rund 3.700 Unternehmen gelistet, über die vergangenen drei Jahre bedeutet dies einen Rückgang um 17%. Gegenüber 1997, als die Zahl der börsennotierten Gesellschaften ihren Zenit erreichte, hat sie sich halbiert.
Hintergrund ist einerseits ein verbesserter Zugang zu privaten Finanzierungen. Andererseits bleiben Unternehmen wie Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX der Börse fern, weil sie fürchten, durch hohen Reporting-Aufwand in ihrem Innovationspotenzial eingeschränkt zu werden.
Dimon warnt vor ökonomischen Folgen
Jamie Dimon, CEO von J.P. Morgan, beklagte den Rückgang der Börsennotierungen bereits im vergangenen Jahr in seinem Brief an die Aktionäre. „Der Gesamtwert hätte dramatisch wachsen, nicht schrumpfen sollen“, bezog sich der Vorstandschef auf die Entwicklung seit den 1990er Jahren. Dimon warnt davor, dass der Trend es Investoren und der breiten Öffentlichkeit erschwert, ökonomische Entwicklungen in den USA richtig einzuschätzen. In einem gemeinsam mit Börsenlegende Warren Buffett verfassten Brief rief er bereits 2018 dazu auf, dass sich der Markt von quartalsweisen Gewinnschätzungen verabschieden müsse. Diese sorgten für einen zu kurzfristigen Fokus bei Management-Teams und hielten Unternehmen von Zukunftsinvestitionen ab.
Trump rief die SEC bereits in seiner ersten Amtszeit auf, eine Abkehr vom Quartalsbericht zu prüfen. Investorenschützer kritisieren indes, dass ein halbjährliches Reporting die Transparenz für Anleger einschränkt. Die SEC will sich auf Anfrage der Börsen-Zeitung nicht zu Gesprächen mit der LTSE oder Plänen für eine Marktkonsultation äußern. Die LTSE reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage.
Gelockerte Regeln in EU
Mit ihrem Vorstoß eifert die US-Börse der Praxis in anderen Rechtsräumen nach. Die EU lockerte die Berichtspflichten Ende 2015, um Unternehmen zu entlasten und kurzfristiges Spekulieren zurückzudrängen. Den Anlegerschutz sieht die EU durch Halbjahres- und Jahresberichte gewährleistet. Ähnlich argumentieren Regulatoren in Großbritannien, wo die Pflicht zur Veröffentlichung von Quartalsberichten 2014 zugunsten halbjährlicher Vorlagen abgeschafft wurde.
An der Schweizer Börse ist die Quartalsberichterstattung der notierten Unternehmen freiwillig. Zwingend verlangt das Reglement der Six Swiss Exchange einzig die Veröffentlichung der Jahres- und der Halbjahreszahlen. Das Reglement schreibt aber vor, dass Quartalsberichte, wenn sie veröffentlicht werden, den gleichen Erfordernissen wie jenen des Semesterberichtes genügen müssen.
Höhere Standards für Spitzenwerte
Zahlreiche kleinere Unternehmen verzichten schon lange auf die Veröffentlichung von Quartalsberichten. Aber auch große Konzerne wie Roche, Swatch Group oder Julius Bär machen zum Ende eines Vierteljahres lediglich Umsatzangaben oder veröffentlichen gar keine Informationen. Auch was den erforderlichen Rechnungslegungsstandard anbelangt, zeigt die Six Swiss Exchange eine gewisse Flexibilität und Offenheit gegenüber dem lokalen Swiss GAAP Fer Standard. Allerdings müssen Unternehmen, deren Aktien im Index der 20 wertvollsten Firmen an der Six Swiss Exchange, dem Swiss-Market-Index, enthalten sind, die international anerkannten Standards IFRS oder US GAAP erfüllen.
Im General Standard der Deutschen Börse gelten die gelockerten EU-Regelungen. Anders sieht es im Prime Standard aus, für den Unternehmen höhere Anforderungen des Börsenbetreibers erfüllen müssen. Dazu zählen Quartalsmitteilungen; es handelt sich dabei im Kern um einen verschlankten Quartalsbericht. Wollen Unternehmen in einem der Dax-Indizes vertreten sein, müssen sie ebenfalls Quartalsmitteilungen veröffentlichen.
Streit innerhalb der Dax-Familie
Doch auch innerhalb der Dax-Familie gibt es Befürworter des Wegfalls der Berichterstattung zum ersten und dritten Quartal. Porsche hatte sich deshalb über Jahre mit der Deutschen Börse gestritten, 2008 aber ein Gerichtsverfahren gütlich beigelegt. 2020 startete Allianz einen ähnlichen Vorstoß, gab die Idee nach Intervention wichtiger Stakeholder aber auf.
Laut einer Analyse der Beratungsgesellschaft KPMG aus dem Jahr 2022 nutzen drei Viertel der Dax-Konzerne die Quartalsmitteilung. Ein Viertel liefern einen vollumfänglichen Quartalsbericht. „Internationale Investoren wünschen sich eine regelmäßige Berichterstattung“, sagt ein Sprecher der Deutschen Börse.