Analyse Aktienmarkt

Rally in Japan legt Verschnaufpause ein

Ausländische Anleger nehmen Gewinne mit und schichten ihr Kapital teilweise nach China um. Zudem sorgt die Yen-Schwäche für Zurückhaltung.

Rally in Japan legt Verschnaufpause ein

Rally in Japan legt Verschnaufpause ein

Gewinnmitnahmen und Umschichtungen nach China − Schwacher Yen lässt ausländische Anleger zögern

mf Tokio

Anders als deutsche und US-Aktien haben Japans Leitindizes seit zwei Monaten keine neuen Rekorde mehr markiert. Der Nikkei 225 und der Topix standen zum Wochenschluss 5,5% bzw. 2,5% unter ihren Jahreshochs vom 22. März. Der wichtigste Grund sind offensichtlich Gewinnmitnahmen. In der letzten Märzwoche und damit zum Ende des stärksten Quartals seit über einem Jahrzehnt verkauften ausländische Investoren japanische Aktien und Terminkontrakte für netto 1,2 Bill. Yen (7 Mrd. Euro). Der Schwerpunkt der Verkäufe lag offenbar auf Halbleiterwerten, die zuvor besonders kräftig zugelegt hatten.

Aber auch im Verlauf des Aprils floss ausländisches Kapital netto weiter ab. Da dieses Geld die Börsenrally in Tokio weitgehend getragen hat, während japanische Retail-Investoren in die steigenden Kurse hinein verkauften, gaben die Aktienkurse nach. Damit zusammenhängend schichteten einige Investoren ihr Kapital aus japanischen in chinesische Aktien um, zuvor war viel Geld aus China nach Japan geflossen. Der Hang Seng in Hongkong legte seit Mitte April um bis zu 20% zu.

Die derzeitige Zurückhaltung der Ausländer dürfte größtenteils darauf beruhen, dass sie nach der starken Rally die weitere Entwicklung von Zinsen und Yen abwarten. Rückblende: Nach dem Startschuss zur Rally durch Warren Buffett im April 2023 zogen die Kurse durch taktische Käufe vieler Ausländer kräftig an.

Das alte Höchst von Ende 1989, das wie in Stein gemeißelt schien, wurde schneller übertroffen als von den meisten Analysten erwartet. Zudem weckte die Aussicht auf ein Ende der Deflation und damit die Rückkehr zum nominalen Wachstum nach zwei Jahrzehnten Enthaltung auch bei institutionellen Auslandsinvestoren wieder das Interesse an japanischen Aktien.

Mit der Rückkehr des nominalen Wachstums wird Japans Wirtschaft nach Ansicht von UBS Japan einen „strukturellen Wandel“ nach der Formel 1, 2 und 2x3 erleben, nämlich 1% reales BIP-Wachstum, 2% Kerninflation und jeweils 3% nominales Lohn- und BIP-Wachstum. Pensions- und Staatsfonds hätten jedoch noch keine Entscheidung über strategische Allokationen in Form einer Portfolioquote für Japan getroffen, berichtete Stefanie Drews, Präsidentin der Vermögensverwaltung Nikko AM. Vor diesem Hintergrund sei der Spielraum für weitere Kursgewinne langfristig beträchtlich, sagte Drews der Börsen-Zeitung.

Irritierende Yen-Interventionen

Aktuell verunsichern die Aussichten für den Yen die Investoren. Die fortgesetzte Abwertung der Devise trotz der ersten Zinserhöhung seit 17 Jahren irritierte viele Anleger. Zugleich erhöhte die Chance weiterer Interventionen am Devisenmarkt das Währungsrisiko. Zwar konnten die mutmaßlich zwei Interventionen der Bank of Japan am Devisenmarkt Ende April und Anfang Mai, die im Auftrag des Finanzministeriums erfolgten, die Abwertung zunächst stoppen. Aber vor dem Wochenende fiel der Yen auf ein Dreiwochentief zum Dollar.

Anders als in vergangenen Jahren korreliert der Dollar/Yen-Wechselkurs seit einigen Monaten nicht mehr mit dem Abstand der 10-jährigen Anleiherenditen in Japan und den USA, sondern laut dem Japan-Ökonom Richard Katz mit einer Wahrscheinlichkeit von 73% direkt mit der 10-jährigen US-Rendite. Nach dieser Logik würde auch eine weitere kleine Zinserhöhung in Japan den Yen nicht unbedingt stärken.

Dennoch dürfte das weitere Anlageverhalten der Ausländer davon abhängen, ob der von der Bank of Japan (BoJ) gewünschte Tugendkreis aus steigenden Löhnen und Preisen zustande kommt. Bis März sind die Reallöhne 24 Monate in Folge gesunken, die Preise kletterten also schneller als die Einkommen. Daher verringerten die Japaner seit nun vier Quartalen hintereinander ihre Konsumausgaben.

Ab April sollten die Reallöhne jedoch steigen. Laut einer Umfrage erhöhten die Großunternehmen bei den Tarifverhandlungen im Frühjahr die Gehälter zum 1. April um 5,6% so stark wie seit 1991 nicht mehr. Aber erst die Lohndaten ab Juni werden zeigen, in welchem Ausmaß die kleinen und mittleren Unternehmen mit 70% aller japanischen Beschäftigten bei den Erhöhungen nachziehen.

Zweiter Zinsschritt kommt

Deshalb erwarten viele Analysten, dass die BoJ ihren zweiten Zinsschritt im Juni oder Juli macht, wenn mehr Klarheit über die Löhne besteht. Das Protokoll ihrer Sitzung vom April deutet ebenfalls eine Bereitschaft zu weiteren Zinsschritten in diesem Jahr an. Zudem kaufte die BoJ vergangene Woche weniger Staatsanleihen. Die 10-jährige Anleiherendite erreichte erstmals seit 2013 die Marke von 1%. Die 2-jährige Rendite kletterte mit 0,32% auf den höchsten Stand seit Juli 2009. An der Tendenz zu einer besseren Corporate Governance, neben der Rückkehr der Inflation das zweite Hauptargument für Aktienkäufe von ausländischen Adressen, hat sich unterdessen nichts geändert. Das zeigte sich jüngst bei Mitsui Fudosan. Der größte Immobilienentwickler Japans gibt seine bisherige Politik auf, selbst errichtete Immobilien zu behalten und die Mieterträge für den Cashflow zu nutzen.

Stattdessen will Mitsui Fudosan in den nächsten drei Jahren Immobilien für 2 Bill. Yen (11,9 Mrd. Euro) abstoßen, die teilweise weit unter dem Marktwert in der Bilanz stehen. Der US-Beteiligungsfonds Carlyle hob soeben seinen mit 2,8 Mrd. Dollar bisher größten Buy-Out-Fonds für Japan aus der Taufe. Auch dies spricht für ein anhaltendes Interesse von Auslandskapital an japanischen Unternehmen.

Bei einer Roadshow in Europa beobachteten Analysten von UBS Japan, dass Investoren große Export- und Techwerte bevorzugen und ihren Vorschlag, in Retail- und Banken-Titel zu investieren, skeptisch beäugten. Die Yen-Schwäche könnte Konsumwerte treffen und japanische Finanzwerte seien im Vergleich zur USA und Europa schon hoch bewertet.

Nach der robusten Rally des Vorjahres durchläuft Japans Aktienmarkt eine Konsoldierung. Die relativ milden Kursrückgänge von Nikkei 225 und dem marktbreiten Topix seit ihren Jahreshöchstständen deuten jedoch darauf hin, dass die Zurückhaltung der ausländischen Investoren nur vorübergehender Natur sein dürfte.

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